Im Frühjahr 1985 entstanden Aufzeichnungen einer Liebesgeschichte, in der ein indischer Guru, eine Hamburger Yogaschülerin und ein junger Musiker die Hauptrolle spielen. Die folgende Episode soll sich 1980 in Goa und Poona abgespielt haben…
Von Christian Salvesen
„Sei bewusst, authentisch und folge niemandem, dann kannst du selbst ein Christus sein.“ (Bhagwan)
In einem Buch von Bhagwan las ich eine Geschichte, die mich schon damals tief bewegte. Doch wie sehr sie mich ganz persönlich betraf, habe ich erst viel später bemerkt. Einmal wollte ich die Geschichte abends einer Gruppe von Leuten erzählen, die mir wie eine Horde Fußballfans erschien, die durch irgendeinen Zaubertrick aus ihrer Stammkneipe in Deutschland plötzlich in diese Märchenwelt in Goa versetzt worden war. Sie redeten alle durcheinander. Ich hatte etwas geraucht und begann zu sprechen. Es wurde ganz still.
„Da war einmal eine wunderschöne Frau, eine Heilige, und die…die wollte ein Dorf besuchen …d.h., sie wurde in dem Dorf angekündigt, aber ich weiß nicht, ob sie überhaupt … ja also stellen wir uns vor, wir sitzen hier und…ach nein, wir sitzen hier ja wirklich… oder stellen wir uns das nur vor?…jedenfalls… ich verstehe überhaupt nicht, was ich da erzähle – spreche ich wirklich oder bilde ich mir das nur ein… ach ja, das gehört alles zu der Geschichte, es ist eine magische Geschichte, wer sie erzählt, ist auf ewig darin gefangen… “
So ging das eine ganze Zeit, einige Leute fingen an zu kichern, die Dame schräg gegenüber, der ich anfangs hatte imponieren wollen, wandte sich gelangweilt ab zu ihrem Nachbarn und setzte ihre unterbrochene Unterhaltung fort. Während sich der Strom meiner Worte immer mehr verselbständigte und auf immer abwegigere Bahnen geriet, wurde mir heiß und kalt, und ich musste feststellen, dass sich die Geschichte tatsächlich einer Verlautbarung durch mich hier und jetzt verweigerte.
Ich fühlte etwas unsagbar Verheißungsvolles und Reines in dieser Geschichte, aber es war so weit weg von dem, was ich darstellte – so wie ich war, voller Verachtung für die anderen und voller Imponiergehabe und Gier, dass ich die Geschichte noch nicht einmal mit Worten wiedergeben durfte. Zum ersten Mal ahnte ich, dass ‚Bhagwan‘ der Name für eine sehr reale, klare Kraft ist, vor der meine Haschischerlebnisse zu kindischen Träumen verblassen. Am selben Abend erzählte ich dann doch noch die Geschichte zwei Freunden, die neben mir im Schlafsack am Strand lagen. Ich sah dabei die Sterne über mir durch Tränen schimmern.
Eine Frau, die als Heilige bekannt ist, kommt in ein Dorf, tritt vor die versammelte Männerschaft und bietet demjenigen die Hochzeit an, der gewisse spirituelle Prüfungen besteht. Die Männer sind völlig verzückt durch die Schönheit der Frau. Die Aufgabe scheint sehr einfach. Es gilt, einen religiösen Text auswendig zu lernen und am nächsten Tag aufzusagen. Unter den Vielen, die den Text dann deklamieren, ist jedoch nur einer, dessen Vortrag der Schönen beweist, dass er das, was er da sagt, auch versteht, d.h. mit seinem Herzen erfasst hat. Der glückliche Auserwählte sucht am Abend der bevorstehenden Hochzeitsnacht seine zukünftige Braut. Die Tür zum Garten steht offen. Er sieht ihre Fußspuren, die zum Fluss führen. Da stehen ihre Schuhe, aber die Geliebte selbst scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Der Mann schaut traurig auf das dahinströmende Wasser und bricht dann plötzlich in ein schallendes Gelächter aus.
Initiation
Der Abschied von Goa, Lillys Restaurant und den wundersamen Abenteuern auf meinen Wanderungen fällt mir schwer – eine paradiesische Insel verschwindet am Horizont. Aber es geht auf eine neue, noch viel tollere Abenteuerserie zu, das fühle ich. Und vor allem: ich bin verliebt. Während der zwölfstündigen, strapaziösen Busfahrt nach Poona kreisen meine Gedanken himmlisch entnervend nur um eines: ‚Bhagwan‘. Komme ich noch rechtzeitig heute Abend zu dem Fest, wo der Jahrestag seiner Erleuchtung gefeiert wird? Wird er mich bemerken? Die idiotischten Phantasien rasen durch meinen Kopf: ich betrete die Buddhahalle, ehrfürchtige Stille, alle scheinen auf mich gewartet zu haben, ich schreite direkt auf Bhagwan zu, er lächelt mich an, ich knie vor ihm nieder, und er gibt mir eine saftige Ohrfeige, schallendes Gelächter von allen Seiten usw. Als ich in Poona ankomme ist es fast Mitternacht, der Ashram ist schon geschlossen.
Einen Monat später sitze ich aber dann wirklich direkt und ganz allein vor Bhagwan. Fünf Tage vorher hatte ich im Büro meinen Wunsch angemeldet, Sannyasin, also Bhagwans Jünger zu werden. Danach bin ich in die Berge gefahren, die zwischen Poona und Bombay liegen. Ohne Wasser, Proviant und Schlafsack stieg ich, nur mit einem Tuch bekleidet, in die Dschungeltäler hinab und verbrachte dort die längste Nacht meines Lebens, zitternd vor Angst und Kälte. Als dann doch endlich die Sonne aufging, lief ich immer tiefer in den Wald hinein und begegnete Eingeborenen, die sich so verhielten, als hätten sie noch nie einen Weißen gesehen. Ich fühlte mich wie der Held in den Abenteuerromanen, die ich als Kind gelesen hatte.
Na, nun saß ich also in einem Abenteuer ganz anderer Art zusammen mit vier anderen an der Seite eines Podiums, wo auf einem Sessel in der Mitte Bhagwan bedächtig auf ein Blatt Papier sah, vielleicht die Namensliste der Anwärter, die darauf warteten, an die Reihe zu kommen. Ich hatte die Augen geschlossen und lauschte auf die Geräusche. Welch eine unermessliche Weite tat sich da auf! Nie zuvor hatte ich so wahrgenommen. Mir schien, als hörte ich alle Laute im Umkreis von vielen Kilometern, – und zugleich war im Zentrum eine so sanfte Stille, unzerstörbar zart.
“Christian!“ Der Name schien über Mikrophon gesprochen zu sein, mit einem merkwürdigen Echoeffekt. Die Weite zog sich augenblicklich zusammen, ich schreckte hoch und wollte aufstehen, denn das war Bhagwans Stimme gewesen. Aber er saß noch genauso da wie vorher, niemand beachtete mich. Nach der Sitzordnung war ich als erster an der Reihe. Hatte ich mir nur eingebildet, gerufen worden zu sein? Bhagwan hatte den Namen englisch ausgesprochen, im Englischen bedeutet das Wort „Christ“, und ich hörte im Aussprechen des Namens so etwas wie ein Erstaunen, als wollte er sagen: ‚ist das ein Name, oder was?“ Etwas später wurde ich von einem assistierenden Sannyasin aufgefordert, vorzutreten.
Bhagwan begrüßte mich lachend, und ich wusste sofort: der kennt mich schon lange. Seine Mimik und Haltung erinnerten mich an meinen Deutschlehrer, den ich sehr geliebt und verehrt habe. Die ganze Situation kam mir vor wie die Vorstellung vom Himmel, die ich mit vier oder fünf Jahren hatte. Ohne dass ich wusste, wie mir geschah, kniete ich vor ihm und sah unverwandt in seine großen Augen, die mich einsaugten. Er erläuterte meinen Namen:
„Christian bedeutet Nachfolger Christi. Doch Christus ist keine Person, er ist ohne Ego, er ist ein Niemand (nobody, wörtlich: kein Körper). Also bedeutet das: Nachfolger von Niemand. Das ist ein Widerspruch. Folge Niemandem. Sei bewusst, authentisch und folge niemandem, dann kannst du selbst ein Christus sein, ein Buddha, ein Laotzu. Wie lange wirst du hier bleiben?” Ein dünnes Stimmchen antwortete kaum hörbar: „bis Mai”. „Gut“. Er lächelte verschmitzt. „Mach ein paar Gruppen.“ Dann wurde ich behutsam zu einem Platz im Kreise der Anwesenden geleitet, aber da ich mir durch meine Urwaldnacht eine enorme Erkältung geholt hatte und ich wahnsinnige Niesanfälle heraufkommen fühlte, bin ich lieber gleich hinausgegangen.
Christian Salvesen ist Autor, Künstler und Kenner der spirituellen Szene. Das Bild zum Text ist von ihm. Alles weitere erfahren Sie auf http://christian-salvesen.de
Ein Textauszug aus:
Christian Salvesen: „Sex, Haschisch und Erleuchtung“
Verlag: Tao.de bei J. Kamphausen, 2014
Umfang: 360 Seiten
Preis: 19.99
ISBN-13: 978-3958020221
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