In diesem persönlichen Bericht schildert der Autor seinen Weg als spirituell Suchender und Findender, der ihn zu den Rosenkreuzern führt.
2007 entstand die Stiftung Rosenkreuz in Deutschland, in den folgenden Jahren bildeten sich Rosenkreuz-Stiftungen und stiftungsähnliche Institute in anderen Ländern.
Von Dr. Gunter Friedrich
Während meiner Kindheit erwachte das Empfinden, hier nicht zu Hause zu sein. Ich staunte die Menschen an und die Dinge und überhaupt alles, was stattfand. Ich spürte: Die Menschen sind nicht glücklich. Irgendetwas lastet auf ihrer Existenz. Aber was? Nachts, in den Träumen, flog ich, einem Vogel gleich, über die Landschaft, zwischen Bäumen und Häusern hindurch. Die Weite ließ mich aufatmen. In Zeiten der Krankheit oder der Schwächung des Körpers stellte ich fest, dass ich nicht identisch bin mit meinem Körper. Denn mein Inneres war nicht krank. In der späteren Jugend hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis. Ich kam aus dem Kino; der Film hatte mich sehr berührt. Es war schon dunkel. Plötzlich erlebte ich mich viele Meter über „mir“. Ich sah, wie „ich“ da unten auf der Straße stand. Es war ein gehöriger Schreck.
„Wer bin ich?“ Diese Frage begleitete mich. Doch ich stieß auf Grenzen, auf Nebel. Wo ist der Spiegel, in dem man sich zuverlässig erkennen kann? Ich ließ mich auf Menschen ein, versuchte, sie zu erspüren und wunderte mich, warum sie das Existieren nicht genauso rätselhaft empfanden wie ich. Die Dinge schienen ihnen selbstverständlicher zu sein. Eines Tages merkte ich, dass man mit Bäumen kommunizieren kann. Kräfte gehen von ihnen aus. Und es scheinen Mitteilungen darin zu liegen, die man sprachlich nur umschreiben kann. Etwa in der Richtung: „Ich existiere – so wie du. Aber du bist Mensch. Du hast eine Aufgabe.“
Was hat es mit dem Existieren auf sich? Wörtlich bedeutet es Hervortreten (lat. exsistere). Woraus treten wir hervor? Nicht aus Sichtbarem. Immer wieder schien es mir, dass ich von Atmosphärischem berührt werde. Ich vertiefte mich in Dichtung, Philosophie, Schriften der Religionen. Viele Autoren hatten offenbar ähnliche Berührungen und haben versucht, sie in Sprache umzusetzen, jeder auf seine Weise. Es gibt das nicht Fassbare, von dem ein Ruf ausgeht. Ich suchte ein Gegengewicht im normalen Leben, studierte Jura, gründete eine Familie, ergriff einen bürgerlichen Beruf. Dadurch wurde mir umso deutlicher, auf welch schwankendem Boden das sogenannte Reale steht. Und auch, wie stark die Bestrebungen sind, bewusst oder unbewusst, uns daran zu binden.
Meine Frau empfand ähnlich. Wir begaben uns auf die Suche nach dem inneren Freiraum und der inneren Bestimmung. Wir befassten uns mit verschiedenen Gruppierungen, lasen Schriften aus Ost und West, machten Übungen der Vertiefung. 1976 stießen wir auf das Lectorium Rosicrucianum. Hier spürten wir ein geistiges Feld, zu dem wir eine Entsprechung hatten. Die Philosophie zielt auf Verwandlung, auf Neugeburt aus dem Geistig-Seelischen. Das Christentum wird als Weg angesehen, auf dem – aus der Tiefe des eigenen Innern – eine neue Identität entsteht. Die Lehre schließt die anderen Religionen nicht aus. Auch unter anderen Vorzeichen ist ein solcher Weg möglich. Wir fanden geistige Weite – und Enge. Das Ego hat durch ein Nadelöhr zu gehen. Das Geistig-Seelische stellt sich dem Ego zunächst einmal als Gesetz dar.
Das Gruppengeschehen brachte vieles in uns in Bewegung. Die gemeinsame Hinwendung, die Stille, die Ausrichtung auf das nicht Fassbare – sie führten im Laufe der Zeit zu Inspirationen, Einsichten, neuen Gedanken. Es gilt, das Körperliche von geistigen Kräften durchdringen zu lassen. Zwangsläufig erhebt sich aus dem Unbewussten Widerstand. Er führt zu Kritik, bei manchen zu Verleumdung. Wir lernten, psychische Kräfte zu unterscheiden, es bildete sich eine Art ihrer Sinnesorgane. Die Bemühung, mit dem umzugehen, was aus dem eigenen Wesen aufsteigt, ließ uns mehr und mehr erkennen, was in uns stattfindet – und auch in der Welt.
Das atmosphärische Feld der Gruppe ist eine Aufeinanderfolge seelischer „Räume“. Man kann in umfassenderen Seelenräumen „erwachen“. Sie werden erzeugt von Menschen, die denselben oder einen ähnlichen Weg gehen. Hinweise und Richtlinien sind Helfer. Eines Tages erweisen sie sich als nichts anderes als die Beschreibung höherer seelischer Zustände. Sie sind dann „ins Herz geschrieben“. Der Weg gleicht einem Spannungsbogen zwischen dem normalen Leben und dem geistig-seelischen Pol im Innern.
Auf diesem Bogen findet die innere Verwandlung statt. Der Weg ist ein Hin und Her, ein Sich-erhoben-Fühlen und Zurückfallen; auf Inspirationen folgen Phasen des Nicht-mehr-Verstehens, auf Erfahrungen des Angekommenseins folgt erneutes mühsames Vorantasten. Widersprüche, Gegensätze, Momente der Erfüllung, des Zweifels, der Verlorenheit, des Ergriffenseins, der Fremdheit und der innigen Verbundenheit mit den Gefährten, all das gehört zu dem Weg. Der transzendente Pol im eigenen Innern gibt allem Bedeutung. Er trägt, er ruft, er zieht uns über uns hinaus. Einmal sah ich in einer Art Entrückung das Unsterbliche, das hinter unserem Dasein steht. Bei einem mir vertrauten Menschen zeigte sich in einem Moment die Individualität, die durch die Inkarnationen geht. Freude, Ur-Vertrautheit sind die Folge. Und einmal, als ich einen längeren Konflikt mit Weggefährten hatte, stieg plötzlich ein Bild auf. Ich sah eine Szene mit denen, die an dem Konflikt beteiligt waren. Es war eine mittelalterliche Umgebung und ich beobachtete den Ursprung des Konflikts. Das war ein Geschenk. Ich musste lachen: „Diesmal werden wir es schaffen.“
Gedanken, in einer Atmosphäre der gemeinsamen Hinwendung ausgesprochen, rufen hervor, wovon sie sprechen. Die Hintergründe des Daseins werden greifbarer. Das Bewusstsein muss jeden Schritt des Weges erfassen. Verstehen und wieder Loslassen, um neues Verstehen zu ermöglichen – Flexibilität, Offenheit und Sehnsucht sind erforderlich.
Liebe in bislang nicht gekannter Art wird erfahrbar, als Grundkraft, die das Leben und alle Verwandlungen trägt, die in seinem Potenzial enthalten sind. „Wirklichkeit“ wird zur Beziehung zu dem inneren Quell, der in allem wirkt. Ziel des Lebens ist es, das Ebenbild dieses Quells entstehen zu lassen und sich mit ihm zu vereinen. Es ist der „Andere“ in uns. Mystiker sprachen von dem „Geliebten“. In nicht vorhersehbaren Momenten zeigt er etwas von sich. Einmal, in einer nächtlichen Stunde, erlebte ich „mich“ an einem nicht beschreibbaren Ort. Das Bewusstsein war unbewegt, hellwach, ein Punkt in großer Stille. In einer nicht messbaren Entfernung befand sich das Körperliche. Wellenförmig gingen Kräfte aus von „mir“ zum körperlich Manifesten. Es war wie ein Strand, in dem sich die Wellen verfestigen.
In der Tiefe sind wir geistige Wesen. Der „Andere“ in uns ist nicht sterblich. Er ist nicht aufteilbar in die vielen Aspekte, die wir an uns kennen. Er ist Individuum im wörtlichen Sinn: „unteilbar“. Er gleicht dem Mittelpunkt eines Kreises, an dessen Peripherie wir uns befinden. In unserer heutigen Zeit können wir die Kräfte erkennen, die den Weg zur Mitte verdunkeln.
Die Brücken zur Mitte werden durch geistig-seelische Räume gebildet. Sie entstehen durch die Bemühung von Gruppen, die den Weg zur Mitte gehen. Es gibt sie rund um die Erde, in allen Kulturen. Durch sie entsteht „Atemluft“, die Möglichkeit geistiger Berührung.
2006 empfing eine Reihe von Mitgliedern des Lectorium Rosicrucianum den Impuls, Stiftungen zu bilden als Orte der Begegnung. 2007 entstand die Stiftung Rosenkreuz in Deutschland, in den folgenden Jahren bildeten sich Rosenkreuz-Stiftungen und stiftungsähnliche Institute in anderen Ländern.
Sie sind die Folge eines sich wandelnden Selbstverständnisses. Wer mit einem Boot einen Fluss überquert hat, lässt es am Ufer zurück. Wer den Gefährten im Inneren erweckt, erwirbt einen anderen Namen. Der Rosenkreuzer ist dann nicht mehr Rosenkreuzer, der Sufi nicht mehr Sufi, der Kabbalist nicht mehr Kabbalist. Er ist Mensch, Bruder / Schwester mit allen.
Durch die Veranstaltungen der Stiftungen zeigte sich: Keine einzelne Gruppe vermag die Fülle des Göttlichen umfassend widerzuspiegeln. Die Gruppen müssen sich die Hand geben, sich auf Augenhöhe nebeneinander stellen, ohne sich zu vermischen. Dann bilden sie eine Art Hohlspiegel und es entsteht ein Brennpunkt ungeahnter Kraft. Jede Gruppe wächst über sich hinaus. Das gehört zu den Forderungen unserer Zeit. Im Geistig-Seelischen vereinen sich ähnliche Räume ohnehin. Wissenschaftler, die nach dem Ursprung des Lebens forschen, nähern sich dem Göttlichen auf ihre Weise. Das wissenschaftliche Vorgehen ist eine notwendige Ergänzung zum spirituellen Weg. Die beiden sind komplementär und geben einander Impulse. Auch dies zeigte die bisherige Stiftungsarbeit auf beglückende Weise.
Die Bedrohung von Natur und Planet, von Individuum und Gesellschaft, die wir heute erleben, erfordert eine gemeinschaftliche Verantwortung aller, die den inneren Werten des Lebens zugetan sind. Alle, die sich hierum ernsthaft bemühen, sind miteinander verbunden, auch wenn sie es nicht merken. Die von ihnen ausgehenden psychischen Kräfte berühren und durchdringen einander. Sie bilden einen unsichtbaren atmenden „Körper“. Durch ihn kann sich das Geistige des Lebens Unzähligen mitteilen.
Die Arbeit der Rosenkreuz-Stiftungen steht im Einklang mit dem Ursprung des Rosenkreuzertums. Es entstand vor Jahrhunderten als ein Zusammenfluss verschiedenster spiritueller Strömungen, als eine Synthese für die Zukunft. Zum 400-jährigen Geburtstag der ersten Rosenkreuzerschrift Fama Fraternitatis aus dem Jahre 1614 wurde im letzten Jahr ein Dokumentarfilm erstellt mit dem Titel Reise ins Unerwartete. Reinhard Eichelbeck, Autor des Drehbuchs und Wolfgang Jung, Produzent des Films, haben sich der Geschichte und den Inhalten des Rosenkreuzertums von außen her genähert; sie gehören der Strömung nicht an.
Das Eintreten des Unerwarteten liegt „in der Luft“. Es ist notwendig, damit viele einen Bewusstseinsschritt vollziehen zu können.
Dr. Gunter Friedrich
Infos über den berührenden und tief gehenden Film zum Thema Rosenkreuz, „Reise ins Unerwartete“, finden Sie hier.
2 Kommentare
Vielen Dank für diesen ehrlichen, offenen Beitrag und Einblick. Vieles davon habe ich auch so erlebt und empfunden.
Ein wunderbarer Text. Danke!