Wirtschaft und Politik kreisen ständig um die Themen Wandel und Veränderung. Da stehen dann die Kräfte der Erneuerung den Kräften des Beharrens gegenüber, und »Innovation« ebenso wie »Bewahren« sind große Worte, die von Festrednern mit viel Pathos ausgesprochen werden.
»Wandel« oder »Wechsel« bestimmen Kampagnen, politische wie wirtschaftliche, und wo die Traditionalisten und Konservativen (»Früher war es besser«) den Reformern oder Revolutionären (»In Zukunft wird es besser sein«) gegenüber stehen, schauen alle nach draußen: zum Gegner hin oder auf des Objekt, das sich ändern soll – in der Politik ist das die Gesellschaft, in der Wirtschaft das Produkt.
Das Subjekt auf Heldenreise
Was aber geschieht dabei mit den Subjekten, die da entweder festhalten oder erneuern? Verändern und erneuern die sich nicht auch selbst? Vom klassischen Bildungsroman bis zu allen anspruchsvollen modernen Filmen und Theaterstücken verändern sich im Lauf der Handlung nicht nur die Szenen, sondern auch die Handelnden – die Helden. Es ist nicht mehr wie in den alten Epen, dass ein fixes Subjekt eine veränderliche Umgebung erlebt, sondern das Subjekt selbst, der Beobachter und Erzähler, wird im Lauf des Geschehens ein anderer. Mit dieser Veränderung des Subjektes – in der Literatur »Heldenreise« genannt – verlässt man den Raum des nur Politischen und Wirtschaftlichen und tritt ein in der Bereich der Kunst und der Psychologie. Und wo dort das Subjekt das Subjekt betrachtet, also sich selbst, beginnt der noch tiefer gehende Bereich des Selbstreferentiellen. Das Land der – vorhandenen oder vermissten – Weisheit, im modernen Jargon: der »spirituelle« Bereich.
Ganz werden
Wissenschaftlich lässt sich dieser Bereich kaum erfassen, denn die Wissenschaft lässt nur als Tatsache gelten, was sich unabhängig vom Beobachter feststellen lässt. Das Experiment muss wiederholbar sein von einem ganz anderen Beobachter, egal ob dessen Muttersprache Spanisch oder Japanisch ist, und ob er beim Frühstück gerade Streit hatte mit seiner Frau. Der Beobachter aber wandelt sich; er ist heute nicht mehr derselbe wie gestern und wird auch morgen wieder anders sein und deshalb anderes wahrnehmen. Auf seiner Heldenreise stirbt er viele Male und wird ebenso oft neu geboren. Und er stirbt diese Tode nicht etwa so, wie im indischen Konzept der Wanderung einer Seele von einem individuellen Körper zum nächsten, sondern dieses »Stirb & werde« geschieht innerhalb dieses einen Individuums – das ja nicht wirklich ein »Unteilbares« ist (das ist die Bedeutung von »Individuum«), sondern ein vielfältig geteiltes Wesen, das danach strebt, ganz zu werden.
Der Tod als Coach
Wer sich diese inneren Wandlungen bewusst macht und im Zuge dessen immer mehr Verantwortung dafür übernimmt, wer er ist, verliert mehr und mehr die Angst vor dem eigenen physischen Tod – und damit auch vor all den kleineren, seelischen Toden, dem Scheitern und Verlieren, den vielen Verlusten und Abschieden, die das Leben so mit sich bringt. Ein solches, nicht mehr primär auf Sicherheit ausgerichtetes Leben, in dem wir als verängstigte Bürger hinter zu vielen Schutzmaßnahmen emotional und geistig verkümmern, kann sich öffnen für ein Leben voller Abenteuer und Staunen. Da bewahrheitet sich dann, was Hölderlin sagte: »Wir sterben, um zu leben«! Unser Verhältnis zum Tod ist ganz entscheidend dafür, wie fröhlich wir das Leben verbringen. Für den echten Lebenskünstler ist der Sensenmann ein kaum zu übertreffender Coach: Sage mir, wie du dem Tod gegenüber stehst, und ich sage dir, wie du lebst!