Bei der Bildung des Begriffs „indogermanisch“ im 19. Jh. bezogen sich die Sprachforscher auf die beiden damals räumlich am weitesten auseinander liegenden Sprachgruppen, der indischen und der german. Sprache. Diese Bezeichnung wurde im dt. Sprachraum, der in dieser Forschungsdisziplin weltweit immer noch führend ist, beibehalten und hat nichts mit irgendeiner Überlegenheit der Germanen in Europa oder der Inder in Asien zu tun. Viele andere Sprachen verwenden hingegen Bezeichnungen des Typs indoeuropäisch. Ungefähr die Hälfte der Menschheit hat eine idg. Muttersprache.
Die schon Anfang des 20. Jh. von vielen Linguisten geäußerte Vermutung, die Urheimat der indoeuropäischen Sprachen liege in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres, wird auch heute noch von der Mehrheit der Sprachwissenschaftler favorisiert. Man suchte den archäologischen Beweis dafür. Die in Südrussland, der Ukraine und Moldawien zu findenden Kulturen nördlich und östlich des Schwarzen Meeres und an der unteren Wolga wurden von Marija Gimbutas in den Fünfzigerjahren des 20. Jh. nach einer charakteristischen Grabhügelform (Kurgan) zur Kurgankultur zusammengefasst. Diese Klassifizierung ist jedoch heute archäologisch nicht mehr unumstritten.
Die Proto-Indoeuropäer waren nach Meinung vieler Sprachwissenschaftler aufgrund der vorhandenen Wörter eine in erster Linie patriarchalisch organisierte Hirtengesellschaft, die den Pflug kannte, das Pferd als Reittier nutzte und mit Sicherheit nicht am Meer lebte. All dies korrespondiert mit den archäologischen Funden der Kurgankultur. Dieser Hypothese zufolge lebten die Indogermanen im 5. Jahrtausend v.u.Z. als kriegerisches Hirtenvolk in Südrussland; einige Archäologen identifizieren sie mit dem Kurganvolk. Sie sollen nach Klimaverschlechterungen (Kälte) zwischen 4400 und 2200 v.u.Z. in mehreren Wanderungen west-, süd- und ostwärts gezogen sein. Die „Streitaxtleute“ bzw. „Schnurkeramiker“, die ebenfalls zum Kurganvolk gezählt werden, sollen auf diesen Wanderungen u.a. auch Mitteleuropa erreicht und sich mit den dort ansässigen Menschen (Bandkeramiker, → Megalithbauten) vermischt haben.
Aus der Vermischung von Indogermanen und nichtidg. Urbevölkerung sowie durch Zersiedelung erklären sich die verschiedenen idg. Volks- und Sprachgruppen, zu denen Kelten, Germanen, Slawen, Romanen, Griechen, Iraner, Inder, Balten, Armenier, Hethiter, Thraker u.a. gehören.
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