Erfahrungen aus der Kindheit, die nicht gelöst und aufgeklärt wurden, werden in unserem Gehirn als unbewusste Emotionen abgespeichert. Diese unsichtbaren machtvollen Schwingungen beeinflussen unser komplettes Leben und lassen uns als Marionetten unserer Vergangenheit leben. Wie das Unterbewusstsein unser Leben übernommen hat, hat der Therapeut Dr. Menis Yousry eindruckvoll erarbeitet.
von Diana Schulz
Dr. Menis Yousry gründete 2003 die Essence Foundation. Sein Hintergrund in akademischer Forschung und seine langjährige Berufserfahrung mit Menschen in verschiedenen Ländern ließ ihn den Essence-Prozess entwickeln, der unabhängig von Kultur, Geschlecht, Religion, Glaubenssystem und Nationalität universell anwendbar ist.
Wer beeinflusst unsere Reaktion?
Wie oft haben wir uns vorgenommen, dieses oder jenes nicht mehr zu tun, und dann doch die alten Verhaltensweisen wieder an den Tag gelegt? Wie oft sind wir explodiert oder haben etwas Negatives gesagt, was wir sofort wieder bereut haben?
Laut Dr. Menis Yousry, dem Begründer des Essenz-Prozesses, liegt das Mysterium in dem unbekannten Raum zwischen unseren Handlungen und unseren Absichten verborgen. Tief in unserem Unterbewusstsein existiert eine Kraft aus Zeit und Tradition, die uns in eine bestimmte Richtung zieht. Zwar vermag uns unser bewusster Verstand bis zu einem gewissen Maße in der Gegenwart leiten und kontrollieren, doch in unserem Unterbewusstsein liegen ungelöste Probleme, Zwänge, Aberglauben und Ängste auf der Lauer. Sie geben uns unsere Gefühle vor und diktieren damit auch unser Verhalten. Diese Dynamik kann letztlich dazu führen, dass wir das Gegenteil unserer bewussten Wünsche und Träume erleben.
„Das Unterbewusstsein absorbiert die Art und Weise, wie unsere engsten Bezugspersonen auf ihre eigene Lebenssituation reagieren, und wir lernen automatisch, sie zu imitieren.“
Unser Bewusstsein wird bereits vor unserer Geburt erschaffen. Im Mutterleib nimmt der Fötus alle Gedanken, Emotionen, Glaubensmuster und Ängste der Mutter auf. Diese werden als gegeben abgespeichert und entscheiden, ob wir die Welt da draußen als bedrohlich und kalt oder als einen schönen, sicheren Ort empfinden. Später – bis zu unserem fünften Lebensjahr – erfahren wir die Welt durch Programme, die Informationen direkt in das Unterbewusstsein herunterladen, ohne diese vorher analysiert oder kritisch hinterfragt zu haben. Durch Wiederholungen werden die Informationen in unserem Unterbewusstsein im Gehirn abgelegt und verstärkt.
Bewusste und unbewusste Erinnerungen
Dr. Menis Yousry nennt diese abgelegten Informationen unbewusste Erinnerungen. Wir kommen nicht wirklich an sie heran – sie sind uns nicht bewusst, beeinflussen aber maßgeblich unser Leben und lassen uns anders handeln, als wir es uns vorgenommen haben. Laut dem Epigenetiker Dr. Bruce Lipton macht das Bewusstsein, als der Teil des Gehirns, in dem unsere bewussten Wünsche und Erwartungen an das Leben enthalten sind, nur fünf Prozent des Gesamtgehirns aus. Das Unterbewusstsein inklusive der Programme, die wir von unseren Eltern gelernt haben, sowie die Überzeugungen anderer Menschen, umfassen die restlichen 95 Prozent. Da wir die meiste Zeit aber nicht im Hier und Jetzt leben, ist unser Leben ein Abbild unseres Unterbewusstseins.
„Da das Gehirn so konzipiert ist, dass es jede Situation in der Gegenwart antizipiert, einschätzt, bewertet und darauf reagiert, basiert unser Verhalten in der Regel eher auf Informationen aus der Vergangenheit als aus der Gegenwart.“
Wie können wir uns nun aber aus der unbewussten Vergangenheit befreien, um unsere Ziele und Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen?
Zuerst erschaffen wir unseren Beschützer und dann erschafft unser Beschützer uns
Bevor wir erste Schritte zur Heilung unternehmen, sollten wir uns unseren automatischen Reaktionsmechanismus – unseren Beschützer – genauer anschauen. Der Beschützer ist so etwas wie unsere Maske, die wir uns zugelegt haben, um zu verhindern, dass wir unseren Schmerz fühlen, um irgendwie überleben zu können.
In Situationen unseres Alltagslebens und zu jeder Zeit, in der wir an Konzentration verlieren oder nicht mehr vollständig im Hier und Jetzt sind, übernimmt unser Beschützer die Führung. Mit der Zeit entwickelt sich der Beschützer, indem er sich beständig darin übt, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Er wird zu einer Maske, die wir tragen, um uns zu schützen und um gleichzeitig zu verbergen, wer wir wirklich sind.
Haben wir diese Maske lange – 20 oder 30 Jahre – getragen, ist sie uns nicht mehr bewusst. Der perfekte Schauspieler, der eine Rolle auf der Bühne des Lebens spielt, wird nun zum perfekten Spieler im Spiel des Lebens. Aber das ist nicht alles. Wir werden in unserem Umkreis auch nach Menschen und Situationen Ausschau halten, die perfekt in unser Drehbuch passen.
Mit den Jahren beherrscht unser Beschützer ein Überlebensmuster, das es uns ermöglicht, unsere Ängste zu unterdrücken. In Beziehungen zum Beispiel können wir zu viele Kompromisse schließen oder zu viel für unseren Partner tun. Dies ist ein Schutzverhalten auf Schmerz und Angst vor Ablehnung. Aber auch als Aggression, Wut und impulsive Entscheidungsfindung kann sich ein Schutzverhalten äußern, wobei es sich auch hier um Reaktionen auf unbewusste Verlassenheitsgefühle der Vergangenheit handelt.
All diese Abwehrstrategien – und es gibt sehr viele – dienen dazu, auf eine Art zu fühlen, wahrzunehmen und zu agieren, die uns vor der Angst schützt. Als Folge davon gehen wir schließlich bei jeder Handlung in unserem Leben Kompromisse ein und beschränken uns selbst. Diese Manifestationen unseres Abwehrmechanismus sind wie eine Rüstung, die wir tragen. Es handelt sich um Anpassung an reale oder imaginäre Gefahren, die wir entwickelt haben, um unsere Angst nicht zu fühlen. Dabei unterdrücken wir den Schmerz, dieser aber existiert im Verborgenen weiter.
Die Kiste mit den Erinnerungen
Wenn wir nach einem schmerzhaften Erlebnis die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen und die Gefühle verarbeiten zu können, wird diese Erfahrung in unserem Gehirn in eine bewusste Erinnerung umgewandelt. Schmerzhafte Gefühle, die verdrängt wurden und somit in die Kiste der verborgenen Erinnerungen abgelegt wurden, werden immer wieder versuchen mit unserem Bewusstsein Kontakt aufzunehmen, damit sie geheilt werden.
Eine passende Analogie dazu wäre, sich an all die Bücher zu erinnern, die wir bereits gelesen haben, insbesondere an das, in dem uns noch das letzte Kapitel fehlt. Wahrscheinlich erinnern wir uns eher an das Buch, welches wir noch nicht beendet haben, als an diejenigen, die wir bereits bis zum Ende gelesen haben. Im menschlichen Bewusstsein geht es darum, abschließen zu können, und daher wird das Bewusstsein danach streben, alle ungelösten Geschehnisse einer Lösung zuzuführen. Und genau aus diesem Grund geht die Kiste mit den unbewussten Erinnerungen immer wieder auf.
Fühlen ist der Schlüssel
Der Schlüssel zu unserer wahren Essenz ist das Fühlen. Dr. Menis Yousry sagt dazu: „Betrachten Sie Ihren Schmerz mit den Augen des Mitgefühls und fühlen Sie ihn, aber nicht mit einer Art von Pflichtgefühl, um die Dinge besser zu machen und nicht fühlen zu müssen. Nur das Mitgefühl kann den tiefen Schmerz auflösen, den wir seit Jahren ganz allein mit uns herumtragen. Über unser Mitgefühl haben wir die Fähigkeit, den Schmerz in ein einfaches Gefühl umzuwandeln. Genauso wie unser Körper Nahrung benötigt, brauchen wir Liebe, körperliche Berührung und Fürsorge. Liebe ist die fehlende Verbindung in unseren unterbrochenen Verbindungen mit den Menschen, die uns hätten lieben sollen. Mangel an Liebe hat sich in Schmerz verwandelt. Wir können die Verbindung wiederherstellen, wenn wir unseren Schmerz mit Liebe betrachten. Ein Großteil unseres Leids entspringt einem Mangel an Liebe.“
Wer verbirgt sich hinter der Maske?
Es ist gut möglich, dass wir Angst vor der vermeintlichen Leere haben. Was bleibt übrig, wenn die Zwangshandlungen wegbleiben? Unsere wahre Essenz – das was hinter der Maske ist – ist mehr, als wir uns je vorstellen können. Wenn unser Gehirn all die mechanischen Aktivitäten verarbeitet – wer trifft dann diese Entscheidungen? Zur Erinnerung: Unser Beschützer besteht aus neurobiologischen Verknüpfungen im Gehirn. Aber wie kann unser Gehirn, das derartige unbewusste Bewältigungsstrategien und Abwehrmechanismen erschaffen hat, seine eigene Konditionierung verändern? Können sich unsere Gedanken über sich selbst erheben, um die Strategien wieder aufzulösen, die sie selbst erschaffen haben? Oder anders gesagt: Kann das Gehirn das Gehirn verändern?
Die wahre Essenz
Alles, was wir wirklich sind, muss weit größer sein, als wir glauben. Es gibt eine wahre Dimension hinter all diesen Dingen und das ist unser Bewusstsein im JETZT. Es geht darum, unsere Gefühle im Jetzt zu leben, aus unseren unmittelbaren bewussten Handlungen und nicht aus unseren unbewussten Reaktionen heraus.
Das Ziel besteht somit nicht darin, unsere Schutzpersönlichkeit zu eliminieren – denn täten wir das, würde sich sofort eine andere bilden –, sondern sie so zu sehen, wie sie ist und in unserem Herzen Mitgefühl für sie zu entwickeln. Das Paradoxon hier besteht im Bewusstsein, denn wenn unser Beschützer sich selbst erkennt, besteht keine Notwendigkeit mehr für seine Existenz.
Ein Artikel von Diana Schulz
Über Dr. Menis Yousry
Er wurde in Kairo geboren und arbeitete über 15 Jahre als Familientherapeut, systemischer Therapeut und Psychologe für den staatlichen Gesundheitsdienst in Großbritannien.
2003 gründete er die Essence Foundation, eine Stiftung, in deren Rahmen er weltweit Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung und Selbsterfahrung gibt. Sein Hintergrund in akademischer Forschung und seine langjährige Berufserfahrung mit Menschen in verschiedenen Ländern, ließ ihn den Essence-Prozess entwickeln, der unabhängig von Kultur, Geschlecht, Religion, Glaubenssystem und Nationalität universell anwendbar ist.
www.essence-foundation.com
Dr. Menis Yousry: „Verborgene Erinnerungen – unsere Reise zum wahren Selbst“
Verlag: EchnAton
Umfang: 256 Seiten
ISBN: 978-3-937883-44-1
Preis: 17,95 €
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