Die „Entautomatisierung“ der Hinwendung zur Welt durch → psychoaktive (oder entheogene, d. h. Geist offenbarende) Pflanzen oder Substanzen bewirkt eine zeitlose Entfaltung von → Wahrnehmung und Bewusstsein im Augenblick, ein völliges Gegenwärtigsein. Ob man in diesem Zustand die Dinge so sieht, wie sie sind, oder einfach intensiver und reicher wahrnimmt, ist nicht eindeutig zu beantworten.
Inzwischen ist bekannt, dass das Gehirn und die Körperdrüsen selbst allerlei Drogen produzieren, die entsprechende Erfahrungen möglich machen. Die körpereigenen Opiate, die Endorphine und Enkephaline, dienen der Lusterfahrung und mindern Schmerzen. Es gibt auch eine ganze Reihe von anderen Neurotransmittern, die mystische Erfahrungen verursachen. So werden bei der schamanischen → Trance vermehrt Endorphine, Adrenalin, Noradrenalin usw. ausgeschüttet.
Psychedelische Substanzen können natürlich begleitende körperliche (z.B. Übelkeit) und psychische (Ängste) Wirkungen hervorrufen, die von den Gehirnfunktionen ausgelöst werden, weil Körper und Gehirn mit dem verstärkten, ungefilterten Einströmen von Eindrücken nicht zurechtkommen. Das hat nichts mit der Wirkung der Substanz oder Pflanze zu tun. Allerdings gibt es Pflanzenmischungen, die starke körperliche Reaktionen verursachen können, wenn es vom Schamanen gewollt ist, wie z.B. → Ayahuasca, dessen Hauptwirkstoff das Tryptamin DMT ist, welches auf natürlichem Wege auch vom Körper produziert wird.
Der Arzt Dr. Rick Strassman fand in jahrelangen klinischen Versuchen heraus, dass vor allem die → Zirbeldrüse (Epiphyse), die sich in der Mitte unterhalb des Gehirns befindet, an „außergewöhnlichen Zeitpunkten unseres Lebens DMT in psychedelisch wirksamen Mengen bildet … Die Zirbeldrüse enthält die notwendigen Grundbausteine zur Herstellung von DMT“ (2004, 104). In dieser Drüse finden sich die höchsten Konzentrationen des Neurotransmitters Serotonin, das von der Zirbeldrüse in Tryptamin ungewandelt wird.
Die meisten psychedelisch wirksamen Substanzen werden aus dem Grundbaustein Tryptamin, einem Derivat der Aminosäure Tryptophan, im Körper gebildet. Zu dieser Wirkstoffgruppe gehören außer DMT auch LSD und Psilocybin, das in den so genannten Zauberpilzen vorkommt. Vor allem DMT wird auch bei intensiven Meditationen und spirituellen Übungen verstärkt produziert und freigesetzt. Das erklärt auch Berichte über veränderte Bewusstseinszustände ohne die Einnahme von psychedelischen Substanzen, die mit starken Lichtwahrnehmungen und intensivierten Körperempfindungen, aber auch → außerkörperlichen Erfahrungen einhergehen. Dr. Rick Strassman dazu:
„In allen spirituellen Disziplinen gibt es ausgesprochen psychedelisch anmutende Berichte und Beschreibungen von transformierenden Erfahrungen, und das Streben nach solchen Erfahrungen ist ein starkes Motiv für die Durchführung der entsprechenden Praktiken. Ein blendendes, grelles weißes Licht, Begegnungen mit Wesenheiten, die Engeln oder Dämonen ähneln können, ekstatische Gefühle, Zeitlosigkeit, himmlische Klänge, Gefühle des Sterbens und der Wiedergeburt … diese Erfahrungen ziehen sich quer durch alle religiösen Orientierungen und spirituellen Gruppen. Sie sind auch für eine vollständige psychedelische DMT-Erfahrung typisch.“ (Rick Strassman 2004)
Diese Zustände werden von den Praktizierenden solcher spirituellen Techniken als ebenso „real“ wahrgenommen wie von Menschen, die psychedelische Substanzen einnehmen. Sind nun Bewusstseinszustände, die durch die Wirkung psychedelischer Substanzen und Pflanzen hervorgerufen werden, Halluzinationen? Dr. Strassman:
„Halluzinogen ist der geläufigste Begriff, der in der Medizin für psychedelische Substanzen verwendet wird. Mit ihm werden die Wirkungen dieser Drogen auf die Wahrnehmung und dabei vor allem auf die visuelle Wahrnehmung hervorgehoben. Während es durchaus üblich ist, dass psychedelische Drogen zu Wahrnehmungsveränderungen führen, sind dies jedoch nicht die einzigen Wirkungen und auch nicht unbedingt von größtem Wert…. Ich ziehe den Begriff psychedelische (bewusstseinsoffenbarende) Substanz dem Begriff Halluzination vor. Psychedelische Substanzen zeigen uns, was in unserem Bewusstsein enthalten ist und sich dort offenbart; sie legen versteckte, verdrängte, vergessene, aus dem Blickfeld geratene Gedanken und Gefühle frei, die völlig unerwartet hervorkommen können …“ (Rick Strassman 2004, 55)
Psychedelische Drogen sind so interpretiert einfach Katalysatoren. Sie schalten bestimmte Filter und Schutzmechanismen ab, die im normalen Alltag gebraucht werden, damit der Mensch nicht ständig von intensiven inneren wie äußeren Wahrnehmungen überflutet wird. Es gibt zwar zwischen spirituellen Zuständen und Psychosen gewisse Übereinstimmungen, Psychosen treten jedoch ungewollt auf, und die Betroffenen sind nicht in der Lage damit umzugehen, während mystische Erfahrungen das Ergebnis einer ausgereiften und bewussten Bemühung sind, den Bewusstseinszustand zu verändern. Erfahrungen der → Erleuchtung, die im Laufe dieser Bemühung auftreten, können daher vom Menschen auch ganz anders verarbeitet und gehandhabt werden. Deshalb ist es auch eine gute Voraussetzung für psychedelische Erfahrungen, wenn die Menschen, die damit experimentieren, bereits einige Erfahrung mit innerer Arbeit, spirituellen Übungen und „natürlich“ veränderten Bewusstseinszuständen haben.
Bei der psychedelischen Erfahrung werden die Verzerrungen des Bewusstseins normalerweise nicht unbedingt aufgehoben. Je nach Ritual und Rahmen der Sitzung (Setting) kann die Erfahrung unterschiedliche Ergebnisse bringen. Die „mystische“ Erfahrung gelingt meist in einem Setting, das ritualisiert ist, in ähnlicher Weise, wie es einige Schamanen praktizieren. Doch ohne Bewusstseinsschulung kann auch die psychedelische Erfahrung durchaus nur unterbewusste psychische Elemente hervorbringen. Es gibt Untersuchungen mit Künstlern, bei denen die Kreativität angeregt wurde und sie zu Bildern inspirierte, welche jedoch im normalen Wachbewusstsein ausgearbeitet werden mussten – wie sonst üblicherweise auch.
Es gibt inzwischen eine Reihe von Berichten, die ähnliche Erfahrungen schildern, wie sie von anderen bewusstseinsverändernden Methoden auch berichtet werden. Eine mystische Erfahrung, die mit Hilfe einer psychedelischen Substanz oder Pflanze entsteht, hängt immer sehr stark vom Fokus und Wunsch des Menschen ab, über die Grenze gewöhnlicher psychischer Inhalte hinauszugehen. Ohne die Bereitschaft, vollkommen loszulassen und jegliche Identifikation mit unterbewussten Inhalten, Ängsten oder körperbezogenen Verhaftungen aufzugeben, ist eine mystische Erfahrung mit psychedelischen Substanzen selten möglich.
Hier bewegen wir uns bereits im „Grenz- oder Übergangsbereich“ zwischen der Erfahrung der zweiten „Dimension“, der Welt des Bewusstseins, und der dritten „Dimension“, der Welt des → Geistes, der eigentlichen spirituellen Welt.
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