Meditation und Ängste – Patrizia Heise

von Thomas

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Es ist nicht alles Gold, was glänzt! Denn auch ein goldgelb schimmerndes Gesicht kann Facetten in sich tragen, die abschreckend statt anziehend wirken. So ähnlich verhält es sich auch mit der Meditaton. Sie ist in aller Munde und glänzt mit einem ausnahmslos positiven Image – als sei sie risikofreies Allheilmittel und immer mit innerer Freude für die Praktizierenden verbunden. Die Wahrheit sieht anders aus, es ist nicht alles nur schön und toll. Welche durchaus unangenehmen Nebenwirkungen sich in ihr verbergen und was dies für Konsequenzen für die Meditierenden haben kann, beschreibt uns Diplom-Psychologin Patrizia Heise.

von Patrizia Heise

 

Angst im Kontext von Meditation

Wir haben in den letzten Jahren viele positive Dinge über die Praxis von Meditation gehört. Sie soll zu mehr Ausgeglichenheit, Ruhe und Konzentration beitragen, sowie förderlich für die seelische und körperliche Gesundheit sein. Spiritualität wird als ein positiver Faktor im Umgang mit Stress und Druck im Alltag beschrieben. Über Schwierigkeiten oder negative Auswirkungen scheint wenig bekannt zu sein. Und doch mehren sich die Hinweise darauf, dass es sie gibt.

 

Nebenwirkungen kennen

Die Forschung von W. Britton (vgl. Tremmel und Ott 2016) zeigt, dass Emotionen wie Angst, Unruhe oder Verwirrung im Verlauf einer Meditationspraxis auftreten können. Der Züricher Bewusstseinsforscher A. Dittrich hatte bereits in den 90er Jahren eine Reihe von Zuständen beobachtet, die er unter der Kategorie AIA „angstvolle Ichauflösung“ zusammenfasste. Das Wissen über schwierige Erfahrungen und Krisen, die durch eine spirituelle Praxis ausgelöst werden können, ist auch innerhalb der klassischen spirituellen Traditionen vorhanden. So ist die „dunkle Nacht“ ein in der mystischen Literatur bekannter Seelenzustand, der Depressionen ähnelt. Um es vorwegzunehmen: Dies soll kein Plädoyer gegen Meditation sein, sondern eine Betrachtung von etwaigen Nebenwirkungen, wie man sie normalerweise auf dem  Beipackzettel eines Medikamentes findet. Dort wird aufgeführt, welche Symptome auftreten können, was man berücksichtigen sollte und für wen dieses Mittel nicht geeignet ist. Die heilsame Wirkung einer Medizin hängt von der richtigen Dosierung und korrekten Anwendung ab. Der informierte Patient ist im Vorteil und kann sich auf die Wirkungsweise einstellen. So ist es auch mit der Meditation. Es ist wichtig, einiges zu wissen, bevor man mit der Praxis beginnt, denn Meditation ist nicht gleich Meditation und Menschen reagieren unterschiedlich darauf, je nach Persönlichkeit, Methode und Begleitumständen.

 

Mehr als Entspannungstechnik

In der Tiefe war Meditation nie eine Entspannungstechnik. Während sie heute in Kursen herausgelöst aus jeder kulturellen und religiösen Einbettung erlernbar ist, wurde sie ursprünglich innerhalb spiritueller Traditionen in einem ganzheitlichem Gesamtkontext mit dem Ziel von Selbsterkenntnis und Bewusstseinstransformation auf dem Weg zur Erleuchtung praktiziert. Man zog sich mit diesem Anliegen in die Einsamkeit der Natur oder in ein Kloster bzw. Ashram zurück. Für die Adepten gab es dabei eine Fülle von Anweisungen um etwaigen Schwierigkeiten im Verlauf der Praxis vorzubeugen oder diese zu überwinden (vgl. Hofmann und Heise 2016 S.146). Wir dagegen müssen unsere Aufmerksamkeit ständig nach Außen richten um eine Vielzahl von Anforderungen simultan zu bewältigen. Für uns ist es ungewohnt, still zu werden und den Blick nach Innen zu richten. Wir müssen darauf gefasst sein, dass das, was in dieser Ruhe, ohne äußere Ablenkung durch Aktivität viel stärker wahrgenommen wird, unangenehm und mit Angst verbunden sein kann. Es ist einer der häufigsten Gründe, warum eine Meditationspraxis nach kurzer Zeit mit dem Gefühl „nichts für mich“ wieder aufgegeben wird. Man hatte erwartet, dass die Meditation beruhigt, und nun geschieht das Gegenteil: Man ist aufgewühlt, gestresst, verunsichert.

 

Was hilft?

Für Anfänger kann es sinnvoll sein, nicht sofort mit langem Sitzen in der Stille zu beginnen, sondern eine aktive Meditationsform auszuprobieren. Dabei werden Atemzüge gezählt, auf Körperempfindungen fokussiert (Bodyscan) oder achtsames Gehen im Wechsel mit Sitzen geübt. Unter dem Begriff Achtsamkeit findet man hier eine Fülle von Anleitungen im Internet oder in Büchern. Auch der Hinweis, dass  das verstärkte Auftauchen „negativer“ Gefühle ganz normal ist, kann bereits entlasten. Meditationslehrer, wie die ehemalige Gymnasiallehrerin und Buddhistin Sylvia Wetzel (2015) raten dazu, diese Emotionen beobachtend wahrzunehmen und nicht zu bewerten. Sie gehören zur menschlichen Existenz dazu – werden jedoch im Alltag gern verdrängt und abgespalten. Wir nehmen uns nicht die Zeit, uns mit ihnen auseinanderzusetzen, was wünschenswert wäre. Im Buddhismus finden wir die Unterscheidung zwischen natürlichem und zusätzlichem Leid. Ersteres betrifft uns alle, resultiert aus der Vergänglichkeit allen Lebens mit den dazugehörigen Erscheinungen wie Krankheit, Angst vor Verlust, Alter, Tod. Diese gilt es zu akzeptieren und auszuhalten. Zusätzliches Leid entsteht daraus, dass wir das natürliche Leiden leugnen und bekämpfen. Wenn es gelingt, sie nicht zu bekämpfen und wegzudrücken, sondern ihnen von der Haltung eines neutralen, mitfühlenden Beobachters her zu begegnen, gewöhnt man sich mit wiederholtem Üben an den ungewohnten Ansturm von Gedanken, Wahr-nehmungen und Gefühlen. Es wird erkennbarer, was sie uns sagen wollen. Wofür ist Angst ein Signal? Gibt es reale Gründe dafür? Was muss geändert werden? Wo gibt es Blockaden, an denen therapeutisch gearbeitet werden sollte? So verlieren aufbrechende Wünsche, Emotionen und Ängste zunehmend ihre Macht über uns.

 

Spirituelle Krisen

In einer fortgeschritteneren Phase der Meditationspraxis erfahren wir, dass unser Selbst viel mehr beinhaltet, als wir bisher dachten. Wir werden uns unserer dunklen Seiten, das heißt unseres Schattens (C.G. Jung) bewusst, was schmerzhaft und irritierend sein kann und eine Krise auslösen kann. Dies wird heute auch als „spirituelle Krise“ bezeichnet. Grof und Grof (1990) oder Assagioli (2008) beschreiben verschiedene Erscheinungsformen als „Durchgangskrisen“ auf einem spirituellen Weg. Ein Grund dafür ist, dass man den bisher sicher geglaubten  Boden unter den Füssen verliert, auf dem die gesamte bisherige Sicht der Welt gründete. Glaubenssätze, Konzepte und Werte verlieren damit ihre haltgebende Funktion. Existentielle Fragen wie: „Wer bin ich wirklich und worum geht es in  meinem Leben“? tauchen auf und verunsichern zutiefst. Der tibetische Lehrer Trungpa (2006) schreibt: „Es ist schmerzlich, den spirituellen Weg zu beschreiten. Es ist eine ununterbrochene Demaskierung, das Abschälen einer Schicht von Masken nach der anderen. Es beinhaltet Kränkung auf Kränkung.“ (S. 20)

Menschen, die sich bereits instabil und labil fühlen, die mit schwachem Selbstwertgefühl, schwankenden Emotionen und Depressionen zu kämpfen haben oder einen Hintergrund von Psychosen haben, sollten besondere Vorsicht in Bezug auf eine Meditationspraxis walten lassen. Sie ist eine aufdeckende Technik und kann bewirken, dass bisher erfolgreich Verdrängtes und Unbewusstes an die Oberfläche steigt und das Ich überschwemmt. Latente psychische Störungen können aktiviert werden. In diesem Fall sollte man sich an einen erfahrenen Begleiter wenden, der sich sowohl mit  spirituellen Praktiken als auch mit psychischen Störungen auskennt und Symptome nicht sofort pathologisiert (siehe: Sen Netzwerk). Auch für Menschen, die einen Hintergrund von Trauma haben, empfiehlt sich ein zweigleisiges Vorgehe in Form von Achtsamkeitspraxis in Kombination mit einer Trauma-Therapie. Ein Begleiter kann helfen, Prozessezu steuern, ggf.zu verlangsamen oder im Fall einer Krise zur Seite stehen.

 

Verlangsamen und erden

Krisen können auch durch die falsche Ausübung von Meditation hervorgerufen werden. Dazu gehören zuviel Ehrgeiz und das zwanghafte Erreichen-Wollen eines Zieles, die Abwertung des Alltäglichen, sozialer Rückzug und Isolation und nicht zuletzt zu wenig körperliche Bewegung. Es kommt zu Zuständen von erhöhter Sensibilität, Reizbarkeit, Überwachheit, Aggressivität, Nervosität, Angst oder Schlaflosigkeit. All dies zeigt an, dass etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Hilfreich ist hier alles was erdet, wie Spaziergänge in der Natur, körperliche Bewegung und bestimmte Übungen aus dem Qi Gong oder Yoga. Auch Arbeit mit den Händen im Garten und kreativer Ausdruck wird von Betroffenen als hilfreich empfunden. Gespräche und Lesen können helfen, Landkarten für außergewöhnliche Zustände zu finden, die es ermöglichensie als Ausdruck von Selbstheilungsprozessen zu sehen. Aus therapeutischer Sicht ist Aufräumen, Klären und Bewusstmachen in allen Lebensbereichen anzuraten, bevor man mit der Meditationspraxis beginnt (vgl. Hofmann und Heise 2016,  S.141-155.).

 

Integration ist entscheidend

Spirituelle Erfahrungen können plötzlich und intensiv auftreten und sowohl Euphorie als auch Panik auslösen. Erlebnis und Wandlung sind nicht dasselbe; so erfordert jede spirituelle Praxis eine Integration der gemachten Erfahrungen in den Alltag. Die Psychologin Scagnetti-Feurer (2009) hat fünf Kategorien von Kontakt herausgearbeitet, die im Rahmen einer prozess-orientierten Diagnostik einen Maßstab für eine gute Integration liefern. Demnach ist zu beobachten, inwieweit es gelingt, die Bereiche des Hier und Jetzt, des alltäglichen Lebens, die Beziehung zur eigenen Lebensgeschichte zu anderen Menschen und zur spirituellen Dimension (Essenz) im Gleichgewicht zu halten.

 

Fazit: Spiritualität kann keine Abkürzung und kein Bypass für den Umgang mit Angst und anderen schwierigen Gefühlen sein. Krisen gehören zu inneren Wachstumsprozessen, entscheidend ist die eigene Einstellung. In einem solchen Kontext gesehen, führt die Meditationspraxismit Geduld und Ausdauer betrieben, langfristig zu einem sinnhafteren Lebensgefühl mit mehr Verbundenheit,  Gelassenheit und Vertrauen, sowie Mitgefühlsich selbst und anderen gegenüber.

 

Dieser Artikel erschien zunächst in: DAZ (Deutsche Angstzeitschrift), Nr. 76, IV/2016. Angsthilfe e.V. München, www.angstselbsthilfe.de/daz/

 

Buch zum Thema:

spirituatlität und spirituelle krisen

 

 

Hofmann, L.&  Heise, P. (Hrsg.): „Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis.“
Verlag:  Schattauer (2016)
Umfang: 528 Seiten, gebunden
Preis: 59,99€
ISBN: 978-3-7945-3057-1

Hier können Sie das Buch bestellen!

 

 

Über Patrizia Heise:

Dipl. Psych. MA. Patrizia Heise leitet eine Praxis für analytische Psychotherapie und ist Autorin. Kontaktaufnahme über Pat.Heise@t-online.de

 

Ausgewählte Buchtipps der Autorin:

Assagioli R. 2008.  Psychosynthese und transpersonale Entwicklung.  Nawo, Rümlang.
Grof S, Grof C.  (Hrsg.). 1990. Spirituelle Krisen. Chancen der Selbstfindung. Kösel ,München.
Grün A. Verwandle deine Angst. 2011. Ein Weg zu mehr Lebendigkeit-Spirituelle Impulse. Herder Verlag, Freiburg.
Hofmann L.& Heise P. (Hrsg.) 2016.Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis. Schattauer,Stuttgart.
Scagnetti-Feurer, T. 2009. Himmel und Erde verbinden. Integration spiritueller Erfahrungen. Königshausen &Neumann, Würzburg.
Scharfetter Chr.2004. Das Ich auf dem spirituellen Weg. Verlag Wissenschaft & Praxi, Sternenfels.
Tremmel  M. und Ott U.Negative Wirkungen von Meditation, in: Hofmann, L.&  Heise, P. (Hrsg.) 2016.Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis.Schattauer, Stuttgart.
Trungpa C.  2006. Der Mythos Freiheit und der Weg der Meditation. Eine Einführung in den tibetischen Buddhismus, Reinbeck bei Hamburg.
Wetzel S.Krisen auf dem spirituellen Weg. Essay nach einem Seminar mit Sr. Katharina Ganz Kloster Oberzell  Würzburg. 5.-8.11. 2015- edition tara libre  Kleine Hefte Nr. 18.

SENe.V:Netzwerk für spirituelle Entwicklung und Krisenbegleitung.: Informationen zu spirituellen Krisen und Behandlungsmöglichkeiten www.senev.de

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