Was einen nicht umbringt, macht einen stärker, heisst es. Für den heutigen Heiler Martin Wertsch mag dieser Ausspruch einen Lebensabschnitt beschreiben, der ihm ein hohes Maß an Mut und Überwindung abverlangte. Sich aus einem Geflecht von Ängsten erfolgreich zu befreien, ist eine erstaunliche Leistung. Der Autor hat frühe Ängste überwunden und hilft heute denen, die unter solchen leiden.
von Martin Wertsch
»Furcht besiegt mehr Menschen als irgendwas anderes auf der Welt.« (Ralph Waldo Emerson)
Die Kindheit ist eine magische Phase. Wir tun alles zum ersten Mal. Zähneputzen, sich mit Seife waschen, Risse in Mauern bewundern, in falschen Farben träumen, fliegen können, sich an Wolken festhalten, die Sonne als beste Freundin haben, mit den Sternen reden und mit dem Mond spazieren gehen. In unseren winzigen Körpern bündelt sich die Achtsamkeit wie Sonnenlicht in einer Lupe: Mit pochendem Herzen betrachtete ich den Lampenschirm, der mich anstarrte wie eine große Spinne. Starr vor Angst lauschte ich dem Streit meiner Eltern. Bang hüpfte mein Herz und ich glaubte meine Augen müssten verbrennen, wenn ich noch länger die große schwarze Spinne mit meinen Blicken berührte.
Als Kind hatte ich Angst vor allem: Fremden Menschen, vertrauten Menschen, der offenen Straße, dem brummenden Kühlschrank. Alles war lebendig. Jeder Kieselstein hatte Persönlichkeit, jeder Grashalm sein Eigenleben. Wolken waren Gesichter, Blätter und Äste bewegten sich verdächtig. Wie eine giftige Schlange lag der Gartenschlauch im Gras.
Die Ereignisse überforderten mich. Nach der Scheidung meiner Eltern schloss ich mich lieber in mein Zimmer ein, um alles und jeden auszusperren. Der Umzug mit meiner Mutter in eine andere Stadt; eine neue Schule, lauter Kinder, die ich nicht kannte: Plötzlich war alles anders. Meine Mutter und ich lebten allein und hatten den Kontakt zum Rest der Familie verloren. Ich wurde ein Außenseiter, der ständig unter Ängsten und Neurosen litt.
Meine Mutter war Zeit ihres Lebens immer mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, und so hatte sie weder die Möglichkeit noch den Willen, für mich da zu sein. Ich weiß nicht, wo ich heute wäre, oder ob es mich noch gäbe, wenn ich als Kind keine derart bunte und starke Fantasie gehabt hätte. Früher hielt ich es für eine Flucht nach Innen. Heute weiß ich, dass mir mein ›Spiel mit den Gefühlen‹ das Leben gerettet hat.
Die Angst hilft uns, Gefühle zu kontrollieren. Mit der Angst frieren wir unsere Gefühle gleichsam ein. Danach müssen wir sprichwörtlich »auftauen«, um unseren Gefühlen wieder freien Lauf zu lassen. Wer jedoch vollständig starr vor Angst ist, eingeschnürt wurde in das Korsett der Angst, ist im Teufelskreis der Gefühlskontrolle gefangen. Er kann seinen Gefühlen nicht länger freien Lauf lassen, aus Angst, was mit ihm passieren könnte. Ihm fehlt das Vertrauen, das Gefühl der Sicherheit, um so weit entspannen zu können, dass er die Kontrolle über sich selbst und seinen Körper loslässt. Wer aber seine Gefühle kontrolliert, indem er sie einfriert, der kann auch das Gefühl der Sicherheit nicht spüren. Es ist ebenfalls eingefroren.
Klimawandel, Umweltkatastrophen, ein Unfall im Atomkraftwerk oder auf der Autobahn… Ängste, so denken viele, sind irrational. In Wahrheit sind unsere Ängste rational. Darum sind sie so hartnäckig. Es ist nun einmal wahr, dass man jederzeit aus heiterem Himmel einen Herzinfarkt erleiden kann. Wir können diesen Gedanken noch so sehr wegdrücken oder relativieren, er bleibt wahr. Stress und Angst reichen sich brüderlich die Hände. Beide verringern die Stressresistenz unseres Bewusstseins. Derart sammeln sich die Ängste ganz von selbst immer weiter an. Je mehr Angst jemand hat, umso schlechter kann er mit seinen Ängsten umgehen. Und je schlechter er mit seiner Angst umgeht, umso mehr Ängste sammeln sich an. Dieser Teufelskreis »angestauter Ängste« ist ein entscheidender Aspekt jeder Angsterkrankung. Er muss durchbrochen werden, wollen wir den Weg der Heilung gehen. Aber wie?
Vier Jahre lang ging ich jede Woche zum Psychiater – nur um noch präziser zu wissen, warum ich unter Ängsten litt. Die Biografie aufzuarbeiten, half mir sehr wenig. Ich erfuhr alle Gründe für mein Leid, aber keine Erlösung davon.
Ich tat das einzig Richtige und konfrontierte mich mit der Angst. Es war Zeit, die seichte Wasseroberfläche meines Bewusstseins zu verlassen, um stattdessen tief darin einzutauchen. Bis auf den Grund hinunter, um die Wurzel meiner Angst zu lösen.
In der Meditation fühlte ich in meinen Körper hinein. Er fühlte sich verkrampft an und ich konnte meine Beine nicht still halten. Ich schloss die Augen und fühlte weiter nach. Allmählich wurde mir bewusst, dass diese Unruhe von irgend woher aufstieg. Ich fühlte immer tiefer in meinen Körper hinein und richtete meine Aufmerksamkeit auf mein Steißbein. Die innere Verkrampfung war hier am größten, so als würde ich mein Steißbein umklammern. Ich blieb mit meiner Aufmerksamkeit bei meinem Steißbein und beobachtete, wie die Angst von hier ausging und aufstieg… Es fühlte sich wie etwas an, dass stoßweise immer wieder Angstimpulse nach oben durch meinen Körper sendete. Wie elektrische Luftblasen, die zur Wasseroberfläche steigen.
Ich war verblüfft. Meine Angst hatte einen Ort in meinem Körper, der physisch spürbar war. Als ich weiterhin mit meiner Aufmerksamkeit an meinem Steißbein blieb, gab ich diesem festen Gefühl ein Bild. Ich dachte sehr schnell an einen kleinen Welpen, der sich zusammenkauerte und erstarrte. Ich hatte Mitleid mit diesem kleinen Wesen und bekam eine Ahnung davon, was dieses kleine Tier empfand. Es fühlte sich einsam. Plötzlich begann mein Herz zu klopfen und mit einem mal empfand ich eine starke, reine, bedingungslose Liebe für den Welpen.
Ich war erstaunt. Nicht nur, weil ich herausgefunden hatte, wo meine Angst saß, sondern auch wegen der Erkenntnis, wie vielschichtig sie war. Ich hatte zum ersten Mal unter die Angst schauen können. Da war buchstäblich etwas in mir, das sich einsam fühlte. Ich begriff zum ersten Mal, dass die ständige Unruhe in mir, wie ein Notsignal war. Impulsartig wurde es immer wieder ausgesendet, in der Hoffnung, jemand würde es hören.
Jahre später, als ich selbst als Therapeut tätig war, nutzte ich meine emotionalen Zugänge neu. Ich habe dank meiner schweren Kindheit gelernt, Dinge leichter zu sehen und zu nehmen. Ich habe gelehrnt der Wahrheit meiner Gefühle zu vertrauen. Das erforderte eine Entscheidung: Mein Wohlgefühl ist wichtiger, als die materielle Realität. In Wahrheit kann das Wohlgefühl auch unabhängig von der materiellen Realität bestehen. Wir erschaffen unsere Zwänge selbst, klammern uns an die Welt, die uns anschließend gefangen hält. Und zwar so lange, bis wir uns entscheiden, den Griff zu lockern und das Klammern aufzugeben.
Über Martin Wertsch:
Seine hohe Sensitivität als Kind mündete bei Martin Wertsch in einer schweren Angsterkrankung. Erst als Erwachsener fand er selbst aus der Umklammerung seiner lebensbedrohlichen Ängste heraus. Die Erfahrungen, die er auf diesem Weg gemacht hat, veränderten sein Leben radikal. Heute arbeitet er als Heiler und Seminarleiter in der erfolgreichsten Heilpraxis Europas.
Demnächst erscheint sein erstes Buch „Die Angst als dein Freund – In 7 Schritten aus der Angst“.
Hier können Sie Martin Wertsch in der Heilpraxis Bochum kennenlernen.