Was muslimische Asylanten zu erzählen haben – Christian Salvesen

von Thomas
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Gemeinsames Essen © connection.de

Sind Sie schon einmal spontan und offen auf Flüchtlinge in Ihrer Umgebung zugegangen, um ein Gespräch einzufädeln? Oder haben Sie mit muslimischen Asylbewerbern in einer Gruppenveranstaltung gesprochen, um ein wenig der Integrationsarbeit beizusteuern? Die Meisten unter Ihnen werden dies wohl verneinen und ehrlich gesagt… fänden Sie solch eine Begegnung überhaupt sinnvoll und angebracht, oder gar beängstigend? Wahrscheinlich sehen Sie guten Grund, diesen Schritt nicht zu tun. Dass man durch den Dialog mit Asylbewerbern allerdings viel „im Kleinen“ bewirken kann – trotz Sprachbarriere – macht Christian Salvesen mit diesem persönlichen Bericht über das bayerische „Connectionhaus“ in Niedertaufkirchen deutlich.

von Christian Salvesen

 

Die Würde des Menschen…ist ausbaufähig

„Jeder Mensch wird von Gott geliebt, so wie er ist, unabhängig davon, welcher Religion er angehört oder ob er überhaupt eine Glaubensrichtung vertritt. Wir sind hier zusammen, um uns in der inneren Stille zu erfahren, in Frieden und Offenheit.“ Der Sufischeich aus dem nahegelegenen Städtchen Prien spricht ruhig und ohne Pathos. Wir sitzen im Kreis. Acht junge Afghanen, eine syrische Familie und die deutschen Teilnehmer an diesem (Sufi-) Abend.

Es ist ein erster Schritt zur Integration der insgesamt 16 Asylbewerber, die hier im Connection-Seminarhaus seit einem Monat wohnen. Der Gründer und Leiter des Hauses, Wolf Schneider, möchte über die übliche karitative Versorgung der Flüchtlinge hinaus eine „Transkonfessionelle Verständigung“ erreichen. Es soll eine Atmosphäre der Toleranz und gegenseitigen individuellen Würdigung entstehen.

 

Wie stehen wir zum Islam?

Die meisten der Menschen, die in Europa und vor allem in Deutschland Asyl suchen, sind Moslems. Wie im Christentum gibt es auch im Islam unterschiedliche Ausrichtungen, wobei sich die beiden größten Gruppen, die Sunniten und Schiiten heute wieder besonders heftig bekämpfen. Angesichts der vielen islamistischen Terroranschläge und der Tatsache, dass radikale, fundamentalistische Gruppierungen wie der IS oder die Salafisten in möglichst vielen Ländern einen islamischen Staat einrichten wollen, wächst hierzulande die Angst, von etwas Fremdem überrollt zu werden.

Der Islam ist uns kulturgeschichtlich einerseits näher als etwa der Hinduismus oder Buddhismus. Immerhin bezieht er sich im Kern auf die Bibel. Andererseits gab es seit seinen Anfängen im 7. Jahrhundert immer wieder heftige kriegerische Zusammenstöße zwischen Moslems und Christen.

Lessing und Goethe warben für Toleranz, Schopenhauer hielt den Islam für „die dümmste aller Religionen“. Auch wenn oder gerade weil immer noch unbekannt, ist der Islam in jüngster Zeit vielen geradezu unheimlich geworden. Eine Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Werte-Ordnung und speziell eines Lebens, in dem sich Frauen ohne Angst frei in der Öffentlichkeit bewegen wollen.

In seinem aktuellen Buch „Mein Islam“ gibt der Blogger Amir Ahmad Nasr – hochgelobt in den großen US-Medien wie der „New York Times“ – Einblicke in muslimisches Denken und Empfinden. Er hat mit seinem Blog „The Sudanese Thinker“ die revolutionäre Bewegung des „Arabischen Frühlings“ unterstützt, vielleicht sogar vorangetrieben. Im „Prolog“ seines Buches schreibt er: „Als Kind lebte ich einige Zeit lang einen wunderschönen, spirituell befreienden, mystischen Islam. Später lernte ich einen anderen Islam kennen, der aber eng damit verknüpft war. Er befahl mir, dass ich an bestimmten Glaubenssätzen festhalten musste, weil ich sonst für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren würde. Und er stellte eine hohe, beengende Mauer zwischen mich und die magische Neugier und das freie imaginative Denken, das ich als Kind so liebte.“

Das trifft womöglich auf uns alle zu. Vielleicht nicht so krass mit der Androhung von Höllenqualen. Aber ist das Mystische, das Staunen, die Offenheit nicht ein Merkmal des Kindes? Und werden nicht zwangsläufig die Regeln des Glaubens, Gehorchens und Gewinnens darüber gestülpt – von wohlmeinenden Eltern, Erziehern, Priestern und Imamen?

 

Der mystische Islam

Unser Sufischeich möchte in der Runde den kindlich-unschuldigen Geist erwecken. Das geht kaum mit Predigt oder Diskussion. Er und sein Begleiter Andreas nehmen eine Rahmentrommel zur Hand und beginnen einen sanften, gleichmäßigen Rhythmus. Wir skandieren die Silben „Ja-Hey“, und zu diesem einfachen Chor singt der Sufilehrer eine Melodie, wie mir scheint spontan improvisiert, ob mit Fantasieworten oder in Arabisch kann ich nicht beurteilen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die hübsche May, die sich als Syrerin vorgestellt hat. Sie kichert. Warum? Ist ihr diese Zeremonie zu übertrieben?

Die acht Afghanen und die deutschen Teilnehmer machen gut mit. Einer der Afghanen gibt sich besonders intensiv ein, scheint fast in Ekstase. Er atmet tief und stöhnt. Der Sufi erzählt, dass er im Irak aufgewachsen ist und etliche Familienangehörige ermordet wurden. Er habe als Junge auch Syrien besucht. Er wisse, wie schwer es sei, sich in einem fremden Land zurecht zu finden. Er leitet noch zu zwei weiteren gemeinsamen Gesängen und Tänzen aus der Sufitradition an.

Die Stimmung in der Gruppe scheint mir friedlich. Allerdings ist die Kommunikation durch die unterschiedlichen Sprachen behindert. Ein Afghane übersetzt, was der Sufi in Englisch sagt, ins afghanische Pashto. Davon verstehen die Syrer nichts. Sie sprechen arabisch, aber auch etwas Englisch. Wir tanzen Körper an Körper im Kreis und besingen die Liebe Allahs. „Love of Allah“. Der junge Afghane, der zuvor so intensiv mitmachte, beschwert sich nun lautstark. Irgendetwas mit „Allah“ und „love“. Schließlich wird klar, dass er „laugh“ meint. Wir sollen in Verbindung mit Allah nicht lachen. Und sein Blick ist deutlich wütend auf May gerichtet.

 

Zusammensein

Der Abend klingt ab 22 Uhr aus in der Gemeinschaftsküche vom Connectionhaus. Wir sind eine kleine Gruppe. Von den Asylanten ist nur die entzückende und aufgeschlossene May dabei. Sie setzte sich in Syrien in Facebook (mit über 100.000 Freundinnen) für die Rechte der Frauen ein und tut das weiterhin.

Am nächsten Morgen spreche ich mit den Afghanen. Doch nur drei sind dazu bereit. Rahmad, der bisher meist übersetzt hat, führt mich in ein Zimmer im Connection-Haus. Der blinde Arshad und sein jüngerer Bruder Kashif wollen mit mir reden. Nur sie beide kennen sich hier von früher. Die anderen kommen aus verschiedenen Provinzen und haben sich zuvor nie gesehen.

Afghanistan wird wohl zu jenen (sicheren Herkunfts-) Ländern erklärt, wohin die Flüchtlinge zurückgeschickt werden können. Doch diese jungen Menschen haben unglaubliche Strapazen auf sich genommen, um hier in Deutschland zumindest vorübergehend leben zu können. Es gibt in Afghanistan nicht nur die bösen Taliban und die guten Demokraten. Dieses Land ist seit dem 19. Jahrhundert immer wieder vom Westen aus strategischen Gründen attackiert worden und das stets mit verheerenden Verlusten für beide Seiten.

Arshad hat gehört, dass er in einer Klinik in Deutschland (in der Nähe) so operiert werden könnte, dass er wieder sehen kann. Meine Fragen werden nur sehr einsilbig oder gar nicht beantwortet, was auch an der schlechten Übersetzung liegen mag, denn untereinander sprechen die drei recht lebhaft in ihrer Sprache. Ich fasse also hier kurz zusammen: Sie sind aus Angst vor den Taliban aus ihrem Land aufgebrochen, sehen in Deutschland eine gute Zukunft. Ein Problem sei, dass die nächsten Einkaufsmöglichkeiten weit weg sind – in Neumarkt St. Veit, 6 km entfernt. Sie fühlen sich gut als Gemeinschaft hier. Nur der in religiösen wie auch weltlichen, d.h. den gemeinsamen Haushalt betreffenden Dingen recht diktatorisch auftretende Mike macht ihnen Angst. Sie haben ihn bereits damit konfrontiert.

Wolf Schneider schreibt dazu in seinem Blog vom 29. Februar:
„Sie hätten ihn selbst schon mehrfach ermahnt, nicht so rumzubossen, sagten sie. Wenn er kämpfen wolle, hätte er doch in Afghanistan bleiben können oder solle wieder dorthin zurück. Hier seien sie alle, um Frieden zu haben, und den müssten sie auch in der WG praktizieren. Große Politik, kleine WG, im Mikrokosmos unseres Zusammenlebens spiegeln sich die Mächte »da draußen«. Mein Anliegen ist nun, dass die sieben, die da inzwischen einen Konsens gegen den körperlich überlegenen Möchtegern-Autokaten entwickelt haben, mit ihrer 87.5%igen Mehrheit sich zutrauen diesen Konsens auch durchsetzen.“

 

Die Syrer

Ein Stock tiefer wohnen eine vierköpfige afghanische Familie, die gerade einige Tage in München ist, und die Gruppe aus der syrischen Stadt Homs: der 67-jährige Ali, seine Tochter May (27), deren Cousin Maxem (39) und der neunjährige Zain, Alis Enkelsohn. Die Mutter ist noch in Syrien. Zain geht in die 2. Klasse der Grundschule in Niedertaufkirchen, wo er wohlwollend aufgenommen wurde. Seine großen Augen schauen meist stumm und wie mir scheint traurig ins Weite. Ob er traumatisiert ist? Wir sitzen im gut geheizten Zimmer der Familie, die mich überaus herzlich begrüßt und zum Tee eingeladen hat. Auch hier hapert es etwas an der Verständigung auf Englisch. May übersetzt öfter ins Arabische, und es gibt längere Wortwechsel in der mir unbekannten Sprache.

Zunächst frage ich nach den positiven Aspekten. Was wünscht sich ein jeder hier? In dem erlernten Beruf arbeiten. Ali war Klempner, Maxem Innenarchitekt und Dekorateur und May möchte wieder als Bankkauffrau arbeiten und zugleich studieren. Sie ist voller Energie. „Wenn ich so viel Zeit habe wie hier, kann ich nicht richtig kreativ sein. Mir fehlt der Ansporn.“ Das Sozialamt hat ihnen mitgeteilt, dass sie frühestens nach drei Monaten in Deutschland arbeiten und sich nur in Bayern frei bewegen können. Zumindest stehen ihnen hier Fahrräder zur Verfügung.

Als im Herbst die Bomben auf Homs hagelten, sind sie über die Türkei, Griechenland und die Balkanroute nach Deutschland geflohen. Gut einen Monat waren sie mit vielen anderen in einer großen Turnhalle im nicht weit entfernten Waldkraiburg untergebracht. Doch Anlass für die Flucht waren noch weitere Gründe. Immer mehr Menschen – darunter auch Bekannte und Verwandte aus ihrer Straße – wurden und werden von Unbekannten entführt und nur gegen ein Lösegeld freigegeben. Da ist eine Art Mafia entstanden, der es nur ums Geld geht. Die Wirtschaft ist in Syrien zusammengebrochen, die Währung derart gesunken, dass für Handwerker wie Ali keine Arbeit mehr möglich ist. Und schließlich: Ali und seine Familie gehören zu den Alawiten, einer gemäßigten Richtung im Islam. Sie wurden von den Sunniten im Lande massiv als Ungläubige beschimpft und bedroht.

„Wir sind nicht für Assad. Aber er ist immer noch besser als die Islamisten. Denn die wollen den Islamischen Staat.“ sagt May, und ihr Vater nickt. Er steht dazu, ein „Ungläubiger“ zu sein. Sie würden aus dem Islam austreten. Doch darauf steht die Todesstrafe. „Viele denken wie wir“ sagt May. „Sie trauen sich nur nicht, das offen zu sagen.“

 

Die Würde des Menschen

Ich frage, ob sie schon einmal das Wort „Grundgesetz“ gehört haben. Eigentlich sollte es ihnen erklärt worden sein. Auf youtube gibt es eine ansprechende Erläuterung, leider bisher nur in Deutsch. Sie haben davon nichts gehört. Und mir fällt nicht einmal das englische Wort für „Grundgesetz“ ein. Auch mit dem ersten Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ komme ich nicht so recht durch. Würde? Dignity? Kopfschütteln. Freiheit? Freedom? Ja. Ich erkläre: Jeder darf hierzulande tun, was er für richtig hält, das gilt ebenso für Frauen. Nur sollte man/frau keinen anderen dabei schaden oder in seiner Freiheit einschränken. May versteht das sofort. In Syrien darf sich jeder öffentlich zu jeder Religion, auch zum Atheismus bekennen, sagt sie. Er darf nur nicht andere Religionen kritisieren, auch nicht die Regierung. Und das war ja wohl der Anlass für die ersten Demonstrationen 2011, die dann den katastrophalen Bürgerkrieg ausgelöst haben.
Mit ihren Nachbarn, der afghanischen Familie, kochen sie gelegentlich zusammen in der Gemeinschaftsküche auf ihrem Stock. May hat die anfangs verschleierte, äußerst schüchtern auftretende Ehefrau und Mutter dazu ermutigt, doch ihr Kopftuch abzulegen und die vollen langen Haare frei fallen zu lassen.

 

Fazit

Wir sind wie immer auf der Reise in eine ungewisse Zukunft. Mike traf ich später noch auf dem Bahnhof, er wollte weiter nach Mühldorf. Unternehmungslustig? Ruhelos? Getrieben? Es sagt sich so leicht: „Das Leben ist ein Abenteuer“. Doch dies ist kein Film mit Harrison Ford als Indiana Jones. Der Punkt ist: Vom Fernsehen zur Wirklichkeit zu kommen. Sich einmal selbst mit den Flüchtlingen zu unterhalten. Sie anzusprechen. Sie sind ja überall. In Zügen, am Rathaus. Meist mit dem Handy beschäftigt. Dem berühmt-berüchtigten „Wir schaffen das!“ möchte ich hinzufügen: „Jeder auf seine Weise.“

 

Über Christian Salvesen:

Er ist Autor, Künstler und Kenner der spirituellen Szene. 1951 in Celle geboren, Magister der Philosophie und Musikwissenschaften, Komponist und Musiker, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist/Redakteur und hat etliche Bücher veröffentlicht, darunter „Advaita“ und „Liebe – Herz aller Weltreligionen“. In den 80ger Jahren leitete er in eigenen, erfolgreichen Rundfunksendungen beim WDR und NDR zur Meditation und zum Bewussten Hören an. Er lebt mit seiner kanadischen Ehefrau in der Nähe von München. Alles weitere erfahren Sie auf www.christian-salvesen.de

 

Buchtipp:
Amir Ahmad Nasr: Mein Isl@m: Bloggen für die Freiheit. Aurum in J. Kamphausen Mediengruppe,  2016

Blog von Wolf Schneider, dem Schöpfer der Connection, die weiterhin online existiert. Hier fand der Besuch von Christian Salvesen statt.

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