Viele Menschen leiden heute unter Depression. Was kann helfen? Dr. Mark Williams fand im Verlauf langjähriger Forschungen im Bereich der klinischen und experimentellen Psychologie heraus, dass Achtsamkeit als ein neuer und ernstzunehmender Ansatz in der Therapie gegen Depressionen einen Platz verdient hat. Doris Iding befragte ihn dazu.
von Doris Iding
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Nach dem Selbstmord des Deutschen Nationaltorwarts Rudolf Enke wurde eine Zeitlang lauter laut nachgedacht über die Volkskrankheit Depression. Denn was den Hannoveraner Torhüter in den Tod trieb, bringt nach wie vor tagtäglich Menschen dazu, ihr Leben vorzeitig zu beenden. Aber auch wer keinen Selbstmord begeht, kann sehr unter Depressionen leiden. Und erwiesenermaßen sind nicht wenige Menschen davon betroffen. Alleine in Deutschland sind derzeit mehr als vier Millionen Menschen (!!!) von Depressionen betroffen – so lautet eine Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums. Damit steht die Depression hierzulande die mit Abstand häufigste psychische Erkrankung dar. Auch wenn die herkömmliche Behandlung durch Psychotherapie und Psychopharmaka große Erfolge erzielen, so erleiden doch viele Betroffene immer wieder Rückfälle zurück in die Depression. Aber wieso kommt es trotz erfolgreicher therapeutischer Behandlungen immer wieder zu depressiven Krisen? Und was kann man dagegen tun?
Prof. Dr. Mark Williams, leitender Forschungsbeauftragter des Wellcome Trust an der Universität Oxford in GB und Autor des Buches „Achtsame Wege durch die Depression“ beschäftigt sich mit diesen Fragen und fand im Verlauf langjähriger Forschungen im Bereich der klinischen und experimentellen Psychologie heraus, dass Achtsamkeit als ein neuer und ernstzunehmender Ansatz in der Therapie gegen Depressionen einen Platz verdient hat. Forschungsergebnissen zufolge ist es besonders die Meditation, die Menschen vor negativen Gedankenspiralen und Rückfällen in die Depression schützen kann. Aus diesem Hintergrund entwickelte Prof. Dr. Williams die MBCT (Mindfulness-based cognitive therapy), als eine präventive Methode entwickelt, um Patienten vor Rückfällen in die Depression zu schützen. Dieses Programm beinhaltet Meditationsstunden, viele Übungen, die aufzeigen, wie Verbindungen zwischen Denken und Fühlen bestehen, und Hilfestellungen, wie man Betroffene auf eine bevorstehende Depression reagieren können. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei darauf gerichtet, die Beziehung zum eigenen Denken und Fühlen zu ändern. Dabei geht es aber nicht darum, die negativen Inhalte der Gedanken zu verändern, sondern den Fokus auf die Gedanken selbst zu lenken und zu erkennen, dass diese wieder vorbeiziehen, wenn man sich nicht mit ihren Inhalten identifiziert. Wir haben bei Herr Williams zu diesem Thema etwas genauer nachgefragt.
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Dr. Williams, können Sie uns sagen, warum Depression heutzutage eine der häufigsten Krankheiten ist?
Ja, es sind zwei Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Erstens sind immer mehr jüngere Menschen von einer Depression betroffen. Häufig tritt die erste Depression schon mit Mitte zwanzig auf. Ein zweiter Grund, warum Depressionen heutzutage so oft auftreten, ist, dass viele Menschen rückfällig werden. Obwohl etliche sich auch wieder erholen, bekommen 50% einen Rückfall. Das Risiko eines erneuten Auftretens steigt nach der zweiten oder dritten Folgedepression auf 80 und 90%. Es ist ganz offensichtlich, dass Depressionen Millionen von Menschen und ihre Familien zukünftig betreffen werden.
Wie erklären Sie die hohe Rückfallquote?
Das Problem ist, dass sich während einer Depression zwischen den verschiedenen Symptomen, d.h. negative Gedanken, schmerzvolle Gefühle oder körperliche Sensationen bestimmte Verknüpfungen entstanden sind. Nun ist es so, dass ein unangenehmer Gefühlszustand immer mit negativen Gedanken einhergeht. Wenn dieser eintritt, löst er die typischen Symptome einer Depression aus. Kam es zu bei einer ersten Depression zu starken körperlichen und emotionalen Verknüpfungen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls größer. Der gewohnte Fluss von negativen Gedanken kehrt wieder und der Versuch, das Problem durch Vermeidung, Analyse und Nachsinnen zu lösen, scheitert und eine ausgeprägt Krise kommt zum Vorschein.
Und es ist genau diese Verbindung zwischen negativem Gefühlen und negativen Gedanken ist von großer Bedeutung, weil man dadurch verstehen kann, wie es überhaupt zu einem Rückfall kommt – und was man folglich tun kann, um diesen Rückfall wieder zu vermeiden. D.h., um nicht wieder in eine Depression zu verfallen, muss man lernen, wie man leichte, normale, negative Gemütsveränderungen erkennt und was man dagegen tun kann, dass man wieder in eine Depression zurückfällt. Achtsamkeit ist hier ein Schlüsselbegriff, der den Betroffenen sehr darin unterstützen kann, seine eigenen Gedanken und Gefühle wahrzunehmen.
Ist Achtsamkeit nützlich und praktizierbar für alle Arten von Depressionen?
Klinische Experimente zeigen, dass MBCT die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls um 40-50% verringert. Bei der Anwendung von MBCT werden weniger Menschen rückfällig, als wenn man versucht, einer Depression nur mit Medikamenten entgegen zu wirken. Die neusten Forschungen verdeutlichen, dass MBCT eine effektive Strategie vor allem für diejenigen sein könnte, bei denen andere Methoden nichts bewirken. Jedoch weisen Belege darauf hin, dass Medikamente und CT immer noch die ersten wirkungsvollen Schritte bei einer ernsthaften, schweren Depression sind.
Wichtig ist, dass man die Zeichen einer potentiellen/kommenden Depression schnell erkennt. Dabei kann Achtsamkeit eine große Unterstützung darstellen. Denn wenn wir achtsam unsere Gedanken und Gefühle beobachten, können wir alte Gewohnheiten beleuchten und anschließend auflösen.
Bei der Arbeit mit Achtsamkeit beziehen Sie Meditation mit ein. Wann sollten Menschen mit Depressionen aufhören zu meditieren oder überhaupt nicht meditieren?
Bei den Achtsamkeitsprogrammen ist Meditation einer der wichtigsten Schritte, um sein Bewusstsein zu schärfen. Meditationspraktiken erlauben es, mehr Klarheit über bestimmte mentale Muster zu erlangen: Indem man Gedanken als „vorbeiziehende mentale Ereignisse“ ansieht. Man stellt sich vor, als ob der Geist die Weite des Himmels wäre und Gedanken und Gefühle Wolken wären, die am Himmel entlang ziehen. Inmitten einer Depression ist Meditieren natürlich sehr anstrengend. Da reicht erst mal eine kurze Laufmeditation oder eine aufmerksame Bewegungsübung. Man sollte sich nicht dazu überfordern. Eine kurze, tägliche Meditationspraxis hilft uns, freundlich gegenüber unseren Erfahrungen eingestellt zu sein und unsere Neigung aufzulösen, dass wir hart und wertend gegenüber von uns und anderen sind.
Achtsamkeit ist eine wertvolle Methode, um den destruktiven Gedankenkreislauf zu stoppen. Jedoch wie kann man sie inmitten einer Depression praktizieren, wenn man vollkommen uninteressiert und antriebslos ist?
Egal ob man mitten in einer Depression steckt oder ob man sie vermeiden möchte, Achtsamkeit und Mitgefühl für sich selbst ist immer relevant. Man muss erkennen, wie der die Gedanken gegen sich selbst arbeiten und bereit sein, Raum für Gefühle zu schaffen, die man normalerweise unterdrücken würde. Wenn man bemerkt, dass Gedanken wie Langeweile oder Ruhelosigkeit oder körperliche Empfindungen wie Antriebslosigkeit entsteht, sollte man versuchen, diesen Empfindungen gegenüber eine freundliche und neugierige Einstellung zu entwickeln. Inmitten einer Depression mit Mediationspraktiken anzufangen, ist nicht leicht, da man gegen ganz alte Gewohnheiten kämpfen muss.
Wann sollten betroffene Menschen damit anfangen, dass sie die Methode der Achtsamkeit praktizieren?
Bei einer akuten Depression sollten Betroffene zuerst einmal abwarten, bis es ihnen ein bisschen besser geht. Dann können sie mit einem achtwöchigen Achtsamkeits-Programm anfangen, um zukünftige Depressionen zu vermeiden. Denn die MBCT Praktik bewirkt bei vielen Menschen, bei denen alle anderen Methoden fehlgeschlagen haben, wahre Wunder.
Herzlichen Dank für das Interview.
Von Doris Iding
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Aktuelle Bücher von Mark Williams:
Mark Williams, Danny Penman und Ursula Rahn-Huber: Meditation im Alltag. Gelassenheit finden in einer hektischen Welt, Vorwort von Jon Kabat-Zinn, Mit CD, Arkana Verlag, 2011
Mark Williams, John Teasdale, Zindel V. Segal und Jon Kabat-Zinn: Der achtsame Weg durch die Depression, inkl. 2 Audio-CDs, arbor Verlag, 2009
www.institut-fuer-achtsamkeit.de
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1 Kommentar
Der Fehler heißt Fehler, weil er uns sagt, was fehlt.
Dadurch ist er unser Freund und die wichtigste Lebenshilfe.
Dank einer völlig lebensblinden Papierpädagogik sind wir alle darauf dressiert, das zu ignorieren.
Wenn wir Fehler machen, müssen wir sofort – sozusagen auf den nüchternen Magen – üben, üben, üben.
Davon werden unsere genialen, sensiblen, entscheidenden geistes- und Seelenkräfte aber nicht satt sondern MATT (Burnout) und PLATT (Depression).
Selbst ein blinder kann nicht mehr übersehen, wie DEPRESSION & Co. unaufhaltsam parallel zur päd. Praxis als Volkskrankheit gewachsen sind.
In der neuen Ich-kann-Schule werden derlei Probleme kinderleicht nach der POPEYE-Methode gelöst: Erst die Talente achten, stärken, pflegen, begeistern, ….. dann herausfordern und ihre Güte beweisen lassen.
Kinderleicht ist das Gegenteil von erwachsenenschwer.
Ich grüße freundlich.
Franz Josef Neffe