Die meisten Menschen glauben, dass es in ihnen eine Kraft gibt, die ihnen – zumindest manchmal – erlaubt, frei zu wählen, was sie tun oder nicht tun wollen. Sie würden sagen, dass sie von ihrem „Willen“ Gebrauch machen. Doch nur jene Forscher, die das Problem des Willens sorgfältig untersucht haben, wissen, wie komplex die Sache ist.
Die Willensfrage ist so verwirrend, dass viele Philosophen und Psychologen sich hinter der Behauptung versteckt haben, eine solche Kraft gäbe es überhaupt nicht. Sie sagen, das Gefühl der Freiheit sei eine Illusion, denn es sei ja nie möglich, mit Gewissheit zu sagen, ob eine Person einen Willensakt vollbracht hat oder ob ihr Verhalten automatisch oder durch Gehirnfunktionen bedingt war.
Nach John G. → Bennett (2004) ist der Wille allgegenwärtig und nicht von außen bedingt, also auch nicht durch irgendwelche neurologischen Faktoren. Er ist ein unteilbares Ganzes, das immer gleich bleibt und dennoch aus einer unendlichen Anzahl von „Willenspartikeln“ zusammengesetzt ist. Diese Willenspartikel können nicht in Wechselwirkung mit irgendeinem Teil der existenziellen Welt treten; kommen sie aber mit einem Behältnis, z.B. dem menschlichen Körper, in Berührung, so können sie „Druck“ auf das Gefäß ausüben, d.h. eine Entscheidung veranlassen. Der Wille ist nach Bennett zeit- und raumlos und hat weder Potenzial noch Wechselwirkung – das gilt jedoch nur, wenn er keinen Kontakt mit der Existenz hat. Tritt er indes in Kontakt mit der Existenz, dann kann er sehr wohl Ergebnisse hervorbringen, die jedoch nur in der existierenden Welt zu beobachten sind. Der Wille an sich kann nicht beobachtet werden.
Mit dem Begriff „Wille“ bezeichnet Bennett eine Kraft, die von den vier bestimmenden Bedingungen der Existenz – Raum, → Zeit, → Ewigkeit und Hyparxis (die „Fähigkeit zu sein“, → Zeit) – frei ist, aber dennoch nicht isoliert davon besteht. Dieses Modell kann das Rätsel des freien Willens lösen, wenn man annimmt, dass Existenz von diesen vier bestimmenden Bedingungen geregelt wird. Wenn wir den Willen als „unbedingt“, d.h. ohne die bestimmenden Bedingungen der Existenz definieren, schließen wir ihn zwar aus der existierenden Welt aus und bringen ihn in die „essenzielle“ oder geistige Welt, aber wir sagen nicht, dass er nichts sei. Darüber hinaus lassen wir eine Tür für eine Wechselwirkung oder den Informationsaustausch zwischen der bedingten und unbedingten Welt offen; diese Tür ist der → Risikofaktor, der eine Bedingung für die Freiheit ist.
Dieser Ansatz (den Bennett bereits vor über 50 Jahren vorgebracht hat, in: The Dramatic Universe, 1956) wird von den neuen Entwicklungen der philosophischen Diskussion bestärkt. Der amerikanische Philosoph John R. Searles (2004) behandelt das Thema in seinem Werk „Freiheit und Neurobiologie“:
„Die Begrifflichkeit des Mentalen und Physischen, von Materialismus und Dualismus, von Geist und Fleisch, enthält eine falsche Voraussetzung, nämlich dass diese Begriffe sich gegenseitig ausschließende Kategorien der Wirklichkeit bezeichnen müssen – dass unsere bewussten Zustände als subjektive, private, qualitative etc. Zustände nicht gewöhnliche, physische, biologische Eigenschaften unseres Gehirns sein können.“ (John R. Searles 2004)
Er führt aus, dass ein Mensch nur dann begründet handeln könne, wenn seine Entscheidung nicht im voraus kausal determiniert ist. Es bedürfe einer Lücke in der Kette kausaler Erklärungen von Ereignissen, wenn man Handlungen zu diesen Ereignissen zählt. Diese Lücke liegt im Indeterminismus (dem Unbestimmkeitsfaktor) der Quantenphysik. Nach Searles gibt es auch eine mentale Verursachung, d.h. einen freien Willen, und deshalb sind mentale Vorgänge keine bloßen Begleiterscheinungen der Neuronen im Gehirn.