Die Kommissarin und ihr Erfinder – Interview mit Klaus-Peter Wolf

von Thomas

© Gaby Gerster

Wir haben den Bestsellerautor Klaus-Peter Wolf im Interview befragt und herausgefunden, wie sehr seine Kommissarin Teil seines eigenen Lebens und seiner eigenen Überzeugungen ist. Täter- und Opferrollen im Zusammenspiel mit Spiritualität und Wiedergeburt – das ist seine Welt!

ein Interview von Christian Salvesen

 

 

 

 

Herr Wolf, Ihre Krimis sind Nr. 1 Spiegelbestseller und werden vor allem von Frauen gelesen. Können Sie die Hauptkommissarin Klaasen charakterisieren? Was ist das für ein Typ? Wofür steht sie?
Die Ann-Kathrin Klaasen hat viel mit mir gemeinsam. Sie wohnt in dem Haus Distelkamp 13, ich wohne in Distelkamp 11. In ihrem Haus sieht es so aus wie in meinem, und in ihrem Garten auch. Ich weiß, wo die Treppenstufen knarren, wie die Kaffeemaschine geht, da muss ich nicht viel recherchieren. In manchen Krimis blühen im Garten Blumen gleichzeitig, die das in meinem eigenen Garten nie tun würden. Ann-Kathrin neigt zu einer eigenartigen Spiritualität. Wenn ihr Auto nicht anspringt, dann streichelt sie es und spricht mit ihm, was ihr Mann Frank Weller kommentiert mit: „Wir sollten die Scheißkarre verkaufen!“ Worauf sie zum Auto sagt: „Der meint das nicht so.“ Auf der einen Seite ist sie eine Verhörspezialistin von der man sagt, sie bringe jeden Kasten Bier zum sprechen, auf der anderen Seite sammelt sie privat Kinder- und Bilderbücher. Das erzählt ja schon einiges über eine Person, die sich beruflich mit Serienkillern auseinandersetzt, zuhause aber Kinderbücher liest und damit schlafen geht.

Und dann die starke Gefühlswelt, die sie ja manchmal sehr heftig und direkt zum Ausdruck bringt….
Ja. Und sie versucht nicht so sehr, sich in den Täter hineinzuversetzen, was bei der Mordkommission das typische Profiling wäre. Sie versetzt sich in die Rolle des Opfers. Sie sagt, wenn sie das Opfer versteht, dann versteht sie auch den Rest der Tat. Das führt zu ungewöhnlichen Szenen. In „Ostfriesengrab“ legt sie sich nachts nackt in den Park, wo die Leiche gefunden wurde, schutzlos, und kommt dann aber auch auf Ideen. Oder in Ostfriesensünde: Da werden Frauen eingemauert gefunden, hinter einer Wand, wo die Leichen zum Teil schon jahrzehntelang liegen. Dann lässt sie sich von ihrem Nachbarn Peter Grendel, der Maurer ist einmauern. Nur um in dieses Gefühl zu kommen, was geschieht da eigentlich, und das bringt sie zu vielen wichtigen Rückschlüssen. Was die Opfer gefühlt haben müssen und warum der Täter das getan hat.

Sie sind viel auf Lesereisen zusammen mit Ihrer Lebenspartnerin…
Meine Partnerin Bettina Göschl ist meist mit dabei und singt ihre eigenen Krimilieder. Da heißt es zum Beispiel: „Wenn mein Mann einen neuen Krimi schreibt und mitten im Kapitel steckenbleibt, dann ist er eine ganz andere Person, ihr lieben Frauen, ja wer hat das schon?“. Sie gibt den Frauen einen Geschmack davon wie es ist, wenn ihr Mann in verschiedenen Rollen ist. Wenn ich mich in Ann-Kathrin Klaasen versetze, habe ich einen weiblichen Gang. Bei Rupert einen anderen Geschmack: ich stehe auf Currywurst mit Pommes und Bier. Als Frank Weller möchte ich gerne einen edlen Rotwein und ein Zanderfilet, als Ubbo Heide trinke ich schwarzen Tee mit einem Pfefferminzblatt. Ich werde in vielerlei Hinsicht zu der Figur und sehe die Welt, wie sie sie sieht. Da verändert sich sogar mein Geschmack.

Das ist ja eine Art multipler Persönlichkeit!
Kann man so sagen. Bettina kriegt hautnah mit: Klaus-Peter trinkt gerade Schwarzen Tee, er ist in Ubbo Heide, und der liebt Marzipan von ten Cate, und dann legt sie mir das hin. Am Abend, wenn ich mit dem Schreiben aufgehört habe, versuche ich, wieder Klaus-Peter zu sein. Manchmal muss ich dafür duschen oder irgendein Ritual machen.

Das klingt wie „vergangene Leben“. Sie haben sich für einen Ihrer Romane „Karma Attacke“ mit Wiedergeburt befasst und sich dabei sogar zum Reinkarnationstherapeuten ausbilden lassen?
Ja, ich habe über 200 Rückführungen gemacht und mit mir machen lassen. Das ist schon sehr faszinierend, wie da in dem tiefen Entspannungszustand ganz verschiedene Persönlichkeiten aufleben. Das brauche ich auch für meine Arbeit. Sonst würde das nicht funktionieren. Vielleicht ist das auch das Faszinierende an guter Literatur, dass wir im Kopf eines Anderen sind und die Welt mit seinen Augen sehen. Im Krimi ist das ganz extrem, denn das Opfer sieht die Welt völlig anders als der Täter.

Wobei sich das auch überschneiden kann. Der Täter wird zum Opfer, das Opfer zum Täter?
Genau. Die Unterscheidung zwischen gut und böse ist in meinen Krimis nie eindeutig. Da will einer etwas Böses, was aber letztlich Gutes bewirkt und umgekehrt, was viel häufiger ist. Tatsächlich wollen die wenigsten etwas Böses. Sie glauben, dass das, was sie tun gut ist. Nur aus der Perspektive eines Anderen ist es böse. Absolut böse. Wenn jemand zum Beispiel glaubt, für seinen Gott oder seinen Glauben andere töten zu müssen, dann denkt er nicht, dass er etwas Böses tut. Er ist sogar stolz darauf. Jemand aus der anderen Perspektive hält ihn aber für den Teufel persönlich.

Beispiel IS. Junge Männer auch aus Deutschland kämpfen in Syrien, kehren aber auch voller Schrecken zurück.
Wenn sich das Böse als Irrtum erweist. Man dachte, es sei gut, und im Tun zeigte sich: um Himmels willen! Wir müssen uns immer wieder herantasten: was ist richtig, was ist falsch, was gut und was böse? Das unterliegt immer wieder neuen Bewertungen. Deswegen sind Kriminalromane für mich auch so wichtige gesellschaftliche Literatur. Weil ich da über solche Prozesse erzählen kann.

Es kommen die innere Welt, die Psychologie, und die äußere Welt von Politik und Gesellschaft zusammen, oder?
Richtig. Als ich mit der Ostfriesenkrimireihe anfing, wollte ich ein großes Gesellschaftspanorama schreiben. Das war von vornherein auf Zigtausend Seiten angelegt. Zu meinem Verleger sagte ich damals: Legt man alle Bücher zusammen, dann kann man sagen: „So haben die damals gelebt. Das waren die Ängste, die die hatten, die Sorgen, der Wahnsinn, die Irrtümer, all das, was sie umgab.“ Ich kann in einem Kriminalroman ein Kaleidoskop von Einzelpersönlichkeiten zeigen, die wir ergründen müssen. Wenn wir die Wahrheit herausfinden wollen, müssen wir uns für den Einzelnen interessieren, seine Motive herausfinden. So kann ich den Menschen unserer Zeit erzählen. Das geht im Krimi eigentlich viel besser als in jeder anderen Literaturform.

Geben Sie nicht auch immer wieder mal versteckt Tipps wie: Meditier doch mal, mach Taiji?
Ausgerechnet die Frau von Kommissar Rupert ist Reikimeisterin. Er nennt das alles „Dummes Zeug“, doch wenn er Reiki (eine sanfte Entspannungsbehandlung) bekommt, hat er keine Kopfschmerzen mehr. Das gehört zum Gesamtkaleidoskop der Gesellschaft. Ich erzähle von Heilung und von Scharlatanerie. Da finden sich viele Leute wieder.

Möchten Sie abschließend noch etwas sagen über das Leben als solches?
Ich möchte sagen, dass ich dem Universum dafür dankbar bin, dass ich dieses große Geschenk erhalten habe, dass ich für so viele Leser schreiben kann und dass sich mein Lebenstraum erfüllt hat. Ich liebe wirklich, was ich tue.

Interview geführt von Christian Salvesen.

 

Klaus-Peter Wolf, geboren am 12.01.1954 und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, lebt als freier Schriftsteller und Drehbuchautor in Norden (Ostfriesland). Seine Bücher wurden in 24 Sprachen übersetzt und über 10 Millionen Mal verkauft.
http://www.ostfrieslandkrimis.de/

Hier finden Sie Bücher von Klaus-Peter Wolf

 

Aktuelle Buch- und CD-Tipps:

  • Klaus-Peter Wolf:
    Ostfriesenwut, S. Fischer (Febr. 2015), gebunden, 11,00€
    Ostfriesenschwur, S. Fischer (Febr. 2016) kartoniert, 9,99 €
  • Klaus-Peter Wolf & Bettina Göschl:
    Die Nordseedetektive, 8,99 €
  • Bettina Göschl: Ostfriesenblues – Krimi CD mit den Liedern, die sie zur Ann-Kathrin-Klaasen-Reihe geschrieben hat, Goyalit (Febr. 2016), 14,99 €
  • Außerdem zahlreiche Kinder-CDs, zum Beispiel „Piraten-Jenny und Käpt’n Rotbart“, Lieder von Bettina Göschl, Geschichten von Klaus-Peter Wolf, gelesen von ihm selbst und Maxi Wolf, Jumbo-Verlag

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