Selten sind wir mal so begeistert von einem Buch, dass wir hier gleich einen Auszug veröffentlichen. Abdi Assadi aber schrieb ein wirklich wundervolles Werk über Irrungen und Wirrungen auf dem spirituellen Weg – treffend, klar, humorvoll und das Wesentliche ansprechend. Das Buch „Schatten auf dem Pfad“ (der Untertitel des Buches ist unsere Überschrift – s.o.) erschien im Theseus Verlag.
von Abdi Assadi
Alle Worte sind Lügen. Im besten Fall verweisen sie auf die Wahrheit. Im schlechtesten führen sie vollkommen in die Irre und sorgen für Verwirrung. Wir wissen eigentlich alles, was es zu wissen gibt – wenn wir nur unseren Verstand zur Ruhe bringen könnten. Das ständige Geschnatter, die Sorgen und die Selbst-Befragungen, die aus der Illusion der Trennung von unserer Quelle entstanden sind, verschwinden wie von Zauberhand, wenn wir uns unserer angeborenen Verbindung entsinnen. Wir alle haben schon solche Momente erlebt, etwa wenn wir tief ins Gebet oder in eine Meditation versunken waren, beim Betrachten oder Erschaffen eines schönen Objektes oder wenn wir eine gute Tat getan oder haben oder man sie uns getan hat.
Der Zweig und der Mond
Es gibt eine berühmte Lehre der Zen-Tradition, in der ein Schüler nach dem Mond fragt. Ein Zweig wird benutzt, um auf ihn zeigen und die Lehre warnt uns den Zweig nicht mit dem Mond zu verwechseln. Das Problem mit den Worten ist, dass sie Zweige sind – sie können nie der Mond sein. Im besten Fall sind sie wunderschöne Zweige, die die Form, das Licht oder die Herrlichkeit des Mondes beschreiben und es unseren Augen erlauben, ihn direkt anzusehen. Im schlimmsten Fall sind sie weitverzweigte Äste, die sich in viele Richtungen ausbreiten und uns noch mehr durcheinanderbringen. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind in Nigeria lebte. Ich versuchte meinem Freund Femi, der nie über die Stadtgrenzen von Lagos hinaus und weg von dieser beklemmenden, ständigen Hitze gekommen war, etwas von Schnee zu erzählen. Ich weiß noch, wie ich die Tür des Kühlfachs öffnete und auf das frostige Eis zeigte, und dabei versuchte, ihm weis zu machen, wie dieses Zeug in einem Schneesturm vom Himmel kommt und den Boden bedeckt. Das Eis im Kühlfach fing schon an zu schmelzen, während ich die Tür so offen hielt. Beinahe vierzig Jahre später hallt diese Erfahrung immer noch in mir nach. Wahrheiten müssen in unseren Leben und in unseren Knochen erfahren werden, um zu uns zu gehören. Dieses Buch ist mein bescheidener Versuch, all denjenigen etwas Klarheit und Ermutigung zu bieten, die wissen, dass da noch mehr ist, als uns unsere physischen Sinne weismachen wollen. So wie wir unsere Leben leben, Rechnungen bezahlen, nach Beziehungen suchen oder sie pflegen, tiefe Wunden verursachen oder heilen, urteilen und beurteilt werden, gibt es da auch eine Sehnsucht nach Frieden. Egal ob durch die Anhäufung materieller Güter oder durch Hingabe, durch psychologische Integration oder Dogenmissbrauch, die universelle Wahrheit ist, dass wir alle nach etwas Trost suchen.
Hoffnungen und Ängste
Meine Suche nach Wahrheit begann als Kind und entwickelte sich in meiner Jugend zu einem inneren Feuer. Mein Weg führte über Drogenmissbrauch, die Faszination und den Flirt mit dem schmalen Rand des Abgrunds, das Platz nehmen zu Füßen zahlreicher spiritueller Meister, jahrzehntelange Therapien, eine gründliche Kampfsport- und Meditations-Praxis, die Scheidung meiner Ehe und zwanzig Jahre Arbeit als Therapeut und Akupunkteur, zu der auch das Lernen von und die Arbeit mit Patienten gehörte, die an AIDS sterben. Wenn es eine Sache gibt, die ich während der Behandlung von buchstäblich tausenden von Menschen aus allen Gesellschaftssichten gelernt habe – von Schwerkriminellen bis zu den Geschäftsführern großer Firmen, von Prostituierten zu Priestern, von Einsiedlermönchen zu berühmten Schauspielern und Künstlern – dann ist es, dass wir alle gleich sind. Wir alle haben dieselben Hoffnungen und Ängste, verhüllt in unterschiedlichen Verkleidungen. Was ich hier mitteile, sind die Beobachtungen, die ich auf meiner eigenen Reise gemacht habe, die Lehren derer, die mir auf meinem Weg geholfen haben und die Weisheit der Reisenden, die ich begleiten durfte. Meine Absicht ist es, dich an deine Herrlichkeit zu erinnern und die Wolken zu vertreiben, die das helle Licht verdecken, das den Nachthimmel deines Bewusstseins regiert. Dieses Buch ist nur ein Zweig. Du bist der Mond.
Wie man den Wecker benutzt, um weiterzuschlafen
Nie zuvor in der Geschichte gab es so viele Sirenengesänge, die um unsere tägliche Aufmerksamkeit buhlen. Von der Kindheit bis zum Sterbebett werden wir von Werbungen und kommerziellen Aufforderungen belagert, jede von ihnen kunstvoll (oder weniger kunstvoll) gesponnen, um ihre Anziehungskraft auf unsere Eitelkeit, unsere Habgier und unsere Unsicherheit zu verbergen. Der Marketingapparat ist zu einem durchdringenden und unanfechtbaren Netz mutiert, das alle Bereiche unseres Lebens fehlinformiert. Dieselbe Maschinerie, die uns mit Angst verführt und uns anschließend eine kurzzeitig wirkende Salbe verkauft, treibt auch in der spirituellen Welt ihr Unwesen. Hier sitzt der große, dicke Elefant auf dem Meditationskissen: Spiritualität ist ein Geschäft. Und eines bleibt bei einem Geschäft immer gleich, egal ob es Tabak verkauft oder die Erlösung verspricht: Es ist nur an Profit und Wachstum interessiert.
Das offensichtliche Problem dieses Vermarktungsmodells auf dem spirituellen Weg ist, dass es uns viele hübsche, exotische Werkzeuge und Techniken bieten kann, die uns nicht helfen, aufzuwachen. Im Gegenteil funktionieren sie wie wunderschöne Wecker, die ein starkes Schlafmittel verbreiten, das uns gemütlich in unserem spirituellen Schlaf hält. Sie sehen vielleicht echt aus, wirken aber genau gegensätzlich: Konsumenten dieses Produkts werden vom richtigen Weg abgelenkt. Es ist, als hätte man die Wegweiser an einem Autobahnkreuz verwechselt und würde jetzt Vollgas geben; ohne es zu wissen, entfernt man sich mit jeder Minute weiter von seinem geplanten Ziel.
Samsara
Im Buddhismus und Hinduismus gibt es einen Begriff für unsere tägliche materielle Welt: Samsara. Das betrifft das Leben, das wir führen – das Gute, das Schlechte und das Hässliche. Die wortwörtliche Übersetzung des Wortes wäre in etwa „ein Wandern oder ein Übergang durch verschiedene Zustände“. Dieses Reisen bezieht sich auf den unendlichen Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt. Im Allgemeinen wird es nicht als positives Attribut angesehen. Vielmehr resultiert es daraus, dass wir unser wahres Selbst vergessen und in einem ständigen Angstzustand leben, der mit dieser Illusion der Trennung von unserem Selbst einhergeht. Um es ganz deutlich zu machen, lehren die Buddhisten, dass Buddha einst seine Mönche fragte, was wohl umfassender wäre, das Wasser in den Ozeanen oder die Tränen, die man während seiner Lebenszeit vergießt. Natürlich lautet die richtige Antwort: „Die vergossenen Tränen“. Der einzige Ausweg aus dieser schmerzhaften, tränen-durchtränkten Reise ist, aufzuwachen und sich auf den Weg zur Erleuchtung aufzumachen.
Dieses Gerede vom „unendlichen Geburtszyklus“ kann kitschig klingen und einige von uns zum sofortigen Abschalten bringen. Es fällt uns schwer genug, mit den Problemen unseres täglichen Lebens fertigzuwerden, ohne uns obendrein noch mit einem abgefahrenen, überhöhten Konzept zu beschäftigen. Tatsächlich muss sich Jeder oder Jede, der oder die mehr als ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat, irgendwann mit dieser ungeheuren Masse an Schmerzen beschäftigen, die mit den schönen Dingen des Lebens einhergeht. Diese Schmerzen sind es, die uns auf die Reise zu uns selbst zurückführt. In all den Jahren meiner Arbeit als Heiler habe ich es nicht ein Mal erlebt, dass Jemand durch meine Tür kam, der sich nicht wirklich gezwungen sah, sich mit der Wirklichkeit seines Leidens auseinanderzusetzen – egal ob aus physischen, psychischen oder emotionalen Gründen. Niemand hat mir je gesagt, dass sein Leben wundervoll sei, er aber einfach mal sehen wolle, was es da draußen sonst noch so gibt. Abgesehen von den wenigen spirituell reifen Menschen, die sich aufgrund eines immanenten Verständnisses auf diesen Weg machen, wird diese Reise normalerweise durch eine Öffnung gegenüber unserem Leid veranlasst.
Die Suche
Die Frage, die sich stellt, sobald wir uns unseren Schmerz bewusst gemacht haben, ist, wie wir auf diese unhöfliche Einladung auf den Weg zurück zu unserem Selbst reagieren. Unabhängig von unserer spirituellen Ausrichtung, beginnt die Antwort mit einer Suche. In der Tat basiert die Konsumkultur auf dem Prozess, einen Ausweg aus den konstant unterschwelligen Sorgen und Schmerzen zu suchen. Wir suchen nach der nächsten Mahlzeit, Zigarette, dem nächsten Liebhaber oder Sexpartner, um den Schmerz zu beseitigen. Jede Aktion basiert auf einem egoistischen Motiv, diese Gefühle abzustoßen, obwohl wir mit der Zeit lernen, dass sie keine anhaltende Wirkung haben. Von diesem Ort der seelischen Unterernährung begeben wir uns auf unsere spirituelle Reise.
Wie mit jedem Feuer, müssen wir zuerst ein Streichholz anzünden, um eine Flamme zu bekommen. Das spirituelle Suchen ist dieses Streichholz – und es ist auch genau der Punkt, an dem die meisten von uns steckenbleiben können und werden. Die ersten Strahlen unseres eigenen Lichts, die uns ein Lehrer, eine Religion oder eine Technik auf uns zurückwirft, können wirklich etwas Magisches an sich haben. Es ist wie Regenwasser auf unseren ausgetrockneten Lippen, nachdem wir lange auf allen Vieren durch die Wüste gekrochen sind, das wir genießen und aufsaugen. Es zeigt uns ein Gefühl von Lebendigkeit und Frieden, das uns entgangen war, obwohl es direkt unter unserer Nase lag. Allerdings ist es nur eine Vorspeise und nicht der Hauptgang.
Mit den Fußspitzen im Ozean
An dieser Stelle können mehrere Sachen geschehen. Eine davon ist, dass wir süchtig nach diesem ersten Gefühl der Anbindung werden und anfangen, es überall zu suchen. Es ist eine häufig auftretende Falle, bei der es unser Ego genießt, sich die Fußspitzen im Ozean anzufeuchten, in dem Bewusstsein, dass es sicher im seichten Wasser steht und deshalb alles tun wird, um nicht ganz unterzutauchen. So beginnt der Suchprozess, von Lehrer zu Lehrer, von Workshop zu Workshop, von Buch zu Buch. Die Funktion eines Streichholzes ist, ein Feuer anzuzünden; wenn man immer weiter Streichhölzer anreißt, obwohl das Feuer schon brennt, weist das auf tieferliegende psychologische Probleme hin. Der „spirituelle Markt“ bietet momentan eine Vielzahl origineller Streichhölzer, Feuerzeuge, entflammbarer Flüssigkeiten und Flammenwerfer. Es gibt keinen Mangel an Produkten oder Menschen, die sich gerne unserer pyromanischen Neigungen annehmen – und die an diesen Diensten verdammt gut verdienen. Das Ego tappt schnell in die Falle, indem es uns mit dem Gedanken hypnotisiert, dass wir die notwendige Arbeit verrichten. In Wahrheit führen wir unsere Bettruhe unter dem Schein des Aufwachens weiter. Dies ist ein klassischer Fall des Weckers, der Schlaflieder singt und versucht, uns im Bett zu halten. Wir schlafen vielleicht nicht mehr tief und fest, aber wir haben auch nicht vor, aufzustehen. Das Ego ist geübt darin, uns mit dem Versprechen unseres leiblichen Wohls und Rund-Um-Die-Uhr-Room-Service ruhig zu stellen.
Spirituelle Veteranen
Vieles in der heutigen spirituellen Industrie dient dazu, uns in dieser Phase unserer Reise zu verhätscheln. Wir können riesige Buddhas in unseren Wohnungen aufstellen, uns Zen-Sprüche aufhängen oder die Weisheiten der Propheten auswendig lernen. Wir können uns eine Sammlung an spirituellen Büchern anlegen, die jede Bibliothek beschämen würde. Aber unser Ego wird es sich dadurch nur gemütlicher machen und selbstgefälliger sein. Die Möglichkeit seiner Vernichtung wurde abgewendet und die Verbindung mit der materiellen Welt wieder voll hergestellt.
Es scheint eine ganze Armee erfahrener spiritueller Veteranen zu geben, viele von ihnen inzwischen im mittlere Alter, die in ihrem Leben profunde spirituelle Erfahrungen gemacht haben, aber ihr Streben aus dem einen oder anderen Grund nicht genährt oder weiterverfolgt haben. Das Gewicht unserer materialistischen Kultur bedeutet für jede fragende Seele eine schwere Last. Aber auch Faulheit und Disziplinlosigkeit führen uns auf Abwege. Den Weg zu gehen ist ein Entschluss, den wir täglich fassen müssen: Verfolgen wir das flüchtige Ego oder sterben wir für das Äußere und erwecken uns zum Inneren?
Den Geist des Anfängers kultivieren
Eine brauchbare Analogie ist das, was mit der 68er-Generation und dem großen sozialen Erwecken passiert ist, das damals in den Vereinigten Staaten geschah. Nach einer anfänglichen Explosion von Energie und Wandel, griff das große Nickerchen wieder um sich. Einige der radikalsten Befürworter des Wandels dieser Zeit wurden die heftigsten Fürsprecher des Status Quo. Genauso ist es mit dem spirituellen Aufwachen: Es gibt eine Erfahrung der Öffnung und der Möglichkeiten und anschließend sickern die alten Muster wieder durch. Wachsamkeit ist das einzige Mittel, eine Vertiefung des Prozesses sicherzustellen. Viele Wege lehren uns, immer Anfänger zu bleiben – ein „Anfängergemüt“ zu kultivieren – weil uns das die nötige Bescheidenheit schenkt, konstant zu suchen und uns auf unser Ziel zuzubewegen. Es stellt sicher, dass wir die anfängliche Öffnung nicht mit dem Ziel verwechseln.
Triffst Du den Buddha, töte ihn
Eine andere Gefahr auf dem Weg ist es, den Zweig mit dem Mond zu vertauschen. Erinnerst du dich noch an die Zen-Geschichte? Der Lehrer oder die Technik sind der Zweig, ein Werkzeug, das uns den Weg zu unserem Selbst (dem Mond) zeigen kann. Dankbarkeit gegenüber unserem Lehrer oder einer Technik zu empfinden, ist ein Teil unseres Wesens, kann aber auch ein Hindernis sein. Die Warnung des Zen-Meisters Lin Chi „Wenn du den Buddha auf der Straße triffst, töte ihn“, spricht genau dieses Dilemma an. Sie lehrt uns, dass wir Niemanden über uns selbst stellen sollen, weil die Wahrheit nicht nur in uns steckt, sondern wir tatsächlich die Wahrheit sind. Warum sollte man das Wesen töten wollen, das einem auf seinem Weg geholfen hat? Das hat nichts mit Gewalt oder Wut zu tun, sondern damit, ein Gefühl loszuwerden – in diesem Fall Dankbarkeit – das zur Hürde geworden ist. Die Stützräder am Fahrrad waren dazu da, uns Kindern das Gleichgewichtsgefühl beizubringen. Wir behalten sie nicht am Rad, nachdem wir gelernt haben, selbst die Balance zu halten, und wir vergolden sie auch nicht oder verzieren sie mit Juwelen und stellen sie auf einen Altar. Wir bauen sie einfach ab und fahren ohne sie weiter. Dabei ist es genau diese Art der Götzenverehrung, die viele von uns davon abhält, sich weiter vorwärts zu bewegen.
Persönlichkeitsverehrung
Dieses Problem wird durch unsere Kultur der Persönlichkeitsverehrung begünstigt. Wir können über Nordkorea und seinen raffinierten Führerkult lachen oder ihn mit Grauen betrachten. Aber man muss sich nur einen Zeitungsstand oder eine der zahlreichen TV-Shows, die sich mit „Prominenten“ beschäftigen, ansehen, um zu verstehen, wie tief wir selbst in diesem dichten Nebel stecken. Das spirituelle Leben einer Kultur enthält immer auch einige Aspekte des breiteren, öffentlichen Unbewusstseins. Es ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, unseren Lehrer zu einem prominenten Götzen zu machen – und es zu tun, ohne die ursprüngliche Wunde zu untersuchen, die unsere Lust nach Berühmtheit überhaupt erst antreibt. Ein unausweichlicher Teil dieser Projektion ist das Gefühl des Besitzes: Der Promi-Guru ist unser Guru, was wiederum zu einer weiteren Vergrößerung des Egos führt. Und so verlieren wir die Wahrheit, dass wir alle eins sind und es daher keinen Grund gibt, eine andere Person über uns zu stellen. Wir können einem Taxifahrer extrem dankbar dafür sein, dass er uns an unser Ziel gebracht hat, aber wir werden uns ihm deshalb sicher nicht für den Rest unseres Lebens unterwerfen. Es ist eine Eigenschaft aller großen Lehrer, dass sie uns ihre Einheit mit uns mitteilen. Auf der anderen Seite ist es ein Zeichen halbgarer Lehrer, dass sie ständig ihre Überlegenheit uns gegenüber betonen.
„Selbsthilfe“
Wir alle sind unendlich trickreiche Wesen mit der Fähigkeit, jedes Mittel oder jeden Lehrer dazu zu nutzen, unsere Egos zu stärken. Wir können uns in einem heiligen Gewand, einer Yoga-Praxis, hinter Psychotherapie oder schamanischen Ritualen verstecken. Alles, was unser Selbstbild stärkt ist ein Feind und ein Hindernis. So vieles von dem, was als „Selbsthilfe“ durchgeht, ist reine Egoschmeichelei; es existiert, um das Gefühl unserer eigenen Wichtigkeit als Suchende auf dem Weg zu stimulieren und zu hofieren. Unsere Reaktion auf das Leben ist der größte Test dessen, wie wir wirklich vorankommen. Werden unsere Prioritäten oder Aversionen auf das, was uns das Leben bringt, stärker oder schwächer? Nehmen unsere Urteile ab und wächst unsere Toleranz? Bauen wir Brücken von unserer täglichen Meditationspraxis zu unserem Verhalten bei der Arbeit oder mit unseren Partnern? Unsere Seelen lassen sich nicht täuschen; das Göttliche kann man nicht hintergehen. Es strahlt seine Anmut aus, indem es uns zuerst sanft und bald ganz brutal den Boden unter den Füßen wegreißt.
Suchen und finden
Auf dem spirituellen Weg und in der Welt an sich können „ismen“ ein Fluch sein, weil sie den von Natur aus unwahren aber trotzdem tief verinnerlichten Sinn der Trennung bestärken, unter dem wir alle leiden. Wir müssen ehrlich werden im Finden und Suchen nach dem Weg zu unserer Erweckung. Intellektuelles Wissen und Konzepte sind hier unbrauchbar. Sie sind nicht in Erfahrung verankert und können uns daher auf Abwege führen. Die technischen Zeichnungen des Architekten und das fertige Haus sind zwei völlig unterschiedliche Dinge: Das eine kann ein Vorläufer des anderen sein, aber bis wir nicht unsere Ärmel aufkrempeln, sind die Grundrisse als Dach über dem Kopf ungeeignet. Wir müssen all unsere Geschichten aufgeben, damit es uns möglich wird, einen Blick auf die Wahrheit zu werfen. Wenn du diesen Text liest, kann es sein, dass dein Wecker schon geklingelt hat. Vielleicht liegst du noch immer im Bett und fragst dich, ob du aufstehen sollst, obwohl du schon so lange liegst, dass du schon Wundmale am Rücken hast. Vielleicht bist du auch schon vor langer Zeit aufgestanden und dann auf der Couch wieder eingeschlafen. Vielleicht kämpfst du aber auch für die gute Sache und stehst völlig wach auf deinen Füßen. Egal wo wir momentan sind, lass uns einander dazu anhalten, heute ein bisschen mehr zu sterben, ein Stück weiter loszulassen und ein wenig mehr zu erinnern.
Auszug aus „Schatten auf dem Pfad. Wie uns die Suche nach Erleuchtung hinters Licht führen kann“, Theseus Verlag.
Die Kapitelüberschriften haben wir von der Connection spirit übernommen, einem unserer Medienpartner: www.connection.de