Die Psychotherapien haben alle mit Defiziten, Problemen und Verlusten zu tun, die wir in unserem bisherigen Leben erlitten haben. Viele davon schon als Kinder. Ein Großteil davon hat mit – vermisster oder missbrauchter – Nähe zu; fast alle mit einem Mangel an Liebe. Deshalb ist das Ausmaß an emotionaler und körperlicher Berührung, das in den Psychotherapien zugelassen oder sogar erstrebt wird, für den Heilungsvorgang so wichtig. Unsere Übersicht zeigt, wie verschieden sie damit umgehen
Von Oliver Bartsch
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Wenn Therapeut und Klient in Resonanz gehen
Erfüllende zwischenmenschliche Beziehungen haben viel mit Berührung zu tun. Wenn ich mich berühren lassen kann und andere berühre, stehe ich in Resonanz mit anderen Menschen, fühle ich mich verstanden und eingebettet in einen sozialen Zusammenhang. Berühren können mich Worte, Hände, Gesten, Mimik, Töne, Bilder oder auch Gerüche. Berühren kann mich aber auch ein Besuch im Schwimmbad, im Kino oder das Lesen eines spannenden Buches.
Die Bedeutung der zwischenmenschlichen Berührung lässt sich kaum überschätzen. Deshalb meine ich, dass die Art und Qualität der emotionalen, aber auch die körperlichen Berührung zwischen Therapeut und Klient auch für den Heilungserfolg einer Psychotherapie von essentieller Bedeutung ist. Insbesondere gilt das für die Körperpsychotherapien.
Während die Bedeutung der emotionalen Berührung in den Therapien kaum jemand bestreitet, gehen die Meinungen über den dortigen Einsatz von körperlicher Berührung weit auseinander. Und über allen Therapeuten schwebt die Abstinenzregel aus der klassischen Psychoanalyse: Sie verbietet den Therapeuten, mit ihren Klienten in sexuellen Kontakt zu treten. In einer Gesellschaft wie der von Sigmund Freud, wo die Menschen einander generell körperlich eher wenig berührten, wurde die körperliche Berührung schnell verdächtigt, latent oder offen sexuell geladen zu sein; deshalb führte die Sexabstinenzregel in den Psychotherapien vielfach auch zu einer sehr weitgehenden Ablehnung des Körperkontaktes zwischen Patient und Therapeut.
Die klassische Psychoanalyse
Die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud untersagt schlicht den Körperkontakt zwischen Therapeut – oder besser gesagt Analytiker – und Klient. »Berührung bedeutet Sexualisierung und damit auch Missbrauch des Patienten für die eigenen Bedürfnisse des Analytikers. Außerdem schneidet Berührung den Patienten ab vom Reichtum seiner unbewussten Phantasien, und die sind der eigentliche Stoff der tiefenpsychologischen Arbeit. Das Berührungsverbot besteht bis heute,« sagt der Psychoanalytiker Tilman Moser, der in den 80er Jahren eine Synthese zwischen Tiefenpsychologie und Körpertherapien wagte.
Auch die Prinzipien von Neutralität und gleichschwebender Aufmerksamkeit, die vom Analytiker abverlangt werden, sprechen nicht unbedingt für seine emotionale Berührbarkeit. Laut Freud soll der Analytiker nicht nur sämtliche Störungen der Außenwelt ausblenden, sondern auch sich selbst in einen Zustand der psychischen Entspannung und Aufnahmebereitschaft versetzen. Wichtig sei insbesondere, nicht persönlichen Neigungen und Erwartungen zu folgen, meint Moser, weil der Analytiker sonst Gefahr laufe, niemals etwas anderes zu finden, als er schon weiß. Der Klient liegt auf einer Couch, der Therapeut sitzt dort am Kopfende. Es gibt keinen Blickkontakt. Der Klient wird aufgefordert, alles zu sagen, was ihm durch den Kopf geht, egal wie lächerlich, peinlich, nebensächlich ihm diese Gedanken erscheinen (die berühmte »freie Assoziation«). Der Analytiker soll sich alles mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit anhören und von Zeit zu Zeit Deutungen der unbewussten Vorgänge anbieten. Die Deutungshoheit liegt beim Analytiker.
Individualpsychologie
Etwas abweichend davon ist die Behandlungsmethode der Individualpsychologie, die von Alfred Adler, einem Schüler Freuds, 1911 und in den Folgejahren entwickelt wurde. Sie rückt die Biografie des Klienten mehr in den Mittelpunkt – sowohl die individuelle Lebensbewegung wie deren soziale Verflechtung. Verletzte Gefühle der Kindheit werden als Störung des Selbstwertgefühls (Minderwertigkeitsgefühl) und Ursprung weiterer seelischer Störungen gesehen, als Ursache für ein Gefühl der Unterlegenheit und ein nicht ausreichend entwickeltes Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl. In der Therapie sollen die unbewussten neurotischen Vermeidungsstrategien und die verletzten Gefühle der Kindheit durch intensives Wiederbeleben bewusst gemacht und bearbeitet werden und zu einer Korrektur des Minderwertigkeitsgefühls führen.
Auch hier ist Körperkontakt tabu, emotionale Berührung aber gewünscht: »Bei einer Berührung auf der Körperebene würde der Therapeut in die Intimsphäre des Patienten eindringen. Dies führt spontan zu einer Veränderung auf verschiedenen Ebenen und blockiert die freie Übertragungsarbeit«, erklärt Hans-Peter Thomann, Kinder- und Jugendtherapeut und ausgebildeter Individualpsychologe. Und weiter: »Eine emotionale Berührung ist aber dringend notwendig. Psychotherapie ist immer auch Arbeit auf einer Beziehungsebene und ohne emotionale Berührung kann ich kaum eine tragfähige therapeutische Beziehung aufbauen, in der dann auch die Angst machenden und schmerzhaften Themen zu bearbeiten sind. Einen Therapeuten sollte man in der Übertragung mögen, hassen, idealisieren, verwünschen, lieben können, aber nur in der Übertragung. Deshalb darf die therapeutische Beziehung nicht zu eng werden, denn sie muss ja auch wieder gesund gelöst werden können. Der Therapeut ist nur eine Begleitung auf Zeit«.
Analytische Körperpsychotherapie
Eine Sonderform psychoanalytischer Psychotherapie stellt die analytische Körperpsychotherapie dar, die sich erst in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hat. Sie bedient sich körperorientierter Verfahren wie der Vegetotherapie nach Wilhelm Reich, der Bioenergetischen Analyse nach Alexander Lowen (Bioenergetik), der Biodynamik nach Gerda Boyesen und der Biosynthese nach David Boadella und bettet sie in tiefenanalytische Verfahren ein. Als Gründungsvater gilt Sandor Ferenczi (1873-1933), ein Schüler Freuds, auf den folgende therapeutische Prinzipien zurückgehen:
1. Das therapeutische Setting sollte in elastischer Weise an die Erfordernisse des Patienten und der therapeutischen Situation angepasst werden
2. Ohne Sympathie ist Heilung nicht möglich
3. Güte, Authentizität, Bescheidenheit und Taktgefühl sind wichtig
4. Das therapeutische Geschehen ist wechselseitig (in Abgrenzung zu einer ursprünglich autoritär verstandenen Psychoanalyse, die »Deutungsmacht« des Analytikers beinhaltend)
Damit kann Sandor Ferenczi als der Urvater der modernen Therapeut-Klient-Beziehung gesehen werden, die auf den Prinzipien des wechselseitigen Handelns im »Hier und Jetzt«, der gegenseitigen emotionalen und körperlichen Berührbarkeit und auf der wohlwollenden Aufmerksamkeit des Therapeuten beruht. Das Behandlungs-Setting entsteht in der Interaktion zwischen Therapeut und Klient, es wird nicht vom Therapeuten allein vorgegeben.
Ferenczis Schüler Michael Balint sowie Donald Winnicott führten Ferenczis Ansatz fort. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts entstanden dann die ersten theoretischen Schriften von Tilman Moser (1989), Günter Heisterkamp (1993) und Peter Geißler (1994) zur Analytischen Körperpsychotherapie und gewannen im Deutschen an Bedeutung.
Die Behandlung in der analytischen Körperpsychotherapie dauert in der Regel einige Jahre. Man trifft sich dabei ein oder zwei Stunden pro Woche. Das Setting erlaubt dabei grundsätzlich jede Form von körperlicher Positionierung. Verbalassoziationen sind gleichberechtigt mit Körperassoziationen. Auch hier werden relevante Modellszenen der Kindheit des Patienten und seines aktuellen Lebens ins Bild gerückt und bearbeitet. Die Selbstwahrnehmung des Patienten wird gefördert, indem der Therapeut ihn auf sein körperliches Geschehen und dessen Bezug zu seinen Emotionen hinweist.
Der Körper als schützendes Versteck der Seele
Warum wird in der Therapie überhaupt mit dem Körper gearbeitet, wenn die Körperarbeit als so heikel gilt und man sexuelle Übergriffe fürchtet? Weil die im Körper gespeicherten (negativen) Erinnerungen belastetes Material enthalten, das abfließen möchte, aber in vielen Fällen nur mit Hilfe des Therapeuten abfließen kann. Tilman Moser: »Der Körper kann im Einklang mit der Seele oder davon vollkommen abgespalten sein. Er dient als immenser Gedächtnisspeicher für Erlebnisse, für vergangene Interaktionen, für Liebkosungen wie für Angriffe, für Gelungenes wie schmerzlich Misslungenes… Auch im Unbewussten stellt der Körper eine ganze Landschaft von Funktionen dar, ganz analog zu dessen bewusstem Einsatz. Aber es kommt eine Funktion hinzu, die uns vor allem in unserem analytischen Bemühen oft erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Ich nenne es den Körper als das schützende Versteck der Seele, bei dem sein ursprüngliches Potential der bedeutungsvollen Selbstdarstellung und Interaktion mit Anderen ins Negative verkehrt wird.«
Psycho-Therapie und Körperkontakt
Tilman Moser gibt ein Beispiel, wo der Körper als Saboteur des Lebens erscheint und sich als Überlebensstrategie in eine Erstarrtheit zurückgezogen hat, die nur durch Körperarbeit dem Klienten bewusst gemacht werden kann: »Eine Patientin … beginnt mit tonloser, hastiger Stimme von ihrer Woche zu berichten. Mir ist unbehaglich, weil ich diese tonlose Stimme kenne: Sie ist dann wie nicht vorhanden, ich fühle mich quasi um ihre lebendige Anwesenheit betrogen und in der Gegenübertragung latent böse, weil sie mich als Verursacher ihrer Abwesenheit erlebte. Dabei weiß ich, dass sie diesen Zustand selbst als quälend empfindet, aber nur eine Beschleunigung des verzweifelten Sprechens erscheint ihr als ein Mittel, mich zu erreichen. Mir selbst ist unbehaglich, ich bin leicht verärgert, weil wir in der vorigen Stunde eine lebendige Nähe erreicht hatten, nachdem zum wiederholten Male eine ängstliche Frage, ob ich sie auslache, überwunden worden war.
Ich frage, was ihr helfen könne, und sie bittet mit schwacher Stimme, ob sie sich an meiner Brust bergen könne. Ich spüre in mir eine abwehrende Bewegung und rette mich in eine Frage: Wo sie stecke, wie sie anwesend sei. Ich spüre, dass sie das als Zurückweisung empfindet, da ihr jede Form von Bitten ohnehin wie eine entwürdigende Abhängigkeit vorkommt. Ich bleibe aber fest und beschreibe ihren Gesichts- und Augenausdruck: Er sei leer, aber mit einer leichten Panik versehen, misstrauisch und gleichzeitig voll versteckter Sehnsucht. Da kommen Tränen in ihre Augen, und sie sagt:: >Ich möchte gleichzeitig fliehen und zu dir stürzen. Die Folge ist eine komplette Lähmung, und ich möchte mich eigentlich verstecken, um Schutz zu finden.< Schutz finden sei ein elementares Bedürfnis in ihrem Leben, die Mutter war das Gegenteil von schützend, sondern demütigend und verfolgerisch, auch mit Schlägen und massiven Entwertungen.
Ich schlage ihr vor, dass wir die beiden Komponenten der Lähmung entflechten. Sie möge erst einmal ihrem Fluchtreflex nachgeben. Sie sucht sich, zuerst mit den Augen, eine Ecke im Raum aus, die ich nicht einsehen kann, verlangt aber, dass ich mich wegdrehe, sie könne es nicht ertragen, bei der Flucht gesehen zu werden. Sie richtet sich mit einer schützenden Schaumstoffrolle in der Ecke ein und schaut, als ich mich wieder umdrehen darf, mit verändertem Gesichtsausdruck zu mir herüber. Sie ist etwa vier Meter entfernt. >Du bist jetzt nicht mehr so gefährlich.<
Nach einer Weile sagt sie, sie möchte näher kommen. Ich muss mich wieder wegdrehen, wie sie bei der Annäherung nicht gesehen werden wollte, und sie richtet sich sitzend ein vor meinem Sessel, an den sie sich anlehnt, und spürt den Seitenhalt von meinen Beinen. Sie wechselt zwischen mich Anschauen und den Kopf auf mein Knie sinken lassen, um sich zu erholen. Dass die Flucht erlaubt war und sie, aus der Sicherheit des Abstandes sich annähern konnte, führte zu einer großen Beruhigung und zum Erscheinen eines lebendigen, wenn auch noch stark regredierten Selbst. Die Entflechtung der Erstarrung war ein wichtiger Schritt, und ich war froh, dass ich nicht einfach ihrem Wunsch nach rettender Anlehnung nachgegeben hatte, der den inneren, lähmenden Konflikt überdeckte.«
Die angemessene therapeutische Berührung
Wichtig ist die Grundhaltung des Therapeuten. Er muss sich sicher sein, dass er mit der Berührung nicht eigene Bedürfnisse kompensiert, dass er nicht mit dem eigenen inneren Kind agiert, dass er nicht eigene aggressive oder symbiotische Bedürfnisse erfüllt. Tilman Moser: »Durch Supervision kann der Therapeut seine kindliche sowie elterliche seelische Position kennenlernen. Sie vermittelt die Aneignung des eigenen Elternkörpers in seinen mütterlichen wie väterlichen Dimensionen. Man staunt dann, wieviel heilsame Berührung und Interaktion stattfinden kann, ohne dass Übergriffe und Grenzüberschreitungen stattfinden.«
Aber was soll der Therapeut tun, wenn der Patient nach sexueller Berührung verlangt? Wesentlich in der Therapie ist, dass der Therapeut derjenige ist, der angemessene Grenzen setzt. Menschen, die sich der Therapie unterziehen, regredieren häufig in kindliche Zustände, und Kinder wissen nicht immer, welche Grenzen angemessen sind. In vielen Fällen sexuellen Missbrauchs hat ein kleines Kind einen Erwachsenen arglos um eine gewisse Art sexueller Berührung gebeten. Der Missbrauch geschieht dann, wenn der Erwachsene hier keine Grenze setzt, sondern die Situation für sich ausnutzt. Der Therapeut sollte dem Patienten zeigen, was angemessene Grenzen sind, indem er die Bitte um sexuelle Berührung ablehnt. Ein Therapeut, der zustimmt, aber sich dabei unwohl fühlt, ist emotional inkongruent. Der Patient würde das »mitkriegen« und emotional verwirrt zurückbleiben. Eine Bitte um sexuelle Berührung zu verweigern und dann emotionale Unterstützung anzubieten, hilft dem Patienten wahrscheinlich eher, das Kindheitstrauma wiederzuerleben, als dem Patienten zu erlauben es auszuagieren. Wichtig ist auch die verbale Vor- und Nachbereitung des körperlichen Kontakts sowie deren behutsame Steigerung.
Gesprächspsychotherapie
Die Gesprächspsychotherapie ist ein psychologisches Verfahren aus dem Bereich der Humanistischen Therapie, das überwiegend gesprächsorientiert ist. Sie lehrt, dass eine gesunde und schöpferische Persönlichkeit sich zur Selbstverwirklichung hin entfaltet. Die Gesprächspsychotherapie wurde von dem 1902 geborenen Psychologen Carl Rogers begründet, ab den 1940er Jahren in den USA. In den 70er Jahren kam die sie vor allem unter dem Einfluß von Reinhard Tausch nach Deutschland, wo sie inzwischen neben Verhaltenstherapie und Psychoanalyse eines der am häufigsten angewandten Therapieverfahren ist. Die Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V. (GwG) zählte 1994 etwa 7500 Mitglieder.
Sie wendet keine Körperkontakte an, legt aber im Klienten-Therapeutenverhältnis sehr viel Wert auf bedingungslose positive Wertschätzung, Empathie und Kongruenz (Echtheit, Wahrhaftigkeit gegenüber dem Klienten). Der Gesprächspsychotherapeut David Reinhaus sagt über das Verhältnis zwischen Therapeut und Klient: »Der Therapeut begegnet dem Patienten im Rahmen der therapeutischen Beziehung mit Einfühlungsvermögen, Akzeptanz, Wertschätzung, Aufrichtigkeit und Achtsamkeit. Der Klient profitiert davon, wenn ich ihm gegenüber Zutrauen in seine Ressourcen und in seine Lernfähigkeit signalisiere. Diese Haltung steigert das Selbstbewusstsein des Klienten und hilft ihm dabei, sich mit seinen eigenen Reaktionsweisen auseinander zu setzen und vor dem Hintergrund seiner Ressourcen selbst neue Lösungen für alltägliche Herausforderungen zu entwickeln.«
Emotionale Berührungen sind also notwendig und erwünscht, körperliche Berührungen werden vermieden aus Angst vor Grenzverletzungen. David Reinhaus: »Wenn ein Patient im Rahmen einer Psychotherapie angemessene emotionale Reaktionen erlernen möchte, erscheinen emotionale Berührungen unerlässlich… Ziel der psychotherapeutischen Beziehung sollte es jedoch nicht sein, die Beziehungsmotive des Patienten ersatzweise zu befriedigen. Vielmehr sollte die Psychotherapie den Patienten befähigen, außerhalb des therapeutischen Settings erfüllende zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten. Körperliche Berührungen können das Verlangen des Patienten nähren, seine Beziehungsmotive im Rahmen der psychotherapeutischen Beziehung zu befriedigen. Darüber hinaus können sie eine Grenzverletzung darstellen. Daher verzichte ich als Therapeut auf körperliche Berührungen.«
Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie ist neben den tiefenpsychologischen Verfahren die einzige Psychotherapie, die in Deutschland regulär von den Krankenkassen bezahlt wird. Ihre Erfolgsquoten bei klassischen Behandlungsfeldern wie Depression oder Angststörungen liegen nach Aussagen des Verbandes für Verhaltenstherapie bei 80 Prozent und darüber. Solche Zahlen sind den Verhaltenstherapeuten wichtig. Keine andere Psychotherapieschule hat so viel Wert darauf gelegt, ihre Resultate wissenschaftlich zu überprüfen, keine andere kann so viele Studien auf den Tisch legen. Der Therapeut-Klient-Beziehung wird heutzutage in der Verhaltenstherapie viel Platz eingeräumt, nachdem sie in der Anfangszeit eine eher untergeordnete Rolle in der Therapie einnahm. Die aus der Gesprächspsychotherapie bekannten therapeutischen Basisvariablen wie Echtheit, Empathie und uneingeschränktes Akzeptieren des Patienten gelten auch in einer Verhaltenstherapie. Die Verhaltenstherapie arbeitet in der Regel ohne körperliche Berührung.
Provokative Therapie
Die Provokative Therapie ist eine von Frank Farrelly (geb. 1931) entwickelte Psychotherapieform, in der mit humorvoller Provokation der Widerspruchsgeist, die Selbstverantwortung und die Eigenständigkeit des Klienten geweckt und entwickelt werden soll. Dr. Eleonore Höfner arbeitet seit 1985 erfolgreich mit der provokativen Methode: »Seit ich provokativ arbeite, genieße ich die Atmosphäre der Gleichwertigkeit, d.h. der Klient ist mündig, stark und hat alle Ressourcen, um sein Problem zu lösen. Der Therapeut aktiviert die Selbstheilungskräfte des Klienten und fungiert nur als Katalysator für diese Ressourcen.«
Auch emotionale Berührungen kommen nicht zu kurz: »Die meisten Menschen haben keine, eine falsche oder eine starre Vorstellung davon, wer sie sind und was sie können. Diese verzerrte Selbstwahrnehmung führt dazu, dass sie unter ihren Möglichkeiten bleiben und ihre Potentiale nicht ausschöpfen… Rationale Einsichten alleine bewirken hier nichts – konstruktive Veränderungen kommen nur zustande, wenn Gefühle verändert werden.«
Auch körperliche Berührungen werden, wenn auch behutsam, eingesetzt: »Körperliche Berührungen verstärken die emotionale Reaktion, sie sind sehr machtvoll und werden in der Provokativen Therapie eingesetzt. Allerdings sollten Therapeuten, die einen sexuellen Übergriff nicht von einer freundschaftlichen Berührung unterscheiden können, die Klienten nicht berühren.«
Gestalttherapie
Die Gestalttherapie wurde ab den 40er Jahren von der Psychologin Laura Perls, dem Psychiater Fritz Perls und dem Sozialphilosophen Paul Goodman in Abgrenzung zur Psychoanalyse Freuds entwickelt. Sie wird zu den Humanistischen Therapieverfahren gezählt. Sie basiert auf Einflüssen der Tiefenpsychologie, der Existenzphilosophie, der Gestaltpsychologie, des Psychodramas, der Zen-Meditation und der Gruppendynamik. Seit den 70er Jahren wird die Gestalttherapie auch in der BRD angewandt und gehört hier inzwischen zu den am häufigsten vertretenen Therapieverfahren.
Der Gestalttherapeut hat die Aufgabe, den Klienten als ganze Person zu akzeptieren und eine Balance zwischen emotionaler Unterstützung und Konfrontation/Frustration des Klienten zu finden: »Therapeut und Klient begegnen sich als Menschen in einem definierten therapeutischen Setting, dass dadurch geprägt ist, dass der Therapeut seine Bedürfnisse hintanstellt und so auf die Bedürfnisse des Klienten achten und eingehen kann. Das Heilsame passiert durch den Kontakt zwischen Therapeut und Klient, oder wie es der Religionsphilosoph Martin Buber ausdrückt Das Ich wird zum Ich am Du,« erklärt Torsten Zilcher, der in Bayern das Institut für Gestalt und Erfahrung leitet.
Die Theorie geht von der Fähigkeit des Menschen aus, Körper, Geist und Seele in einer organismischen Selbstregulation in Balance zu halten. Psychische Gesundheit bedeutet die Fähigkeit zu kreativer Anpassung, zu lebenslangem Wachstum und Reifung in lebendigem Austausch (»Kontakt«) mit der Umwelt. Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, der Richtung der Organismischen Selbstregulation zu folgen und diese zu unterstützen. Dementsprechend muss er auch nichts Besonderes tun, außer wachsam für die Blockaden und Stagnationen des Patienten zu sein: »Emotionale und körperliche Berührungen sind die wesentlichsten Momente der Therapie. Wichtig dabei ist, dass der Klient im Fokus steht; die Bedürfnisse des Klienten gesehen werden und dies nicht vermischt ist mit den Bedürfnissen des Therapeuten. Ich stelle dem Klienten meine emotionale Resonanz zur Verfügung; diese kann er nutzen, um seine Bewusstheit für sein eigenes inneres Geschehen zu erhöhen«, erklärt Torsten Zilcher.
Auch körperliche Berührungen sind ein wesentliches Moment der Therapie: »Körperliche Berührung kann dem Klienten einen äußeren Halt durch den Therapeuten vermitteln; dieser äußere Halt kann den Klienten ermutigen, innerlich loszulassen, sich selber nicht mehr so halten zu müssen, um sich dadurch noch tiefer auf seine emotionalen Prozesse einlassen zu können. Darüberhinaus erlebt der Klient die körperliche Berührung als Nähe und Kontakt; er erfährt, dass er auch mit schwierigen, bisher nicht akzeptierten Gefühlsäußerungen willkommen ist und damit angenommen wird. Diese Erfahrung im Kontakt mit dem Therapeuten kann eine Grundlage dafür sein, dass der Klient im weiteren Verlauf lernt, sich selber mehr und mehr in seinem So-Sein zu akzeptieren.«
Systemische Therapie
Die Systemischen (vielfach unter Familien- und Paartherapien subsummiert) und Gruppentherapien lassen sich in Teilen von ihrem Ansatz her zu den humanistischen Therapien zählen. Es handelt sich hierbei um Verfahren, deren Gemeinsamkeit vor allem darin besteht, dass das Subjekt der psychotherapeutischen Behandlung nicht die Einzelperson ist, sondern das soziale System, innerhalb dessen sich die Person bewegt.
Systemaufsteller und NLP-Coach Volker Hepp hat im Laufe seiner Arbeit immer größeres Verständnis für die Überlebensstile von Menschen entwickelt: »Systemaufstellungen und systemische Einzelarbeit sind Methoden, um Vorgänge in einem System wie Familie, Partnerschaft oder Beruf sichtbar zu machen. Systemaufstellungen eignen sich dafür, Glaubenssätze, Gefühle, Krankheiten, Befürchtungen, Aufträge oder all das aufzustellen, was den Klienten derzeit bewegt und wozu er gerne eine andere, vielleicht veränderte Sicht-Weise hätte. Der Klient ist dabei der Spezialist für seine Überlebensstrategie, der Therapeut/Coach ist sein Begleiter mit einem kleinen Handwerkskoffer, um alte Überlebensstrategien gemeinsam mit dem Klienten in die Neuzeit zu übersetzen.«
Emotionale und körperliche Berührungen fließen in die Arbeit ein, sind aber nicht wesentliche Momente: »Ich arbeite mit emotionaler Berührung nur da, wo es erträglich und nicht re-traumatisierend ist. Ich arbeite nicht mit katharsischen Methoden, sondern versuche mit dem Klienten langsam zwischen dem, was gut ist und dem was weh tut zu pendeln, damit seine Resilienzbandbreite dabei immer größer wird. Bei körperlichen Berührungen frage ich um Erlaubnis und höre auf das eigene Gefühl, ob die Erlaubnis gerade echt ist oder aus einem Muster heraus kommt.«
Transpersonale Psychotherapie
Als gemeinsame Grundannahme der transpersonalen Methoden gilt die Erkenntnis, dass das Wesen eines Menschen weit über sein individuelles Ich hinausreicht. Das Verhältnis zwischen dem Therapeuten und dem Klienten beschreibt die Diplom-Psychologin Maria-Anne Gallen so: »Mir gefällt die Metapher der >Hebammentätigkeit< am besten: Ich verstehe meine therapeutische Aufgabe als Unterstützung von natürlichen Entwicklungs- und Reifungsprozessen, die unterbrochen wurden. Meine Fachkompetenz besteht vor allem in einem Erfahrungswissen, mit welchen Kunstgriffen Blockaden und Störfaktoren dabei sinnvollerweise angegangen werden können und welche Erleichterung des Leids möglich ist… In der Wahrnehmung meiner Klienten bin ich nicht in erster Linie auf Störungen fokussiert, sondern auf die Entwicklungspotenziale und –prozesse, die vorhanden sind.«
Emotionale Berührung umschreibt sie mit liebevoller und achtsamer Präsenz: »Wenn es mir sinnvoll erscheint, lenke ich durch vorsichtige und vorher angefragte Berührung mit meinen Händen die Aufmerksamkeit auf bestimmte körperliche Phänomene. Meine Erfahrung ist, dass diese Vorgehensweise in aller Regel zu deutlich empfundenen Öffnungsprozessen führt. Emotionale Berührung ist ein sehr subjektives Empfinden. Liebevolle und achtsame Präsenz scheint mir die stärkste heilerische Unterstützung zu sein, die ich meinen Klienten zur Verfügung stellen kann.«
Fazit
Bis auf die klassische Psychoanalyse bedienen sich die heutigen Therapieformen alle dem Mittel der Berührung. Wohlwollende Aufmerksamkeit, in der ein gemeinsames Resonanzfeld zwischen Therapeut und Klient geschaffen werden kann, ist als therapeutische Grundhaltung überall üblich, nur der direkte Körperkontakt ist noch nicht überall von der Angst vor der Sexualisierung befreit. Immer mehr Therapeuten haben eine breite Palette von Werkzeugen (Therapiemethoden) in ihrem Koffer, um angemessen auf die Bedürfnisse des Klienten reagieren zu können. Eine Mischung aus Körpertherapie, tiefenpsychologischer Therapie und transpersonaler Therapie scheint mir dabei für den Klienten am heilsamsten zu sein.
Von Oliver Bartsch
Erstveröffentlichung war im Printmagazin Connection – danke für die Genehmigung!
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Oliver Bartsch ist Online-Journalist, Multimediaentwickler, Fachjournalist mit Schwerpunkt Psychologie, Komplementärmedizin, alternative Wohn- und Arbeitsformen, regenerative Energien, Klimawandel, Religion, Spiritualität, Philosophie
http://oliverbartsch.wordpress.com/