Der Taoismus nutzt viele Übungselemente, die auch beim Yoga (→ Hatha-Yoga) und → Tantra vorkommen, viele davon sind Hunderte Jahre früher entstanden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Umwandlung von inneren Energien, um zur menschlichen Vollendung zu gelangen, eine Technik, die sich in der europ. Esoterik wieder findet (→ Energie).
„Um aber die wahre Natur daoistischen Strebens zu verstehen, ist es unerlässlich, die Bedeutung der ‚Unsterblichkeit’ in jenem Sinn zu erfassen, die sie für ganz in das Geheimnis der Kultivierung des Weges eingeweihte Mystiker und Adepten hat: Ein Unsterblicher ist jemand, der durch völlige Entwicklung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten und durch Abschütteln seiner Leidenschaften und Ausrottung aller Begierden ein freies, unmittelbares Dasein erreicht hat.“ (Frieder Anders 1985)
Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Gründerzeit der „Schule der Vollkommenen Wirklichkeit“ war Zhang Boduan (Chang Po-Tuan), ein Gelehrter aus dem 11. Jh.
„Zhang Boduan stammte aus einer Familie konfuzianischer Gelehrter und setzte diese Tradition fort, bis er schließlich seine Interessen auf andere Gebiete wie Astronomie, Mathematik und Medizin ausweitete. Wie sein Werk ‚Über das Begreifen der Wirklichkeit’ bezeugt, verfügte er auch über ein profundes Wissen über den Zhan-Buddhismus → Zen und betrieb umfassende Studien über alchemistische Literatur … Obwohl Zhang viele Jahre unter Anleitung von Buddhisten und Daoisten nach spiritueller Erfahrung suchte, traf er seinen wahren Meister erst im Alter von über achtzig Jahren. Von ihm wurde er in die daoistischen Geheimnisse der Wiederherstellung der Lebenskraft und Energie eingeweiht, bis er schließlich spirituelle Meisterschaft erlangte.“ (Frieder Anders 1985)
Zhang starb im Alter von 99 Jahren. Sein bedeutendstes Werk, das „Geheimnis des Goldenen Elixiers“, stellt eine Zusammenfassung der alchemistischen Praxis im Taoismus dar. „Die eigentliche Schulung zur Wirklichkeit ist eine Sache des Arbeitens mit der Wirklichkeit“, erklärt Zhang.
Die daoistische Lehre von der physischen Unsterblichkeit meint nicht, dass es eine Methode gebe, den Tod zu überwinden. Die Chinesen sind viel pragmatischer. Es geht ihnen vielmehr darum, einen substanziellen spirituellen Körper zu entwickeln. Während im Westen von einer „unsterblichen Seele“ gesprochen wird, sind die Daoisten der Überzeugung, dass dies einer besonderen Konzentration und Ansammlung innerer Energien bedarf. „Die praktisch gesinnten Daoisten gingen davon aus, dass der Mensch mit der ihm am leichtesten zugänglichen Energie beginnen sollte, nämlich der sexuellen Anziehung zwischen Mann und Frau, um diese als Sprungbrett in feinstofflichere Bereiche zu benutzen“, schreibt Michael Winn im Vorwort zu „Tao Yoga der Liebe“ (in: Mantak Chia 1984, 21).
„Anders als jene Schulen, die lehren, dass man das individuelle Ego in der Glückseligkeit der kosmischen Einheit auflösen muss, um zu einem Heiligen zu werden, bestehen die Taoisten darauf, dass jeder Adept seine individuelle Natur in einem Körper bewahren soll, physischer und geistiger Art. Nur so kann er die Entwicklung seiner Seele verfolgen bis zur endgültigen Vereinigung mit Wuji (Wu-Chi), dem Nichts, aus dem die Einheit des → Tao entspringt. Dieses ‚Im-eigenen-Körper-Bleiben’ bewahrt den Adepten davor, sich einem Guru, einem göttlichen Wesen oder einer sonstigen religiösen Autorität völlig zu unterwerfen. Niemand kann Ihnen Ihre spirituelle Arbeit abnehmen.“
Die taoistischen Sexualtechniken sind vergleichbar mit den tantrischen, wobei das → Tantra durch seine Rituale viel fremdartiger für uns ist, während die Chinesen das Ganze als praktische Methode der Energietransformation betrachten. Das „Tao der Liebe“ ist natürlich nur ein Teil eines umfassenden Übungssystems des Tao-Yogas.
Tatsächlich ist das meditative → Atmen in die inneren Energiezentren, die im → Tantra zu den → Chakras wurden, bereits in medizinischen Werken des 3. und 4. Jh. v.u.Z. ausführlich beschrieben. Im medizinischen Klassiker Ling-shu werden die inneren Zentren erklärt und der Kreislauf des Atems durch die Nervenbahnen des Sympathikus.
„Im taoistischen Atemsystem ist die Grundbedingung für die frühen Stadien der Übung ein langsames, tiefes und rhythmisches Ein- und Ausatmen. Beim Einatmen muss die Luft tief in den Leib hinab gesandt werden. Aus diesem Grund wird das Nierenzentrum unterhalb des Nabels das Meer des Atems genannt. Beim Ausatmen hebt sich das Zwerchfell, und der Unterleib wölbt sich nach innen, ganz im Gegensatz zur Brustatmung. … Das einfache Einziehen und Ausstoßen von Luft jedoch erfüllt noch nicht die Bedingungen meditativer Atmung. Um die Atmung wirksamer zu machen, wird Konzentration empfohlen. Man muss mit der Bewegung des Atems einen baren Gedanken in die Kreisbahn schicken.“ (Chang Chung-yuan 1980, 133)
Diese Chakra-Atem-Technik soll den Prozess der Umwandlung von jing („Essenz“) in qi („Atem“ bzw. „Energie“) und dann in shen („Geist“) fördern. Es geht um die Transformation von Energien zur Bildung eines → Energiekörpers. „Philosophisch ausgedrückt ist das chines. meditative Atmen der Blick in das Nichts auf der Suche nach Erleuchtung“ (Chang Chung-yuan 1980, 145). Bei dieser Übung saß man zunächst auf Knien und Fersen; die indische Sitzhaltung mit verschränkten Beinen kam erst später auf. Es wird auch empfohlen, aufrecht auf dem Stuhl zu sitzen, weil man so durch die Energiepunkte in den Füßen Erdenergie aufnehmen kann.
Das Tao-Yoga kennt mehr Energiezentren als das → Tantra (→ Chakras):
1. Tan-Tien, die Quelle, liegt hinter dem Bauchnabel.
2. Kuan-Yuan, Ovar-Palast, bzw. Jing-Gong, Samen-Palast, liegt im Bereich der Eierstöcke bzw. Keimdrüsen (im Tantra: Svadhistana-Chakra).
3. Hui-Yin, das Tor des Lebens und des Todes, liegt in der Mitte des Perineum (im Tantra: Muladhara-Chakra).
4. Chang-Chiang, der Durchgang zum Tor von Leben und Tod, liegt direkt am Steißbein.
5. Ming-Men, das Tor des Lebens, liegt in der Rückenkuhle gegenüber dem Nabel.
6. Chi-Chung liegt im Rücken gegenüber dem Solarplexus.
7. Yu-Chen, das Jadekissen, liegt in der Halskuhle am Hinterkopf.
8. Pai-Hui, der Kompass des Menschen, liegt in der Kopfmitte unterhalb des Scheitels (im Tantra: Sahasrara-Chakra).
9. Yin-Tang, das Himmelstor, liegt in der Stirnmitte (im Tantra: Ajna-Chakra).
10. Hsuan-Ying, der Himmlische Teich, liegt in der Gaumenplatte.
11. Hsuan-Chi, die Zwölf Geschichten, liegt im Bereich der Schilddrüse (im Tantra: Visuddha-Chakra).
12. Shuan-Chung, das Herz (im Tantra: Anahata-Chakra).
13. Chung-Kung, der Solarplexus (im Tantra: Manipura-Chakra).
Das Energieleitgefäß an der Vorderseite des Rumpfes wird als Yin, weiblich-kalt, die Rückseite als Yang, männlich-heiß, betrachtet. Eine wichtige Technik im Tao-Yoga besteht in der Aktivierung des Kreislaufs der Energie durch diese Zentren um den Körper herum. Dieser Kreislauf wird in Verbindung mit Atemübungen (→ Atem, Atemtechniken) und Vorstellungskraft durchgeführt.
Die → Yin-Yang-Terminologie ist eines der Grundelemente der spirituellen → Alchemie (→ Feng Shui). In den chines. alchemistischen Texten werden die Begriffe Yin und Yang hauptsächlich symbolisch durch andere umschrieben. Der berühmte taoistische Lehrer Zhang Sanfeng, der als Erfinder des → Taijiquan (Tai-Chi-Chuan) gilt, sieht diese Dualität nicht als endgültig an, da sie durch Übung überwunden werden kann. Die taoistischen Meister haben eine Reihe von bedeutenden Körper- und Heilübungen wie z.B. das Taijiquan (Tai-Chi-Chuan) oder das → Qigong (Chi Kung, Atem- und Bewegungsübungen) hervorgebracht. Techniken des Sammelns und Kreisenlassens der inneren Kraft Qi (Chi) in den lebenswichtigen Organen helfen, den Körper gesund zu halten. Auch Übungstechniken wie das Gongfu (Kung Fu) nutzen ebenfalls solche Methoden.
„Zuerst musste man für das Kung Fu die innere Kraft entwickeln … erst dann lernte der angehende Kung-Fu-Schüler, wie er seine Vitalorgane kräftigen und durch die Praxis des ‚Eisenhemdes’ von äußeren Schäden schützen konnte. Erst dann ging es an die eigentliche Kampfpraxis, da die verschiedenen Kampfstile nur dann wirkungsvoll entwickelt werden konnten, wenn die innere Kraft voll entwickelt worden war.“ (Mantak Chia 1985, 203)
Da all diese Bewegungsübungen am besten in der Praxis gelernt werden können, sollte der Sucher am besten die vielen Angebote prüfen, die es heute auch in Europa gibt. Leider wird Gongfu (Kung Fu), das übersetzt „harte Arbeit“ heißt, im Westen meistens nur als → Kampfsport und nicht im Zusammenhang mit der taoistischen Lehre vermittelt. Auch das „sanfte“ Taiji wird häufig nur als meditative Bewegungsübung gelehrt.
Eine ganzheitliche Ausbildung indes müsste vielmehr auf der Linie der „Meister des Augenblicks“ durchgeführt werden. Daran zeigt sich wahre Meisterschaft:
„Wenn Menschen das Tao üben, um ihren Charakter zu entwickeln, und im Umgang mit Menschen und Ereignissen immer hart vorgehen, werden sie heftig, aggressiv und extrem ungeduldig, sodass ihrem Handeln Beharrlichkeit fehlt und sie abstumpfen. Andererseits sind Menschen, die immer weich vorgehen, schwankend und ängstlich, und sie bewirken nichts … Wenn Menschen in ihrer Entscheidung fest und bei ihrer Durchführung biegsam sein können, ohne zu hasten oder zu trödeln, ohne aggressiv oder schwach zu sein, sind Härte und Weichheit in Balance.“ (Thomas Cleary 1989)