Etwas ändert sich in der spirituellen Szene. Ursprünglich hatte ich geplant, mein Leben als Buddha auf einem goldenen Thron zu beschließen, ganz in edles Schweigen gehüllt. Oder als verehrter Weiser die Huldigungen von Schülern zu empfangen, um ihnen mitzuteilen: „Du bist schon das, was du suchst!“ Ich hätte ihnen sogar kostenlos in die Augen geschaut, um sie in Kontakt zu bringen mit dem, was sie von Anfang an gewesen wären: unendliche Weite, Stille, Bewusstsein und so. „Worte können es nicht ausdrücken“, hätte ich noch erläutert.
Diese Pläne sind gescheitert. Es liegt nicht an mir. Ich habe alles versucht. Es liegt am Wandel der Zeiten. Daran, dass die Autoritäten bröckeln. Nicht nur in Hierarchien, Staaten, Königreichen, in den Kirchen. Auch in der spirituellen Szene. Es gibt die unanfechtbaren Weisen nicht mehr, von denen ich einer geworden wäre. Viel schlimmer: Es hat sie wohl niemals gegeben. Lediglich sehr weit weg, im Dunkel der Vergangenheit. Jesus, Buddha, Lao Tse, sicher, das waren unschuldige reine Meister! Allerdings nur deshalb, weil uns nichts Genaueres bekannt ist. Wüssten wir Details über sie wie über Osho, Krishnamurti, Sogyal Rinpoche, Sai Baba oder Maharishi Mahesh Yogi, dann würden wir nur resigniert seufzen.
All die lauteren Heiligen – sie sind Produkte unserer hoffnungsvollen Phantasie. In Wirklichkeit wollen auch die Heiligen Geld verdienen und sich den Unterleib massieren lassen, sie haben Zoff mit Nachbarn und abtrünnigen Schülern, sie benötigen Zahnersatz und künstliche Hüftgelenke, erleiden Schlaganfälle, werden von Krebs zerfressen, und manche zünden sich an, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Na gut, das würden Sie und ich möglichst nicht tun. Wir würden uns die Zähne putzen und den Blutdruck checken lassen. Aber würden wir den Gesetzen der Gewöhnlichkeit entkommen?
Ich habe früh begonnen, Sprüche von Zenmeistern auswendig zu lernen, später kamen tibetische Sutren, chassidische Weisheiten und einiges aus dem buddistischen Kanon hinzu. Wenn es schon keine unbefleckten Meister gibt, dann bleibt wenigstens die Reinheit der Überlieferung! Oder gibt es auch die nicht? Bei Ken Wilber lesen wir: Der schnellste Weg, den Respekt vor den alten Schriften zu verlieren, sei sie exakt zu übersetzen. Unsere Übersetzungen seien romantisierend und gutmenschenhaft. Oh, ja. Ich kenne da ein schmerzhaftes Beispiel.
In meiner schamanischen Zeit erlernte ich indianische Sprüche der Chippewa und der Crow, dank eines Pronunciation Guides sogar in der Ursprache. Das sollte heilsam und erleuchtend wirken, und tatsächlich verspürte ich beides! Vor zwei Monaten, auf einem Seminar namens Deep Vision betete ich einen dieser Sprüche herunter, erhielt vom leitenden Schamanen Lob für meine Aussprache und erfuhr: „Was du da sagst, heißt übrigens wörtlich: Möge Gott den Schlamm in deinem Brunnen eintrocknen, möge er die Spucke deines Weibes feucht halten, und möge er die Quelle deines Verdrusses nie versiegen lassen!“ Er hob ratlos die Hände und fügte hinzu: „Das ist nicht symbolisch gemeint.“
Die Erleuchtung rann aus meinen Adern. Der Spruch hatte mir, unübersetzt, so viel gegeben! Allerdings, die Mantren, die Maharishi Mahesh Yogi zu verteilen pflegte, sollen auch ziemlichen Schrott bedeutet haben. Und die Namen, die Osho vergab, werden in Indien ganz anders interpretiert als uns erzählt wurde.
Vielleicht stört das alles nicht? Macht es die Thronbesteigung am Ende sogar leichter? „We are waiting for just one teacher“, offenbarte mir Byron Katie vor versammeltem Publikum. „Maybe you’re the one!“
Ich schluckte. Wow! Später ließ ein Work-Teacher die gesamte Luft aus meinem neuen Selbstbewusstsein. „Das sagt sie zu jedem“, erklärte er. „Das meint sie ironisch!“ Okay. Geschenkt. Dann war es das. Äh, hat vielleicht trotzdem jemand Lust, mich zu verehren? In aller Unschuld? Hallo?
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Dietmar Bittrich ist ein Autor mit großartigem Humor, den er schon in vielen Publikationen bewiesen hat. Auch seine Lesungen auf youtube sind wirklich originell. Mit den Meistern beschäftigte er sich zusammen mit Christian Salvesen in „Die Erleuchteten kommen“, ein Reiseführer durch die Welt des Satsang.
Der Artikel erschien erstmals in SPUREN – eine kluge, interessante Zeitschrift aus der Schweiz. Seit 8 Jahren schreibt Dietmar Bittrich regelmäßig Kolumnen in SPUREN unter dem Titel „Endstation Erleuchtung“ – www.spuren.ch
1 Kommentar
Hall, ich fand, daß der Beitrag von Herrn Bittrich sehr erfrischend rüberkam. Er ließ bei mir auch – da ich zeitweise von Maharishi, über Osho alles so supertoll fand – und von stundenlangen Harekrishnagesängen, Fliegenpilzsuppe schlürfend, bis zweimal getauft werden so alles mitmachte, um dann doch zu erkennen,daß es DAS nicht ist – Erinnerungen wachwerden. Ich hab herzlich gelacht!!!!