Das Internet ist eine echte Herausforderung für das menschliche Bewusstsein – dies ist in der heutigen Welt täglich spürbar. So müssen wir uns fragen: Entspricht unsere technische und zugleich vernetzende Entwicklung auch unserer inneren Entwicklung? Ob der Funke aus unserem Inneren auf die Technik übergesprungen ist, oder eher umgekeht, beantwortet der spirituelle Lehrer Thomas Hübl, auch dieses Jahr Gastgeber des Celebrate Life Festivals.
von Thomas Hübl
Im Äußeren sind wir heute mit einer nie dagewesenen Fülle an neuen Technologien konfrontiert, die sich sehr schnell weiter entwickeln, und von denen wir uns bisweilen überfordert fühlen. Gewohnheitsmäßig neigen wir dazu, unsere inneren und äußeren Erfahrungen getrennt zu erleben. Wie aber könnte es möglich sein, Räume, die im Außen von Menschen kreiert werden, zu erschaffen, ohne dass es dafür auch eine innere Repräsentation in den Menschen gäbe? Die Tatsache, dass sich all das Neue im Außen entwickeln kann, zeigt, dass die äußere Architektur auf eine innere Architektur zurückgeht. Die entsprechenden Kapazitäten erweitern sich nicht nur äußerlich, sondern auch in den Menschen selbst. Und: Die Entwicklungen im Internet spiegeln wiederum die Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden Einzelnen wider.
Gleichzeitig ist unser Nervensystem durch die Vernetzungsmöglichkeiten und die Geschwindigkeiten, mit denen das Internet arbeitet, einem hohen Entwicklungsdruck ausgesetzt. Wir müssen lernen, diese rasanten äußeren Veränderungen ins uns zu beinhalten, wenn wir mit der Evolution Schritt halten wollen.
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt in der Geschichte waren für unsere Entwicklung nur solche Informationen relevant, die von außen an unseren Clan herangetragen wurden. Heute können wir global auf unfassbar viele Informationen zugreifen. Der Einzelne kann nicht mehr so tun, als könne er bestimmte Nachrichten, zum Beispiel über Attentate und Kriegsgräuel, nicht mitbekommen. Wir können uns zwar mit unserer rationalen Prägung von diesen unangenehmen Informationen abschotten, aber dann bleibt ein Großteil unseres Potenzials auf der Strecke.
Jede Generation ist dazu aufgefordert, größere Kapazitäten zu entwickeln, um mit den Herausforderungen ihrer Zeit fertig zu werden. Für uns bedeutet das, dass wir uns neben der komfortablen Nutzung des Internets auch mit den mächtigen Schatten befassen müssen, die dieser Fortschritt wirft. Wir müssen uns brennenden Fragen in Bezug auf Verbundenheit, Verantwortung, Geschwindigkeit und Stress stellen und unsere Kapazitäten erweitern.
Daraus, dass wir nicht mehr nur ein Clan oder ein Land sind, sondern Weltbürger, ergibt sich eine höhere persönliche und kollektive Verantwortung. Die direkte Übersetzung des englischen Begriffes Verantwortung, „Responsibility“ = die Fähigkeit, adäquat auf etwas zu antworten, weist uns sehr anschaulich auf die damit verbundenen Herausforderungen hin:
Wie kann ich als rational geprägter Mensch (wieder) lernen, neue Fähigkeiten in mir zu entwickeln, um Weltgeschehen nicht abzuspalten, sondern auf fühlende Weise in mir zu beinhalten? Wie etablieren wir eine innere Praxis, die uns befähigt, präsent und auf eine gesunde Art in Beziehung zu bleiben, auch wenn wir uns in einem Konflikt befinden oder mit schrecklichen Nachrichten konfrontiert werden?
Es gilt, neue Formen des Miteinanders zu entwickeln, die es uns erlauben, im Internetzeitalter auch ohne direkte Begegnungen aufeinander bezogen und emotional gesund zu bleiben. Doch wie kann sich zwischen Menschen, die tausende Kilometer voneinander entfernt vor einem PC sitzen, heilsame Intimität entwickeln? Was ist der Wir-Raum, der die globale Gemeinschaft zusammenhält?
Die Bedingung für Intimität ist, dass wir in der Lage sind, unsere Mitmenschen nicht nur vom Verstand her zu erfassen, sondern sie zu fühlen und mit unserem ganzen Sein zu beinhalten, was sich zwischen uns zeigt. Eine Mutter, die keinen fühlenden Zugang zu ihrem Kind hat, kann nicht vollständig für dieses Kind verfügbar sein. Jemand, der kein Gefühl für seinen Körper hat, kann rational begreifen, warum er gesunde Sachen essen und sich bewegen sollte, doch er hat keine gefühlte Referenz für das, was seinem Körper wirklich gut tut. Dieses Prinzip gilt für Begegnungen im Internet genauso.
Mit hohem Bewusstsein können wir die kosmische Adresse eines Menschen ähnlich einer ip-Adresse im Internet ansteuern, und zwar unabhängig davon, wie weit entfernt dieser Mensch von uns ist. Auch in einem virtuellen Raum ist es möglich, uns mit anderen Menschen so bezogen zu verbinden, dass eine hohe Intimität entsteht, dass wir uns zutiefst voneinander berühren lassen und gemeinsam weiterentwickeln können.
Bei all den Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, ist es allerdings wichtig, dass wir uns als Körper/Geist/Seele-Wesen immer wieder bewusst ausbalancieren. Dass wir also nicht in mentalen Aktivitäten verloren gehen, sondern uns immer wieder gut mit unserer Basis verbinden, uns „grounden“, und unsere emotionale Welt klären! Tun wir das nicht, besteht die Gefahr, dass wir uns von unserem physischen Körper und unserem Gefühlen dissoziieren. Ein pathologischer Zustand unserer modernen, rational geprägten Gesellschaft.
Wir haben riesige Kapazitäten, die wir nicht nutzen! Ich bin überzeugt davon, dass es mit einer wachen inneren Praxis und hoher Kohärenz möglich ist, dass menschliche Entwicklung mit der Geschwindigkeit technischen Fortschritts Schritt halten kann, dass es kein Limit für inneren und äußeren Fortschritt geben muss, sondern dass sich die Trennung von Technik und Biologie zunehmend auflösen wird. Mich interessiert, wie wir aus einer höheren Perspektive beides beinhalten können, einschließlich der erweiterten ethischen Herausforderung, z.B. beim Thema Klonen, die eine solche Entwicklung mit sich bringt. Außerdem glaube ich, dass sich die Leading Edge des Denkens hin zu einem Feld-Denken entwickelt. Wir können trainieren, eine Gruppe nicht mehr als eine Ansammlung von Einzelinformationen wahrzunehmen, sondern als ein Ganzes, das alle relevanten Informationen beinhaltet.
Das Internet kann uns befähigen, uns wissenschaftlichen Fragen in einem unendlich weiten Open Space zu widmen und mit enormer Geschwindigkeit die Entwicklung von Intelligenz voranzutreiben. Dafür ist jedoch ein Bewusstsein nötig, das den Beitrag jedes Einzelnen zur kollektiven Weiterentwicklung würdigen kann. Wir brauchen eine Kultur, die am Potenzial aller interessiert ist! Das Internet hat das Sublenet als ein subtiles inneres Äquivalent.
Wenn ich wirkliches Interesse an der Entfaltung deines höchsten Potenzials habe, unabhängig davon, ob du dann erfolgreicher bist oder in der Gesellschaft besser dastehst als ich selbst, kreiert das eine ganz andere Qualität, als wenn ich mich in erster Linie um mein eigenes Wachstum kümmere. Das ist eine enorme Herausforderung für menschliche Weiterentwicklung und gleichzeitig die Grundlage für Potenzialentfaltung. Wir brauchen gegenwärtig beides: Die Begeisterung für die neuen Entwicklungen und zugleich neue Räume, in denen wir das beheimaten können, was uns unangenehm ist. Unsere Gesellschaft hat die Tendenz, Eindrücke und Emotionen, die uns nicht angenehm sind, außen vor zu halten. Ich bin daran interessiert, WIE Menschen ihren Weg gehen und sich gemeinsam weiterentwickeln können. Wenn jeder von uns sich holistisch auf die brennenden Fragen unserer Zeit einlässt (also körperlich, seelisch, mental, sozial und spirituell einbringt) und sich für gemeinsame Weiterentwicklung engagiert, können wir kollektiv wachsen. Das Engagement ist der Weg. Im Vertiefen der Fragen der Einzelnen graben wir gemeinsam weiter. Das ist das Wesen unseres Zeitalters. Die Synchronizität von Internet und kollektiven Bewegungen ist unser gemeinsames Projekt.
Über Thomas Hübl:
Der gebürtige Wiener leitet als spiritueller Lehrer der heutigen Zeit seit 2004 Workshops, offene Abende, Trainings, Tonings und Intensiv-Wochen in der ganzen Welt. Darin motiviert er die Menschen, das innewohnende Potenzial zu realisieren und dieses, durch Selbsterkenntnis und persönliche Verantwortung, konkret in die Welt zu bringen. Er steht für ein authentisches, mitfühlendes Leben in einer neuen „Wir-Kultur“ ein.
http://www.thomashuebl.com/de/
Buch von Thomas Hübl:
„Sharing The Presence: Wo warst du bis jetzt? Wie Präsenz dein Leben transformiert“ von Thomas Hübl
Verlag: J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, 2009
Umfang: 300 Seiten
Preis: 9,95 €
ISBN: 978-3899011999
Hier können Sie das Buch bestellen.
Auch dieses Jahr findet das einzigartige Celebrate Life Festival statt, und zwar am 28. Juli bis zum 7. August 2016. Das Thema in diesem Jahr lautet: „Spirituelle Kompetenz 2016 – Herausforderungen kreativ begegnen“.
Alle Infos finden Sie hier: http://celebrate-life.info