Das Multitalent Alejandro Jodorowsky, Chilene russisch-jüdischer Abstammung, mit umfassenden Erfahrungen als Drehbuchautor, Filmregisseur, Comic-Szenarist, Performancekünstler, Psychotherapeut und Autor, befasst sich in seinem neuen Buch „Praxisbuch der Psychomagie“ mit rituellen Akten zur Selbstbefreiung und Heilung – so auch der Untertitel.
Sein Anspruch ist so hoch, wie die Fülle seiner insgesamt 80 Problemfelder, von sexueller Abwertung über Platzangst bis Alkoholismus und Liebeskummer, die er im ersten Teil des Buchs näher ins Auge fasst. Im zweiten und dritten Teil fügt er Ratschläge für die Gesellschaft sowie für Ratsuchende an.
Für Jodorowsky verbindet sich im Begriff „Psychomagie“ die Psychologie, als Methode, die mit dem Wort heilt, mit der traditionellen Magie und der Hexenkunst, die davon ausgehen, dass die äußere Welt durch abergläubische Rituale zu beeinflussen sei. Psychomagie arbeitet mit der Erinnerung und ihrer Veränderung; denn um die Welt zu verändern, muss man damit anfangen, sich selbst zu verändern.
Aus den Erfahrungen und Feedbacks, die Jodorowsky in seinen Tarot-Stunden gewann, indem er Ratsuchenden psychomagische Handlungen als Lösungen vorschlug, entstand sein neues „Rezeptbuch“, wie er es nennt. Psychoanalytiker glauben, die Symptome des Patienten würden weichen, sobald der Grund für sie entdeckt ist. Jodorowsky dagegen meint, dass wir uns nur von dem Impuls, der aus dem Unterbewusstsein aufsteigt, befreien können, wenn wir ihn verwirklichen; daher schlägt die Psychomagie vor, nicht nur zu sprechen, sondern auch zu handeln.
So geht der Ratsuchende den umgekehrten Weg der Psychoanalyse: Die Ratio wird angehalten, die Sprache des Unterbewussten zu beherrschen und nicht umgekehrt. Wer seine kleine Schwester umbringen möchte, weil sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann das Verbrechen für das Unterbewusste vollziehen, indem er ein Foto auf eine Melone klebt und mit dem Hammer darauf schlägt.
Der Autor beschreibt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Psychomagie wirken kann und zieht Parallelen zur alten Magie und ihrem Umgang mit „unreinen“ Dingen. Er erklärt ebenso die Bedeutung von Namen, Klängen und Mantras und ihre Verbindung zu seelischen Qualitäten, bevor er in seinen Problemfeldern seinen umfangreichen Erfahrungsschatz öffnet und pyschomagische Handlungsanweisungen gibt, diese zu lösen.
Im zweiten Teil des Buchs über die kollektiven, die Gesellschaft betreffenden Probleme und deren Heilung hat Jodorowsky erstaunliche Beispiele gesammelt, die zwar hauptsächlich aus dem süd- und nordamerikanischen Raum sind, aber dennoch in ihrer Eindringlichkeit Allgemeingültigkeit besitzen.
Seinen dritten und letzen Teil leitet der Autor mit Zusammenhängen zwischen Universum, unserem Planeten und der menschlichen Entwicklung des Bewusstseins ein und weist auf die geheimnisvolle Energie hin, die die Neuronen miteinander verbindet. Wenn wir aufhören, uns zu „identifizieren“ und zu „definieren“ ereichen wir die Einheit, in der es keine Trennung zwischen Individuum und Schöpfung gibt. Jodorowsky gibt zwar zu, dass in Anbetracht der spärlichen Bewusstseinsentwicklung unserer Zeit diese Vorsätze utopisch klingen mögen, dass wir aber ohne diese Zielsetzung kaum den erforderlichen geistigen Wandel vollziehen können. „ Das Bewusstsein ist grenzenlos, seine Entwicklung ist unaufhörlich und endlos. Daher ist es empfehlenswert, dass auch ein gesunder Mensch von Zeit zu Zeit einige psychomagische Akte durchführt“, so der Autor und empfiehlt sich von „spirituellem Müll“ zu trennen.
Manche Ratschläge, die Jodorowksy bewusst dem „gesunden Ratsuchenden“ gibt, sind durchaus radikal; wie zum Beispiel das Sich-Loslösen von vampirhaften Freundschaften, aber es liest sich spannend und ist immer überraschend.
Eine Rezension von Doris Iding
Verlag: Windpferd Verlag 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3893856684
ISBN-13: 978-3893856688