Verliebt sein ist etwas Wunderschönes, noch schöner jedoch ist die Erfahrung einer tiefen, bedingungslosen Liebe, die auch noch nach Jahren des Alltags weiterbesteht. In ihrem neuen Film „Mehr als Liebe“ geht die Filmemacherin Nicole Swidler gemeinsam mit den renommierten Paarspezialisten Eva-Maria und Wolfram Zurhorst, Veit und Andrea Lindau, Arjuna und Chameli Ardagh sowie Krishnananda und Amana Trobe der Frage nach, wie man diese intensive Liebe schaffen und pflegen kann. Wir sprachen mit der Filmemacherin über ihre Erfahrungen mit der Liebe…
Interview geführt von Ronja Merkel
Frau Swidler, was hat Sie dazu inspiriert, einen Film über die tiefere Liebe zu machen?
Ich beobachte viel und gern, was Menschen beschäftigt und mir fiel auf, dass es vielen Paaren, vor allem Langzeitpaaren, ab einem bestimmten Punkt ähnlich geht: Sie lieben sich, alles ist im Kern gut oder zumindest nicht schlecht. Und dennoch sehnen sie sich tief im Inneren nach mehr, nach einer Möglichkeit, zusammen weiter und sich näher zu kommen.
Wie funktioniert das, sich näher zu kommen, wenn man schon so lange zusammen ist und sich eigentlich gut kennt?
Darauf gibt es auf dem Ratgebermarkt tatsächlich kaum Antworten. Man kann Seminare besuchen, aber wer traut sich das schon? Nach meiner Erfahrung sind vor allem die meisten Ratgeber oder Kurse zu problem- und krisenorientiert. Was ich bei meinen Recherchen stets vermisst habe, war das Konstruktive, die Lust, etwas zu verändern, Neues zu erobern. Ich wollte deshalb Paaren Ideen an die Hand geben und eine Art alltagstauglichen „Wegweiser“ schaffen, den man sich daheim in intimer Atmosphäre gemeinsam anschauen kann. Auch deshalb habe ich mich bewusst für den Film als Medium entschieden: Ein Buch empfindet man zu zweit meist als weniger unterhaltsam. Wir wollten im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich sein; mit möglichst praktischen, nachvollziehbaren Übungen und Ideen, die sich gemeinsam ausprobieren lassen. Daraus wurde dann „Mehr als Liebe“.
Welche Erfahrungen haben Sie und Ihr Mann bei der gemeinsamen Arbeit an diesem Film sammeln können?
Darüber könnte ich stundenlang schwärmen! Mein Mann und ich profitieren täglich in unserer Beziehung von all den Erkenntnissen. Wir haben den Film als Team gemacht: Er hinter der Kamera und im Schnitt, ich unter anderem beim Entwerfen des Konzeptes und Führen der Interviews. Diese Zusammenarbeit hat uns gerade auch an kritischen Punkten, an denen wir selbst nicht weiterwussten, sehr geholfen. Ab und zu schmeißen wir uns nur grinsend Zitate aus dem Film zu. Unser Liebling ist Arjuna Ardaghs Tipp „just like me“. Wenn man sich dabei erwischt, den Partner zu be- oder verurteilen, sagt man einfach zu sich selbst „so wie ich“, um die Abgrenzung aufzuheben. Ärgert man sich zum Beispiel über die Unordnung des Partners fügt man dem „er ist so unordentlich“ ein „so wie ich“ hinzu – so lernt man bei sich zu bleiben, statt auf den anderen zu projizieren. Das funktioniert Ÿbrigens auch in die andere, positive Richtung: „Sie ist so witzig, so wie ich“.
Hier der Trailer zum Film:
Fortsetzung des Interviews:
Gibt es noch weitere solcher praktischen Tipps, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Konkret mag ich an dieser Stelle vielleicht noch folgende echte Augenöffner exemplarisch nennen, die mich und hoffentlich auch viele Zuschauer besonders bewegen: Eine achtsame und aufrichtige Kommunikation bildet die Basis jeder funktionierenden Beziehung. Aber gerade da hakt es oft. Insbesondere in langjährigen Partnerschaften schonen wir uns gegenseitig, spielen Rollen oder stauen Verletzungen auf und sind somit voller zurückgehaltener Botschaften. All das schiebt sich wie eine Milchglasscheibe zwischen uns. Wir sehen uns kaum mehr, gehen auf Abstand, ziehen uns zurück. Die Nähe, das „sich und den anderen spüren“, geht immer mehr verloren. Sobald man jedoch regelmäßig und so selbstverständlich wie zum Beispiel Zähneputzen achtsame, ehrliche Kommunikation praktiziert, entsteht ein ganz natürlicher Strom aus neuer Nähe und Zuneigung. Dabei ist es wichtig gerade auch die wunden, kritischen Punkte anzusprechen. Die Entwicklung dieser neuen Tiefe ist sehr magisch und wunderschön zu erleben.
Der zweite mir sehr wichtige und für eine dauerhafte Partnerschaft unerlässliche Punkt ist das Grundprinzip Selbstverantwortung: Statt den anderen für Dinge verantwortlich zu machen, die einem fehlen oder die nicht gut laufen, sollte man in allem zunächst und vorrangig bei sich selbst bleiben. Sich zu fragen, was sagt mir dieser Konflikt über mich, was fühle ich dabei, worin liegt mein Anteil, was kann ich durch den anderen über mich lernen, ist ein enorm wichtiges und hilfreiches Vorgehen. Wenn sich beide auf diese Art hinterfragen, wird eine Beziehung automatisch so viel liebevoller und tiefer – man begegnet sich wirklich.
Sind diese Punkte denn für jedes Paar so einfach umsetzbar?
Irgendwann kommt die sehr erleichternde Erkenntnis: Alles ganz normal! Man muss sich ins Gedächtnis rufen, dass es dazugehört als Paar an den Punkt zu kommen, an dem man in alte Schutzmechanismen verfällt und „zumacht“, statt einander näher zu kommen. Das hat viel damit zu tun, dass man bei diesem Prozess an den eigentlich schmerzhaften Kern vordringt: die eigene Verletzbarkeit. Das macht Angst. Und gleichzeitig liegt hier eine der größten Chancen auf echte Begegnung mit dem anderen, mit der eigenen und der gemeinsamen Essenz. Wenn wir unsere Verletzbarkeit zulassen, sei es im Gespräch oder beim Sex, zeigen wir uns vollkommen und kommen uns so wirklich nahe. Und das ist wunderschön. Nicht selten verlieben wir uns dadurch noch einmal ganz tief – und immer wieder neu.
In Ihrem Film kommen vier der derzeit renommiertesten Beziehungscoaching-Paare zu Wort. Wie ergab sich die Zusammenarbeit?
Mein Ansatz war immer: Es sollen nicht nur Fachleute zum Thema tiefere Liebe sein. Der Film sollte so intim und privat wie möglich werden, um dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich selbst wiederzuerkennen. Daher wollte ich nur Coaches, die selbst Langzeitpaare sind und Lust haben, aus dem Nähkästchen von ihren eigenen Erfahrungen zu erzählen.
Eva-Maria und Wolfram Zurhorst standen für mich sofort fest. Ihr ganzes Konzept basiert auf ihrer gemeinsamen Erfahrung als Paar; mich interessierte dabei vor allem ihr strikter Fokus auf die Selbstverantwortung. Nebenbei fand ich Eva-Marias „Soulsex“-Ansatz so wichtig, um Langzeitpaare in ihrem nicht seltenen Sexfrust zu entspannen.
Veit und Andrea Lindau hatte ich auf Seminaren erlebt und fand sie ausgesprochen charismatisch, kraftvoll und lebendig, mit ihrer „liebe und lebe radikal“-Haltung. Es geht ihnen immer um das, was du wirklich und ganz aufrichtig willst. Um dein Commitment und die Hingabe ans Leben.
Chameli und Arjuna Ardagh kannte und schätzte ich bereits seit dem Film „Awake – Reiseführer ins Erwachen“, den ich gemeinsam mit Catharina Roland gemacht habe. Das spirituelle Erwachen stellt einen wesentlichen Aspekt in ihrer Arbeit dar.
Krishnananda und Amana Trobe schließlich stehen wie kaum ein anderes Paar für das Thema „Verletzbarkeit verstehen und in die Beziehung integrieren“. Alle acht sind wundervolle Menschen! Ich bin sehr dankbar, dass ich sie auf dieser Basis kennenlernen durfte und fühle mich durch all das sehr beschenkt.
Was bedeutet Liebe ganz konkret für Sie?
Liebe bedeutet für mich, dass sich unsere Seelen in eine gemeinsame Richtung bewegen. Damit meine ich, dass sich die Dinge, nach denen mein Mann und ich, jeder für sich, im tiefsten Inneren streben, gegenseitig inspirieren, bereichern und beflügeln, um so eine seelische Vollkommenheit zu erreichen. Teil unseres Eheversprechens war das Ginkgo-Gedicht, das Goethe seiner späten Liebe Marianne von Willemer widmete. Auch hier geht es um die bewusste Balance aus Nähe und Individualität. Das ist unser Nukleus, eine tiefe Wahrheit zwischen uns, die wir nur spüren aber nie erfassen – die meinen Mann und mich aber immer wieder zusammenbringt, auch wenn die Stürme mal extrem sind. Eben mehr als Liebe. Für mich ist die Liebe zwischen uns das größte Geschenk in meinem Leben. Gekrönt wurde sie durch die Geburt unserer Tochter.
Was möchten Sie den Menschen mit „Mehr als Liebe“ mitgeben?
Paaren möchte ich vor allem vermitteln, dass eine langfristige Beziehung eine riesige Chance auf eigene Transformation, tiefes Glück und Zufriedenheit ist. In wenigen Bereichen kann man mehr über sich und die Welt verstehen, als im täglichen „Beziehungsfeuer“. Gerade wenn man glaubt, man wäre an einem kritischen oder gar toten Punkt, beginnt die Reise erst so richtig. Dort liegt das wahre Gold versteckt. Insgesamt habe ich den Film gemacht, weil wir in einer Welt leben, in der eine „Schneller-toller-Besser“-Mentalität dominiert. Wenn es kompliziert oder gefährlich wird, das heißt echt und nah, rennen wir gerne weg, gehen innerhalb unserer Partnerschaft auf Abstand oder stürzen uns in die nächste Beziehung. Wir flüchten uns in Rollen, um ja nicht verletzbar zu sein. Ich will Menschen dazu ermutigen, sich zu zeigen, Nähe zuzulassen und zu spüren, wie viel lebendiger und besser es uns damit geht – das können sie in einer intimen Beziehung wunderbar lernen. Es macht unsere Welt vielleicht ein klein wenig besser, wenn viele diesen Mut entwickeln und genau diese Qualitäten früher oder später dann auch in ihr Umfeld tragen. Oder wie Billy Wilder sagen würde: „Be a Mensch!“
Der Film ist ab Ende September auf DVD erhältlich und feiert am 16. November 2016 seine Kinopremiere im Monopol Kino in München. Es gibt noch Karten!
Infos zum Film:
„Mehr als Liebe. Ein Wegweiser in eine tiefere Liebe“
Regie: Nicole Swidler
Verlag: Scorpio Verlag, September 2016
Länge: 80 Minuten
ASIN: 3958030106
Hier können Sie die DVD bestellen!
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