Ein wundervolles Essay über die alberne Gewohnheit des Vergleichens und die Möglichkeit, diese hinter sich zu lassen und seinen ganz eigenen Weg zu finden.
Von Bobby Langer
Wer von beiden ist der bessere Kapitän auf hoher See: Der, der sein Steuerruder verlässt, um von einem besseren Schiff zu träumen, oder der, der sich auf die Möglichkeiten seines Schiffes besinnt und Löcher in den Segeln flickt? Das erscheint vielleicht wie eine törichte Frage, und doch ähnelt unser Verhalten meistens dem des ersten Kapitäns. Wir haben einen fantastischen Körper, einen hoch fliegenden Geist und eine ahnungsvolle Seele mit auf den Weg bekommen, vergleichen uns aber dauernd mit anderen (oder noch schlimmer: mit Idealvorstellungen): Am liebsten wären wir so selbstbewusst wie, so unabhängig wie, so entscheidungsstark wie, so souverän in der Öffentlichkeit wie, so liebevoll wie, so ausgeglichen wie, so witzig wie, so maskulin oder feminin wie, so bodenständig wie.
Unsere Versuche enden so gut wie immer frustrierend, wir sind nun mal der, der wir sind, aber immerhin können wir davon träumen, ein anderer zu sein. Das erspart uns die Auseinandersetzung mit der eigenen zwangsläufigen Unvollkommenheit. Das Gefährliche an diesem Verhalten aber sind die darin versteckten Denkfehler. Vergleiche sind nur wirklich sinnvoll in Bezug auf Objekte: Welcher Baum ist höher, um mich vor dem Löwen schützen zu können, wenn ich hinauf klettere? Irre ich mich, werde ich gefressen. Welchen Sinn aber ergibt es, mich zu fragen, ob ich schöner sein könnte als Peter oder Claudia oder mehr gebildet, mehr Geld haben als sie oder eine Hierarchiestufe höher, ein größeres Auto zu besitzen oder an mehr Seminaren teilgenommen zu haben? Solche Vergleiche ergeben nur dann einen Sinn, wenn ich Glaubenssätze für wahr halte, die mir suggerieren, dann ein wertvollerer, wichtigerer, liebenswürdigerer Mensch zu sein. Freilich fällt uns dieser Meta-Glaubenssatz nicht auf, denn die Welt ist voll von unsinnigen Vergleichen: der schnellere Sportler, die stärkere Mannschaft, der Mensch mit dem universelleren Allgemeinwissen, der besseren Qualifikation, der wahreren Religion, der höher stehenden Zivilisation. Von Weltmeisterschaften über Olympiaden bis zu Quiz-Shows und Song-Contests: Überall begeistern wir uns für die „Besseren“, identifizieren uns mit ihnen und machen uns so, jedenfalls im Geiste, ganz automatisch zu etwas Höherstehendem – alte Magie, die noch immer ankommt. Und wenn wir anständig sind, dann verhalten wir uns fair und drücken dem Verlierer mitfühlend die Hand. Aber ein bisschen besser sind wir dann eben doch.
Vergleichen entfernt dich von dir selbst!
Doch wie sieht es aus mit der Denkrichtung? Bei seiner inquisitorischen Befragung in Worms hat Luther nicht gesagt: „Hier stehe ich und bin besser als ihr!“, er sagte: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ Er war seiner inneren Wahrheit verpflichtet und hat damit das ganze Christentum seiner Zeit aufgemischt, ein scheinbar unverrückbares, unüberwindliches Weltreich. Wenn du sagst: „Ich möchte besser sein“ stellst du automatisch die Frage: Besser als wer? Die Antwort kann in diesem Fall eigentlich nur heißen: Besser als du selbst – eine mindestens fragwürdige Logik. Also musst du dich nach außen orientieren, um die Frage zu beantworten, fort von dir selbst. Im Vergleichen wendest du dich von dir selbst ab; anders formuliert: Du nimmst dich nicht ernst. Oder: Du entfremdest dich von deinem Selbst.
Einen großen Schritt auf unserem Weg machen wir also, indem wir das Vergleichen anderen überlassen und uns auf unser eigenes Schiff besinnen. Es kommt überhaupt nicht darauf an, ein paar Tage früher oder später die Insel der Hoffnung zu erreichen, sondern überhaupt dort anzukommen. Wir werden es nie schaffen, wenn wir nicht genug Nahrung an Bord haben und die richtige Mannschaft. Wir brauchen Kunde von leicht anzulaufenden Inseln, um Wasser für unterwegs zu schöpfen, brauchen gute Seemannslieder, Kameradschaft, einen günstigen Wind und das Wissen, wie wir unsere Segel stellen, wenn er einmal ungünstig steht, wir brauchen genügend Pech, um eindringendes Wasser im Schiffsboden zurückzuweisen, Kerzenwachs für dunkle Nächte. Wir brauchen Äxte, um bei Sturm den Hauptmast rechtzeitig zu kappen und das Wissen, wie wir einen neuen errichten. Was wir nicht brauchen, ist ein besseres oder gar neues Schiff, das ohnehin nirgendwo in Sicht ist. Was wir brauchen, ist die Klarheit, in aller Stille uns selbst zu begegnen und Ja zu uns zu sagen. Es gibt niemanden, der uns zuverlässiger helfen kann als wir selbst, und niemanden, dessen Lügen wir mehr zu fürchten hätten.
Autor: Bobby Langer
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Bobby Langer, Jg. 53, Redakteur und Vater von drei Kindern, lebt in Würzburg. Seit den 70er Jahren beschäftigt er sich mit spirituellen Themen und arbeitet mit Meditation, Gewaltfreier Kommunikation und Dragon Dreaming.