Kennen Sie noch den Film „A.I. – Künstliche Intelligenz“ aus dem Jahr 2001? Damals waren menschenähnliche Roboter noch futuristisch, heute sind sie in weiten Teilen Asiens bereits Realität. Doch wer schon einmal solch eine „Puppe“ betrachtet hat, merkt sofort wie wenig diese Maschine mit Uns gemeinsam hat. Dass Technik allenfalls funktioniert, aber nichts mit Intelligenz zu tun hat, ist für Professor Kruse unumstritten.
von Eckhard Kruse
Das vorherrschende, materialistische Dogma, welches den Menschen letztlich als komplexen biologischen Roboter sieht, zeigt sich im Umkehrschluss auch im Trend, von „intelligenten“ Maschinen zu schwärmen. Da berichten die Medien regelmäßig begeistert von „künstlicher Intelligenz“ oder spekulieren gar über Ethik für Roboter, die bald schlauer seien als Menschen – und scheinen dabei vor allem das eigene Denken abzuschalten. Denn es gibt starke Argumente, dass die schöpferische Intelligenz vom Menschen und vom Leben weit mehr ist als das, was Technik jemals wird leisten können. Und das ist gut so!
Wer heute in unserer Gesellschaft prahlen möchte, für den gibt es wohl kaum ein anerkannteres, verlockenderes Merkmal als das der Intelligenz: Mit Reichtum prahlt vielleicht ein Donald Trump, Schönheit wird oft mit Dummheit in einem Atemzug genannt, aber wenn von Intelligenz die Rede ist, sind alle begeistert. Da ist es kein Wunder, dass dieser Begriff gierig für Marketing und Selbstdarstellung vereinnahmt wird. Computer, Telefone, sogar Stromzähler sollen nun intelligent sein. Ein Autohersteller wirbt gar mit einem „intelligenten Allradantrieb“. Das ist gleich doppelt fragwürdig: Wenn echte Intelligenz bei der Lösungssuche einen umfassenden Blick hat für die wirklichen Probleme, dann sind spritfressende, weitgehend überflüssige Allradantriebe Ausdruck ausgeprägter Dummheit. Echte Mobilitätsintelligenz ist wohl eher bei Fahrradfahrern und den Menschen in Bus und Bahn zu finden. Die andere Frage – um die es hier vor allem gehen soll – besteht darin, ob es überhaupt intelligent ist, technischen Geräten die Eigenschaft von Intelligenz zuzusprechen.
„Künstliche Intelligenz“?
Der Begriff „künstliche Intelligenz“ wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert geprägt und schon damals prognostizierte man, beeindruckt von der rasanten Computerentwicklung, dass in zehn Jahren selbständig denkende Maschinen die Welt um sich herum verstehen und vielfältigste Probleme kreativ lösen würden. Auch heute wird an solchen Themen intensiv gearbeitet und „in zehn Jahren werden wir“ ist nach wie vor oft zu hören. Tatsächlich hat die Technik viele Fortschritte gemacht, vor allem da große Datenmengen unglaublich schnell abgerufen und zu Vergleichszwecken verwendet werden können, wovon etwa Bild- und Sprachverarbeitung profitieren – aber sollten wir deshalb von Intelligenz sprechen?
Vorweg: Es gibt keine allgemeine Definition, was Intelligenz überhaupt ist (außer vielleicht dem saloppen „das, was ein Intelligenztest misst“). Das erinnert an die verwandte Frage nach dem „Bewusstsein“ oder an das ewige Problem der Biologie, den Begriff „Leben“ zu definieren. Für mich sind diese Schwierigkeiten auch ein Beleg, dass das heutige mechanistische, reduktionistische Weltbild trotz vieler Bemühungen schlichtweg unzureichend ist, um grundlegende Aspekte der lebendigen Welt vollständig zu erfassen oder gar „bottom-up“ als reines Zusammenspiel von Lebensatomen, Bewusstseins- oder Denkalgorithmen zu erklären.
Das, was bei Maschinen gerne als „Intelligenz“ gepriesen wird, lässt sich hingegen sehr genau beschreiben und definieren. Es geht letztlich immer um Algorithmen, also festgelegte Verfahren, die vordefinierte, elementare Schritte nacheinander abarbeiten. Was sich nicht auf einzelne Anweisungen reduzieren lässt, lässt sich nicht berechnen. Tatsächlich gibt es in der theoretischen Informatik einen einfachen Beweis, dass es unendlich viele mathematische Funktionen gibt, die nicht (algorithmisch) berechenbar sind. Auch ist es unmöglich, einen Algorithmus zu entwickeln, der bestimmte einfache Aussagen über beliebige andere Algorithmen überprüft (Stichwort „Halteproblem“).
Intelligenz ist mehr als schnelles Rechnen
Wenn es heißt, „dieser Mensch ist unberechenbar“, dann schwingt da oft Vorwurf oder Angst mit. Ist das nicht sonderbar? Sollten wir nicht unsere menschliche Unberechenbarkeit als großartigen Unterschied zu toten Maschinen feiern?
Um die Intelligenz von Mensch, Tier und lebendiger Welt zu charakterisieren, scheinen ganz andere Aspekte wesentlich: Hier geht es um die Fähigkeit zu verstehen, „was wirklich los ist“, und schöpferisch neue Lösungen für erkannte Probleme zu entwickeln. Interessanterweise kommt die entscheidende Eingebung, kommt das wirkliche Neue oft genau dann, wenn das Denken in festen Mustern aufhört. Wo ein Computer die Lösung nur durch Zerlegung des Problems in einfache Schritte berechnen kann, da zeigt sich lebendige Intelligenz im Erfassen übergeordneter Sinnzusammenhänge und der ganzheitlichen Gestalt, idealerweise gepaart mit Inspiration, dem „Zufliegen“ guter Ideen aus unerklärlichen Quellen.
Gehirn und Computer sind grundverschieden
Wenn Neurowissenschaftler das Gehirn als Computer und Prediger der „Künstlichen Intelligenz“ den Computer-Prozessor als Gehirn bezeichnen, ist das vor allem Ausdruck von Wunschdenken oder Ignoranz: Computer und Gehirn sind grundverschieden in Aufbau und Funktion. Im Computer erfüllt jeder der Milliarden Transistoren einen vorab festgelegten, spezifischen Zweck. Der Ausfall eines einzigen Transistors kann zum vollständigen Systemausfall führen. Im Gehirn lassen sich bisher lediglich grobe Funktionsbereiche identifizieren, selbst der Ausfall größerer Hirnareale kann oft weitgehend kompensiert werden, weil das Gehirn selbst sich anpasst; präzise, eindeutige Aufteilungen in Software und Hardware, Speicher, Verarbeitung und Signalübertragung gibt es nicht – und die Forschung zu Nahtoderfahrungen fordert das Verständnis vom Gehirn sowieso noch einmal ganz grundlegend heraus.
Die Intelligenz des Lebens schafft es, sich durch Anpassung und Veränderung selbst zu erhalten, zu heilen und weiterzuentwickeln. Maschinen hingegen, die nicht regelmäßig gewartet werden, fallen innerhalb kurzer Zeit aus. Man wird kaum behaupten können, dass die gesteigerte Komplexität heutiger Technik deren Lebensdauer verbessert hätte. Vor den heraufbeschworenen superintelligenten Robotern der Zukunft brauchen wir wohl keine Angst zu haben. Sie werden die Menschheit nicht unterwerfen, sondern ohne unsere Hilfe in kürzester Zeit von alleine kaputt gehen.
Künstliche Intelligenz: wieder so ein materialistisches Dogma
Weitere Argumente gegen die Existenz künstlicher Intelligenz? Computer können nach wie vor keine sinnvollen neuen Computerprogramme schreiben. Dabei müsste das eine besonders einfache Aufgabe sein, da dies nicht einmal (eventuell problematische) Schnittstellen zur materiellen Welt erfordert. Doch sogar die simpelste Handy-App wird von menschlichen Programmierern entwickelt.
Würden Sie Ihren PC als intelligent bezeichnen? Falls er nicht macht, was Sie möchten, wird er sein Verhalten auch dann nicht ändern, wenn Sie es immer wieder neu probieren. Wo menschliche Interaktionspartner gemeinsam nach neuen, anderen Lösungen suchen, da verlässt der Computer niemals die Grenzen des programmierten, also vorgeschriebenen Verhaltens. Das ist nicht Intelligenz, sondern entspricht eher Einsteins Definition vom Wahnsinn, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
Hier zeigt sich ein wesentliches Merkmal echter Intelligenz: Wenn es auf dem bisherigen Weg nicht mehr weiter geht, schlägt man einen anderen, neuen ein. Hier kommen Kreativität, Inspiration, Schöpferkraft zum Zuge, denn es ist etwas zu erschaffen, was bisher noch nicht da war. Deshalb würde ich dem Leben, mit der faszinierenden Entwicklung unterschiedlichster Lebensformen, aber auch den individuellen Entwicklungen von Pflanzen, Tieren, Menschen ein hohes Maß an Intelligenz zusprechen – etwa im Gegensatz, um das Beispiel noch einmal zu bemühen, zur Autoindustrie. Dieser fällt auf die Frage, wie man sich nachhaltig auf unserem Planeten bewegt, immer nur ein: Mehr Autos, teurere Autos, Autos mit Internetanschluss, die mit anderen Autos Daten austauschen, Elektro-Autos, die umweltfreundlich erscheinen, weil man die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken vergisst. (Letztlich vermischen sich hier natürlich Dummheit und Egoismus, aber das ist ein anderes Thema.)
Intelligenz und Verantwortung
Wir sollten den Begriff der Intelligenz für uns Menschen und das Leben vorbehalten. Wer Maschinen Intelligenz zuschreibt, macht uns kleiner als wir sind – oder will vielleicht gar Verantwortung abschieben. Schon der Begriff „technisches Versagen“ zeigt dieses falsche Denken. Wenn ein Flugzeug wegen Triebwerksausfall abstürzt, sollten wir uns nicht bei den Triebwerken beschweren, sondern bei den Menschen, die sie entwickelt haben. Insofern ist auch die Frage, wie sich selbstfahrende Autos in Notsituationen „entscheiden“ sollen, irreführend. Nicht das Auto entscheidet, sondern der Entwickler, der die Regeln programmiert.
Die Verantwortung bleibt beim Menschen. Der Schlüssel für die Bewältigung globaler Herausforderungen und für das Überleben der Menschheit ist nicht bessere Technik, sondern bessere Menschen. Solange wir uns mehr für intelligente Telefone interessieren als für intelligente Gespräche, läuft etwas schief. Ebenso, wenn Politiker zuerst von Wirtschaft und Technologieentwicklung schwärmen und dann das Bildungssystem zu deren Zulieferer degradieren, anstatt Bildung als einen zentralen Faktor zu erkennen, das zu fördern, was wir am dringlichsten brauchen: Bewusste, mitfühlende, inspirierte und – in einem lebendigen Sinne: – intelligente Menschen.
Fazit
An die Existenz „künstlicher Intelligenz“ glaube ich frühestens dann, wenn ein Computersystem auf die Frage, was zu tun ist, vorschlägt: Mehr Liebe, mehr Mitmenschlichkeit! Bis es soweit ist, werden wir wohl weiterhin unsere eigenen Fähigkeiten kultivieren müssen.
Text und alle Bilder © Prof. Eckhard Kruse
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ISBN: 978-3-86191-042-8
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Über Prof. Dr. Eckhard Kruse:
Er studierte Informatik mit Anwendungsfach Physik und promovierte auf dem Gebiet der Robotik und Bildverarbeitung. Er arbeitete in der industriellen Forschung als Wissenschaftler und Manager und ist seit 2008 Professor für Angewandte Informatik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Er ist Autor des Buches „Der Geist in der Materie – die Begegnung von Wissenschaft und Spiritualität“.
www.eckhardkruse.net