Mit „How soon is Now – Wie lange wollen wir noch warten?“ schuf der amerikanische Philosoph und Autor Daniel Pinchbeck ein wichtiges Werk, das entscheidende Fragen über die Zukunft unseres Planeten und der Menschen auf ihm aufwirft und diese zum Teil mit interessanten Inspirationen beantwortet. Dabei bleibt er nicht in einer pessimistischen Sichtweise stecken sondern sieht durchaus eine Chance, dass unsere Menschheit sich durch die Überwindung von ökologischer und gesellschaftlicher Krise weiterentwickeln kann – wenn wir es vermögen, zu kooperieren. Der visionäre Verleger Christian Strasser veröffentlichte sein Buch in diesen Tagen in Deutschland.
„Neues Denken und Tun ist wichtig“ – Interview Wolf Schneider
Der Übersetzer des Buches ist kein Unbekannter: Wolf Schneider leitete Jahrzehnte lang das innovative, unabhängige Magazin „Connection“ und ein Seminarzentrum. Auch ihm selbst brennt das im Buch angesprochene Themenfeld unter den Nägeln, und so war er gerne zu einem Kurzinterview für uns bereit.
Lieber Wolf, vielen Dank für die Möglichkeit dieses Interviews über das neue Buch von Daniel Pinchbeck! Du hast dieses Buch übersetzt – wie hast Du die Begegnung mit diesem originellen Denker persönlich erlebt?
Ich habe ihn bisher noch nicht live erlebt, sondern nur durch die Übersetzung. Ungefähr ein halbes Jahr habe ich daran gearbeitet und bin dabei quasi in seine Haut geschlüpft. Ich würde sogar sagen, dass ich mich durch ihn verändert habe – ich bin noch kosmopolitischer geworden, als ich es eh schon war, und mein politisches und ökologisches Bewusstsein hat sich dabei präzisiert und erweitert. Ich bin auch der Person Daniel Pinchbeck nahe gekommen, diesem New Yorker Literaten, Psychedeliker und Journalisten, dem die Rettung der Weltzivilisation vor der großen Katastrophe in einer Weise unter den Nägeln brennt, dass man als Leser dieses Buchs nicht anders kann, als davon mitgerissen zu werden.
»How soon is now – Wie lange wollen wir noch warten?« – Ist diese Frage auf dem Titel seines Buchs für Dich ganz aktuell aufgrund politischer Ereignisse in den USA noch dringlicher geworden? Haben wir fünf vor zwölf?
Die Wissenschaftler des Bulletin of Atomic Scientists haben die berühmte Doomsday Clock, die Endzeituhr, kurz nach dem Amtsantritt von Trump von drei Minuten vor zwölf auf zweieinhalb Minuten vor zwölf gesetzt. So ungefähr fühlt sich das auch für mich an. Und manchmal auch wie fünf nach zwölf. Es kann ja auch sein, dass es schon zu spät ist für die Rettung vor der kommenden Ökokatastrophe, denn einige der relevanten Systeme haben schon begonnen zu kippen.
Auch Du verfolgst die spirituelle und gesellschaftliche Entwicklung seit einigen Jahrzehnten. Wieviel hat sich von den Hoffnungen der 68er verwirklicht? Vegane Ernährung, Yoga, Achtsamkeit – reicht das oder ist die Konsumgesellschaft nur noch krasser geworden? Siehst Du schon deutliche Zeichen einer Veränderung zum Guten oder ist ein Aufwachen noch nicht zu spüren?
Vegane Ernährung, Yoga und Achtsamkeit, soweit sich das bisher verbreitet hat, ist sicherlich etwas Gutes, aber es reicht definitiv nicht. Der Konsum – auch von Schädlichem und Überflüssigem – hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen. Dazu gehören auch PKWs, die sich mehr vervielfachen als Busse und U-Bahnen; Landwirtschaftsmaschinen, deren Gewicht die Würmer im Boden plattdrücken, was wieder mehr Dünger erfordert; elektronische Verbrauchsartikel mit ihrer eingeplanten Obsoleszenz; der weltweite Fleischverbrauch, demzufolge ein Drittel des angebauten Getreides an Tiere verfüttert wird, während eine Milliarde Menschen Hunger leidet oder die Folgen krasser Mangelernährung; das Plastik, das nun auf den Weltmeeren schwimmt, weil es achtlos weggeworfen wird, und vieles andere mehr.
Was hindert uns an einer Weiterentwicklung? Das Geldsystem? Politik und Macht? Eigene Ohnmacht?
Wenn ich nur ein Megahindernis nennen dürfte, wäre es das Geldsystem. Nach der Finanzkrise von 2008 sind die Banken gerettet worden, sonst nichts. Das System, das zu der Krise geführt hat, ist das alte geblieben. Die Finanzspekulationen sind seitdem in mancher Hinsicht noch schlimmer geworden, und nun will Trump die sanften Zügel, die Obama der Wallstreet angelegt hat, wieder aufheben. Auch die Ausbeutung der Ressourcen der Erde wurzelt letztlich in diesem Finanzsystem. Die paar Stellen auf der Welt, wo wir ein bisschen sowas Ähnliches wie Demokratie haben, das ist bei der Wahl einer Reihe von nationalen Regierungen, aber die sind allesamt diesem Finanzsystem unterworfen. Die Steueroasen, die fehlende Besteuerung des Flugbenzins und der finanziellen Transaktionen (Tobinsteuer) – alles das zeigt, dass die Regierungen diesem Finanzsystem unterworfen sind, sie folgen den Bewegungen „der Märkte“, die sie versäumt haben zu regulieren, was auch nur durch internationale, gemeinsame Anstrengungen gelingen würde. Ebenso der militärisch-industrielle Komplex, der pharmazeutisch-chemische Komplex, dem auch die Nahrungsmittelindustrie angehört, Nestlé, Monsanto & Co mit ihrer Gentechnik und dem Landgrabbing, alles das wäre ohne dieses Finanzsystem nicht möglich. Ich kenne einige Leute persönlich, die mächtige Positionen in diesem System innehaben, um seine Brutalität wissen und doch kaum aus ihren Tretmühlen und vermeintlichen Sachzwängen rauskommen. Das ist vielleicht ein bisschen so wie die Frage von Kirchenkritikern, ob sie aussteigen oder versuchen, von innen das System zu ändern. Dieser Druck von innen müsste gewaltig sein, immens. Kaum vorstellbar, dass das passiert, das sieht man an der Wirkung der internen Kirchenkritiker ebenso wie an den kritischen Teilnehmern des neoliberalen Weltwirtschaftssystems.
Pinchbeck sieht unsere ökologische Krise als eine Art Einweihungsritual für die Menschheit, das uns zwingt, uns weiterzuentwickeln. Teilst Du diese Meinung und siehst Du dazu eine reelle Chance, dass wir diesen Sprung schaffen können?
Pinchbecks Idee ist die, dass die kommende Katastrophe als eine Art Einweihung in ein neues Bewusstsein verstanden werden kann. Er weiß, dass Menschen in der Regel erst dann etwas einsehen, wenn ihnen nichts anderes mehr übrigbleibt. So lange es irgendwie geht, tanzen sie noch auf dem Deck der Titanic, als gäbe es keinen Eisberg und als hätten wir genug Rettungsboote. Erst wenn uns das Wasser bis zum Hals steht werden wir anfangen zu schwimmen. So wird es vermutlich sein, und Pinchbeck äußert in diesem Buch auf eloquente Weise die geniale – aber vielleicht auch nur tröstende – Idee, diesen kommenden Suizid der Menschheit als einen nur Beinahe-Suizid zu betrachten, der uns aufwecken wird. Möge es so sein!
Ob wir dazu eine reelle Chance haben, das ist die große Frage. Pinchbeck sieht jedenfalls nicht nur unser Zusteuern auf die Katastrophe, sondern auch den Lichtstreifen am Horizont. Wir haben tatsächlich die Mittel, uns das Paradies auf Erden zu erschaffen, auch darin stimme ich ihm zu. Zumindest die technischen Mittel haben wir dazu. Um es wirklich zu schaffen, müssen wir uns aber fundamental neu ausrichten. Es hapert nicht an der Technik und auch nicht am Wissen, was zu tun ist; bisher hapert es aber am Willen, die nötigen Änderungen tatsächlich durchzuführen, und das ist ein Problem der politischen und finanziellen Strukturen. Und um die verändern zu können, braucht es eine Bewusstseinsrevolution.
Welche seiner Thesen haben Dich am meisten inspiriert, die uns helfen können, ein neues Bewusstsein zu erlangen?
Da gibt es einige: Dass wir schon aus ökologischen Gründen kommunaler leben müssen, und dass uns das glücklicher macht als die jetzige Vereinzelung, das fand ich ein sehr starkes, überzeugendes Argument. Auch, dass wir das Internet und die sozialen Medien nutzen können, noch viel mehr als bisher, um die Bewusstseinsrevolution durchzuführen. Dann die vielen einzelnen Beispiele von Menschen und Projekten, die er in seinem Buch nennt, die bereits in diese Richtung unterwegs sind. Auch seine Beschreibung des Burning Man Festivals, auf dem neue soziale Strukturen ausprobiert werden – und dass das überhaupt klappt, dort und an anderen Stellen, so wie es auch in der Occupy-Bewegung eine Zeitlang geklappt hat.
Geht es überhaupt um ein Bewusstsein – oder einfach um ein Tun?
Natürlich geht es nicht nur ums Tun, sondern um das Bewusstsein und das richtige Tun. Beides hängt eng miteinander zusammen und muss sich kokreativ, spiralisch entwickeln. Wir tun etwas, das verschärft und präzisiert unser Bewusstsein, was wieder zu zielstrebigerem und effektiverem Tun führt. Pinchbecks Buchs ist ein gutes Mittel gegen die weitverbreitete Apathie, begleitet von der Überzeugung, wir könnten ja nichts tun, der einzelne sei wirkungslos, es sei sowieso zu spät, die Natur hätte uns schon aufgegeben – oder das Gegenteil: Die da oben würden uns retten, die Technologie würde uns retten, den Kreativen in Silicon Valley oder den Zukunftsforschern würde schon etwas einfallen. Für manche sind es auch Aliens, die uns retten werden oder irgendein Messias. Apathie, Zynismus und bizarre Endzeiterwartungen geben sich da oft die Hand.
Du hast jetzt sehr viele positve Seiten dieses aufrüttelnden Buchs genannt, die dich von Pinchbecks Ansatz überzeugt haben. Wo würdest du als Rezensent dieses Buchs, das du als Übersetzer ja sehr genau kennst, eine Kritik anbringen wollen?
Freunden gegenüber habe ich ein paar Mal gesagt, dass ich 85 Prozent des Buchs für eine sehr gute bis geniale Zusammenfassung der prekären Situation halte, in der sich die heutige Menschheit befindet. 15 Prozent von Pinchbecks in diesem Buch geäußerten Thesen oder Analysen halte ich für zu gewagt, nicht richtig oder ein bisschen schräg. Trotzdem bewundere ich ihn in gewisser Weise auch dafür, dass er diese Stellen nicht weggelassen hat, weil sie ihm heftige Kritik einbringen werden. Er hat damit eine Diskussionsgrundlage gegeben, an die andere anknüpfen können.
Und er hat ja Recht damit: Wenn wir so weiterdenken wie bisher, werden wir keine Lösung finden. Schaut doch, wohin uns unser altes Denken gebracht hat! Also müssen wir die Tür für ganz neue Denkweisen öffnen. Das Wichtigste am Neuen ist meines Erachtens das Systemische, darin stimme ich ihm voll zu. So, wie Ökologie eigentlich eine systemische Biologie ist, braucht es auch in der Soziologie ein stärker systemisches Denken.
Es braucht eine Weltrevolution, die innen und außen umfasst. Unser Inneres, das Denken und Fühlen, und das Äußere, die Politik und Wirtschaft. Pinchbeck will mit diesem Buch nicht Weisheit mit Löffeln servieren und auch nicht das optimale politische Aktionsprogramm geben – obwohl sein Buch ein Aktionsprogramm enthält –, sondern Anstoß geben. Weiter so wie bisher, das geht nicht, das führt direkt in die Katastrophe. Für die Rettung der Weltzivilisation müssen wir uns neue Methoden und neue Strukturen ausdenken, wir brauchen dafür ein neues Bewusstsein, und das kann natürlich nicht ein einzelner Mensch entwickeln, auch nicht einer mit einem genialen Konzept und auch nicht einer, der so vielfältig, umsichtig und pointiert andere kreative Denker zitiert, wie Pinchbeck das in seinem Buch tut. Die Rettung und Neuerfindung der Weltzivilisation muss eine kommunale Anstrengung sein, und Pinchbecks Buch ist eine geniale Basis für eine heiße Diskussion über das, was wir jetzt tun sollten. Auf den 400 Seiten seines Buchs beschreibt Daniel Pinchbeck die prekäre Lage, in der sich die Menschheit aktuell befindet, in kaum zu übertreffender Dringlichkeit.
Vielen Dank für dieses erhellende Interview und Deine gute Übersetzung!
Die Fragen stellte Thomas Schmelzer
Wolf Schneider, Jg. 52. Autor, Redakteur, Kabarettist. 1971-75 Studium generale an der LMU. 1975-77 in Asien. 1985-2015 Hrsg. der Zeitschrift Connection. Seitdem Leben mit Flüchtlingen. Kontakt: schneider (at) connection.de, Blog: www.connection.de
Tipp: Weitere Fragen zum Thema stellte Roland Rottenfußer in „Hinter den Schlagzeilen“: „Wir brauchen wirklich radikale Lösungen“ – Gespräch mit Wolf Schneider.
Hier einige Zeilen aus dem ermutigenden Schlusswort von „How soon is Now?“:
„Wir können die unmittelbare Bedrohung des ökologischen Zusammenbruchs dazu nutzen, uns selbst aufzuwecken. Um einen Quantensprung über unseren jetzigen Zustand hinaus zu machen, sodass wir für unsere menschliche Familie eine friedliche, harmonische Heimat einrichten und die Gemeinschaft allen Lebendigen schützen können – hier, auf dem Raumschiff Erde.
Vor uns liegt die Option, uns auf ein utopisches Abenteuer einzulassen, das unsere tiefsten Sehnsüchte nach Gemeinschaft, Selbstverwirklichung und kreativer Innovation befriedigt. Wir können uns von der Ökokrise überwältigen lassen, oder wir können sie als ‚kosmischen Auslöser’ nutzen, der uns in einen neuen Daseinszustand zwingt.
‚Ich schlief und träumte, das Leben sei Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht’, schrieb der indische Weise Tagore. ‚Ich handelte, und siehe, die Pflicht war Freude.’ Jenseits von Verweigerung, Zynismus, Verzweiflung und Trauer haben wir die Option, unsere Rollen als Erfüllungsgehilfen einer planetaren Regeneration anzunehmen und so beizutragen, unsere Welt zu erlösen und wiederherzustellen – und Freude darin zu finden, die begrenzten Vergnügen des Eigeninteresses für eine planetare Gemeinschaft aufzugeben.
Sich einer Metamorphose unterziehen heißt, alles gehen zu lassen, was man weiß. Wenn wir die Haut der Vergangenheit abstreifen, schaffen wir das Potenzial für die Wiedergeburt in einer neuen Daseinsweise, jenseits von allem, was wir uns bisher vorstellen oder entwerfen konnten. Bevor das geschieht, werden wir niemals wissen, ob eine Alternative existiert, die wir verwirklichen könnten. Sobald wir den Schmetterling einmal aus der Puppe befreit haben, führt kein Weg mehr zurück.“
(Aus: „How soon is Now?“ von Daniel Pinchbeck)
Am 12. Februar begann die Tournee von Daniel Pinchbeck im Frankfurter Ring. Die Veranstalterin Brita Dahlberg vermittelte uns ihren Eindruck:
„Daniel Pinchbeck ist ein inspirierender Visionär, der es auf einzigartige, undogmatische Weise versteht, uns die Erfahrung zu vermitteln, Teil einer großen Bewegung zu sein, die den notwendigen Wandel vollzieht. Kohärenz ist der Beginn – Bewegungen starten auf dieser Grundlage. Raus aus der Expertenperspektive – Aktivisten, Künstler, Spirituelle finden zueinander und arbeiten gemeinsam an neuen Lösungen für die Probleme von heute und morgen. Unbedingt lesenswert – Dank an den Autor und den Scorpio Verlag, die uns diese Zukunftsperspektive eröffnen. Wir sind glücklich über die gelungene Buchpremierenveranstaltung bei uns!“
Brita C. Dahlberg, www.frankfurter-ring.de
Pinchbeck war ebenfalls in Hamburg, Berlin, München und Basel.
Aktuelles Buch:
Daniel Pinchbeck: „How soon is now: Wie lange wollen wir noch warten? Ein Manifest gegen die Apokalypse“
Verlag: Scorpio Verlag, 2017
Umfang: 408 Seiten
Preis: 24,90 €
ISBN: 978-3958030749
Hier können Sie das Buch bestellen