Christian Salvesen, einer der profundesten Kenner spiritueller Traditionen, erläutert hier die Entstehung und Hintergründe des Pfingstfestes. Was hat es für eine spirituelle Bewandnis, welche Erklärungen gibt es für den möglicherweise bewusstseinserweiternden Heiligen Geist?
Pfingsten, der 50. Tag nach Ostern (griechisch pentecoste, im angelsächsischen Sprachraum Pentecost), wird bis heute als „Gründungstag“ der Kirche gefeiert. Die zum traditionellen jüdischen Schawout-Fest versammelten Anhänger von Jesus begannen, in verschiedenen Sprachen zu reden, verstanden sich aber alle. Sie waren vom „Heiligen Geist“ beseelt. Einerseits galt das als Aufhebung der Strafe, die Gott beim Turmbau zu Babel über die Menschen verhängt hatte – die „babylonische Sprachverwirrung“. Andererseits schien das auf den Missionsauftrag hinzudeuten: „Gehet hin und lehret alle Völker!“
In der Apostelgeschichte heißt es:
„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ (Apostelgeschichte 2,1-4)
Stärkung des Glaubens
In den 40 Tagen nach Ostern bis zur „Himmelfahrt“ erschien der „leibhaftig auferstandene“ Jesus etlichen seiner Jünger, nach dem Aufstieg (Ascension) geschah das nicht mehr. Wissenschaftlich sind Auferstehung und Himmelfahrt nicht zu erklären. Kulturgeschichtlich gibt es Parallelen, etwa im Mythos des ägyptischen Gottes Osiris, der – bereits zerstückelt – wieder zum Leben erwacht sein soll. Für Christen sind diese Ereignisse eine Sache des Glaubens. Im Glaubensbekenntnis heißt es seit dem 3. Jahrhundert: „Am dritten Tage auferstanden von den Toten und aufgefahren zum Himmel, wo er sitzt zur Rechten Gottes und wieder kommen wird in Herrlichkeit zu richten die Lebenden und die Toten.“ In vielen mittelalterlichen Kirchen gibt es eine Öffnung in der Decke. Zur Feier des Aufstiegs, der Rückkehr des Sohnes zum Vater wurde und wird in einigen Regionen bis heute ein hölzerner Christus mit Seilen vor den Augen der Gemeinde durch das Loch nach oben gezogen. Zu Pfingsten wurde und wird wiederum eine große hölzerne Taube, Sinnbild des Heiligen Geistes heruntergelassen und zum Kreisen gebracht.
Das Loch in der Decke symbolisiert den Zusammenhang zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Nachdem der Meister aufgestiegen ist, brauchen die Jünger eine besondere Quelle der Kraft und des Vertrauens. Sie sind scheinbar auf sich allein gestellt. Nun gilt es, in der Gemeinschaft innere Stärke zu finden. Doch offensichtlich ist der Heilige Geist mehr als nur ein Gemeinschaftsgefühl. Der Apostel Petrus predigte mit Bezugnahme auf das Alte Testament: „So spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visionen haben, und eure Alten werden Träume haben.“ (Apg 2,14-18 EU)
Wie der Heilige Geist erscheint
Der Heilige Geist kommt von Gott selbst. Er macht sich auf verschiedene Weise im Menschen bemerkbar. Eine Art Bewusstseinserweiterung, eine Öffnung für andere Dimensionen der Wahrnehmung. Und ein Medium der Verbindung zu Gott. Eines der bedeutendsten Kirchenlieder zu Pfingsten aus dem 13. Jahrhundert beginnt so: „Nun bitten wir den heiligen Geist, um den rechten Glauben allermeist. Dass er uns behüte an unserem Ende, wenn wir heimfahren aus diesem Elende.“ Demnach ist der Heilige Geist selbst auch Ansprechpartner und Beschützer.
In der Schöpfungsgeschichte (Tanach und Altes Testament) schwebt der Geist Gottes „über den Wassern“. Im Buch der Könige sagt der Prophet Elias – der angeblich wie Jesus zum Himmel aufgefahren ist – Gott sei wie ein Windhauch – wunderbar vertont ist das in Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Elias“ im Chor: „Der Herr ging vorüber“. Die Vorstellung von Gott als Atem oder Hauch finden wir auch in anderen Kulturen. So etwa in den indischen Veden, wo die Heilige Laut Aum oder Om als Ausdruck der universalen Kraft (brahma) verehrt und gesungen wird.
Im Neuen Testament wird der Heilige Geist an die hundert Mal erwähnt. Er soll die Jungfrau Maria geschwängert haben, bei Jesu Taufe als Taube erschienen sein usw.
In seinem Bestseller „Die Hütte“ charakterisiert William Paul Young die Dreieinigkeit Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist durch eine dicke Afroamerikanerin, einen burschikosen Zimmermann und eine zarte, Kungfu-trainierte Asiatin. Sie bleibt als Figur eher blass. Das liegt auch an dem biblischen Vorbild. Der Heilige Geist entzieht sich einer Konkretisierung und Personalisierung. Darin liegt womöglich seine Stärke. Er (sie, es) repräsentiert letztlich Stille und Leere, reines Bewusstsein.
Auf die Ausschüttung des Heiligen Geistes haben sich viele evangelikalische Richtungen vor allem in den USA und Brasilien berufen. Sie werden auch als Pfingstbewegungen bezeichnet. So wie die offizielle Kirche das Pfingstgeschehen als Gründungsdatum betrachtet sehen die Erweckungsbewegungen sich durch ähnliche Erleuchtungserlebnisse ihrer Gründungsväter legitimiert.
Die meisten westlichen Kirchen zelebrieren Pfingsten in der Farbe Rot. Priester und Prediger, Ministranten und Chorsänger tragen rote Gewänder. Die Farbe bringt Freude und Festlichkeit zum Ausdruck. Die Kirchen sind mit Blumen geschmückt. In Mittel- und Nordeuropa werden an den Eingängen Birken aufgestellt, als Sinnbild für das im Frühling erwachende neue Leben. Ich erinnere mich gut an die grünen Zweige vor unserem Pfarrhaus, wo ich aufgewachsen bin. Die Bedeutung des Heiligen Geistes hat sich mir bis heute nicht ganz erschlossen, wohl aber begriff ich schon als Fünfjähriger, dass Pfingsten ein freudiges Fest ist, an dem viel gesungen und gut gegessen wird.
Über Christian Salvesen: Er ist Autor, Künstler und Kenner der spirituellen Szene. 1951 in Celle geboren, Magister der Philosophie und Musikwissenschaften, Komponist und Musiker, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist/Redakteur und hat etliche Bücher veröffentlicht, darunter „Advaita“ und „Liebe – Herz aller Weltreligionen“. In den 80ger Jahren leitete er in eigenen, erfolgreichen Rundfunksendungen beim WDR und NDR zur Meditation und zum Bewussten Hören an. Er lebt mit seiner kanadischen Ehefrau in der Nähe von München. Alles weitere erfahren Sie auf www.christian-salvesen.de
Musik-Links auf Youtube:
Nun bitten wir den Heiligen Geist, Solo und Chor
Nun bitten wir den Heiligen Geist, aus dem Pfingst-Oratorium „Feuerzungen“ von Peter Reulein
Der Herr ging vorüber. Chor aus dem Oratorium „Elias“ von F. Mendelssohn-Bartholdy
Buchtipps
Leo Bigger: Geist Gottes: Ein Buch über Heiligkeit, Kraft und Gottes Gegenwart. Fontis, 2015
Martin Weber: Der Heilige Geist: Wer er ist, was er tut und wie wir ihn erfahren können. Brunnen, 2015