Schonungslos wie eh und je nimmt sich Ulrich Nitzschke, der ja eigentlich nur durch Zufall Zeuge all dieser persönlichen Gespräche wurde, nun Andrew Cohen an, der eines Tages Jed McKenna begegnete. Achtung: Satire. Oder doch die Wahrheit…?
Von Ulrich Nitzschke
Jed McKenna: Hi Andrew. Nett, dass du dich hier bei uns in der Provinz mal sehen lässt.
Andrew Cohen: Naja, ich hab ja jetzt Zeit. Um ehrlich zu sein: mehr als mir lieb ist.
J: So ein Sabbatical ist aber doch nicht unbedingt schlecht
A: Kann schon sein, aber nicht, wenn du überhaupt keine Lust darauf hattest.
J: Soll das heißen, du hast dich nur ungern von deiner Doppelrolle als Guru und Oberchef deiner Bewegung verabschiedet?
A: ‚Ungern’ ist in diesem Zusammenhang eine krasse Untertreibung. Die haben mich praktisch gefeuert.
J: Die?
A: Naja, du weißt schon, die Kerle, die die ganzen Jahre hinter mir gestanden und mit mir alles aufgebaut haben. Die ohne mich nichts wären. Die mir bis an mein Lebensende hätten dankbar sein müssen.
J: Und die haben dir einfach gesagt: zieh Leine und geh in dich?
A: Ja, so ungefähr. Kein Mensch kann sich vorstellen, was das für mich bedeutet. Diese Verräter! Was hab ich nicht alles getan, um Ihnen Gutes zu tun? Sie aus den Krallen ihres Egos zu befreien. Ihnen eine Lebensperspektive zu eröffnen. Sie teilhaben zu lassen an der großen spirituellen Revolution unserer Zeit, zu der die Weltgeschichte mich auserkoren hat…
J: Eine Zumutung ist das! Für einen wie dich! Da hast du, du alleine, in einem wahrhaft revolutionären Denkprozess erkannt, dass „Erleuchtung“ etwas Zeitgebundenes ist, dass sie der Evolution ebenso unterworfen ist wie die Menschen selbst. Dass wir deshalb all die Jahrtausende alten Traditionen, die sich ihr gewidmet haben, schlicht beiseitelegen können. Weil wir heute als Menschen der Post-Moderne einfach einen klareren Blick für die Wahrheit haben. Und dann hast du total folgerichtig daraus den Schluss gezogen, der Begriff müsse dringend umgedeutet werden, zum „Evolutionary Enlightenment“, zur „Evolutionären Erleuchtung“. Und diesen Gedanken hast du dann zum Kern deiner Lehre gemacht und dich landauf landab als „kulturellen Visionär“ und „Revolutionär des menschlichen Bewusstseins“ hofieren und feiern lassen.
A: Und zu Recht! Kein anderer hatte diesen epochalen Durchblick und dazu auch noch den Mut, daraus eine in sich schlüssige Lehre für unsere Zeit zu entwickeln. Dass da einige wenige unter denen, die mitmachten, nicht das ganze Ausmaß dieses revolutionären Ansatzes verstanden und sich den Direktiven unserer Bewegung, die daraus erwuchs, nicht hundertprozentig unterordnen wollten, was kann ich dafür?
J: Meinst du jetzt mit „Direktiven unserer Bewegung“ deinen eigenen missbräuchlichen Umgang mit Schülern, für den es ja zahlreiche glaubwürdige Hinweise gibt, unter anderen von deiner eigenen Mutter?
A: Alles Verleumdung! Ein Guru, der seine Schüler liebt und ihnen helfen will, muss schließlich auch mal etwas unorthodox vorgehen dürfen.
J: Und diese „Hilfe“ bestand darin, ihnen wenn nötig auch mit rüden Methoden ihr „widerspenstiges Ego“ austreiben zu wollen. Zu ihrem eigenen Wohle natürlich!
A: Jaja, da gab es den einen oder anderen kleinen Exzess. Aber so etwas ist doch im großen Zusammenhang zu sehen! Es ging darum eine Elite herauszubilden, die Avantgarde einer Bewegung, die von der Evolution bestimmt war die ganze Menschheit auf die nächsthöhere Bewusstseinstufe zu führen. Da kann man sich als verantwortlicher Visionär doch nicht durch Weinerlichkeiten von Einzelpersonen davon abhalten lassen!
J: Natürlich nicht! Du, Andrew, mal ne ganz andere Frage: In der als „Entschuldigung“ überschriebenen Erklärung, die du zur Verabschiedung in deine Auszeit abgegeben hast, sprichst du davon, du hättest die ganze Zeit über nicht erkannt, dass du selbst „ungeachtet der Tiefe deines Erwachens“ von einem „unverändert starken Ego“ angetrieben worden seist.
A: Naja, …das ist mir praktisch so diktiert worden. Ich hatte ja keine andere Wahl als mitzuspielen. Ich selbst hätte das gewiss anders formuliert. Man kann doch den zahllosen Followern, die Jahrzehntelang an meine Erleuchtungs-Story geglaubt haben, nicht mit einem Male sagen: da war nichts, liebe Leute, der große Guru Andrew hat genau so ein Ego-Problem wie ihr; der hat es nur gut verdrängt.
J: Soll heißen: deine Erleuchtung war gar keine richtige Erleuchtung?
A: So würde ich das nicht sagen. Es kommt doch darauf an, welches Erleuchtungs-Verständnis man zugrunde legt, das übliche oder meins. Ich jedenfalls hatte die ganze Zeit den „evolutionären Impuls“ in mir gespürt und fühlte mich dementsprechend als ein echt Erwachter.
J: Und in diesem Impuls hast du das Wirken deines „unverändert starken Egos“ erkannt?
A: Ich sagte doch, der Text wurde mir praktisch vorgegeben. Ich konnte nur ein paar geringfügige stilistische Änderungen durchsetzen.
J: In deiner „Entschuldigung“ hast du am Ende gelobt, dich darum zu bemühen „ein besserer Lehrer zu werden“, vor allem aber auch „ein besserer Mensch“. Wie soll ich das verstehen?
A: Weiß ich doch selbst nicht. Die Erklärung war doch in erster Linie dazu gedacht, den Schaden für unsere Bewegung möglichst gering zu halten. Schließlich geht es da ja auch um einige attraktive Vollzeit-Jobs. Da mussten einfach solche Passagen rein, die der Öffentlichkeit so was wie Einsicht, Reue und Besserung suggerieren, im wirtschaftlichen Intersse unserer „Firma“ sozusagen.
J: War nicht der große Ken Wilber die ganze Zeit über einer deiner Freunde und prominenten Förderer gewesen? Mit ihm zusammen hattest du doch als „Pundit und Guru“ in deinem Magazin endlose kluge Debatten über post-moderne Spiritualität und Erleuchtung geführt? Er war sicher einer, der an dich geglaubt hatte, oder ? Wie hat denn der auf deine Erklärung reagiert?
A: Dazu möchte ich mich hier nicht äußern. Aber du kannst dir ja vielleicht das Verhalten solcher „Freunde“ vorstellen, wenn du plötzlich von heute auf morgen kein „Star“ mehr bist, sondern ein „Nobody“ in Auszeit.
J: Apropos: man hat mir erzählt, die deutsche Sektion deiner Bewegung habe komplett mit dir gebrochen. Jedenfalls sei in ihrer neuen Zeitschrift noch nicht einmal in der Rubrik „Geschichte der Zeitschrift“ dein Name erwähnt, obwohl die ja eindeutig auf dein berühmtes Magazin „What is Enlightenment“ zurückgeht.
A: Auch dazu möchte ich lieber schweigen. Sonst könnte es passieren, dass ich komplett ausraste.
J: …wofür ich durchaus ein gewisses Verständnis hätte. Vielen Dank, Andrew, für das offene Gespräch. Vielleicht kannst du ja die Auszeit wirklich nutzen, um von all dem Erleuchtungsstress mal gründlich abzuschalten!
Von Ulrich Nitzschke
Jahrgang 1940. Studium der Geisteswissenschaften, über dreißigjährige Berufslaufbahn im Diplomatischen Dienst, seit 2004 freiberufliche Tätigkeit als Mentor und Autor in Bonn. Verfasser vieler Bücher, zuletzt „Revolution im Spiri-Land“
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