Im Bereich des → Klosters wurde der lat. Begriff schola für „Muße“, „Ruhe“, „wissenschaftliche Beschäftigung“ während der freien Zeit geprägt. Das Wort hat auch die Bedeutung „Unterricht“ oder „Unterrichtsstätte“. Eine spirituelle Schule lehrt demgemäß spirituelle Philosophie, → Kunst und spirituelle Praxis. Manchmal wird Schule auch für eine besondere Richtung innerhalb einer Lehre gebraucht. Selbst wenn spirituelle Lehren heute auch außerhalb von Klostermauern und ohne dauernden Rückzug aus dem weltlichen Leben gelernt und praktiziert werden können, benötigt der spirituelle Sucher in den meisten Fällen die Hilfe einer Person, die den Weg oder einen Teil des Weges schon gegangen ist und aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Verständnisses den Sucher unterweisen kann. Es kann auch eine Gruppe oder Gemeinschaft sein, die sich unter Anleitung eines entwickelten Lehrers zusammengefunden hat (→ spirituelle Suche).
Eine spirituelle Schule unterscheidet sich erheblich von einer Sekte. Manche spirituelle Lehrer wie → Krishnamurti lehnen die Rolle des → Gurus ab und geben nur Hilfestellung darin, wie der Suchende direkt zur Weisheit seines höheren → Selbst findet. Andere sagen, dass man sein ganzes Leben lang Schüler bleibe, entweder bei einem Guru, innerhalb einer Schule oder einer spirituellen Gemeinschaft.
Heute ist es möglich, Hilfe anzunehmen, ohne sich in lebenslange Abhängigkeit begeben zu müssen (→ Suche, spirituelle). Der direkte Weg, den Krishnamurti und andere lehren (→ Vedanta), ist für viele Menschen zu schwierig, weil sie ganz auf sich allein zurückgeworfen sind. Folgt man aber diesen Lehren, so können sich gute Erfolge einstellen: Jeder Mensch ist ausgestattet mit den Anlagen zur Verwirklichung. Zumindest für den „sicheren“ Start auf dem spirituellen Weg wird es notwendig sein, Hilfe anzunehmen und einen Lehrer oder eine Gruppe aufzusuchen – manchmal „sucht der Lehrer auch den Schüler“. Doch dafür besteht keine zwingende Kausalität. Diese Aussage ist eher in dem Sinne zu verstehen, dass ein Schüler ausreichend vorbereitet sein muss, um in das → Bewusstseinsfeld einer Schule zu gelangen und die ihm gemäße Schule zu finden.
Die Erfahrungen eines Lehrers oder einer Schule und ihre Methoden können für einige Zeit wirklich helfen, wenn sie dazu führen, dass ein Mensch unabhängig und selbstverantwortlich allein weiterarbeiten kann. Wenn er einige Erfahrung gesammelt hat – und sei es „nur“ durch den Besuch einiger Seminare –, dann kann er durchaus mit der Hilfe von geeigneten Anleitungsbüchern auch selbstständig ein Übungsprogramm durchführen. Dennoch bietet eine Gruppe das notwendige Feedback, um Fehler in der eigenen Entwicklung zu korrigieren oder Dinge wahrzunehmen, die man selbst an sich nicht sieht. Die Abwägung, ob der Guru, die Gruppe oder die Schule etwas Echtes vermitteln, muss der Sucher allerdings selbst leisten.
Leider kommt es häufig vor, dass esoterische Schulen „das Leben als transzendentale Militärkarriere betrachten, in der erst der Generaloberst die Erleuchtung und Befreiung erlangt, wobei in den unteren Rängen die Hackordnung noch strenger funktioniert als im profanen Militär“ (Arnold → Keyserling 1984, 95). Hier gilt es zu unterscheiden, was sozusagen Methode ist, um den Schüler aufzuwecken, und was einfach aus mangelndem psychologischem Einfühlungsvermögen praktiziert wird. Der Sucher sollte davon ausgehen, dass auch der erleuchtete Guru oder die erfolgreiche oder bekannte Gruppierung gewissen Beschränkungen unterliegt. So sind z.B. manche sexuellen Verfehlungen von Meistern bekannt geworden (indem der Lehrer das Abhängigkeitsverhältnis ausnutzte bis hin zum Kindesmissbrauch). Bei größeren Organisationen kann es passieren, dass Schüler den Guru oder Meister abschirmen und selbstständig Dinge tun oder veranlassen, die dieser nicht billigen würde – man denke nur an das Oregon-Experiment von → Osho Rajneesh. Doch selbst dann trägt ein solcher Führer die Verantwortung.
Grundsätzlich beeinträchtigt das „allzu Menschliche“ eines Lehrers nicht unbedingt die Übermittlung seiner Lehre. Man sollte nur erkennen und trennen, ob der Meister sich gerade im weltlichen oder geistigen Bewusstsein befindet. Auch der spirituell Entwickelte lebt zeitweise im gewöhnlichen Alltagsbewusstsein. Grundsätzlich befindet sich jeder Mensch abwechselnd in verschiedenen Bewusstseinsebenen (was auch eine Frage der → Energie ist). Viele Menschen haben die Vorstellung, ein Erleuchteter, ein → Heiliger, ein spiritueller Lehrer habe keine persönlichen Bedürfnisse mehr und stehe außerhalb jeder Versuchung des körperlichen Daseins. Dieses Bild ist vermutlich vom christl.-asketischen Heiligen geprägt, der dem → Teufel widerstehen muss.
Menschen haben einen Körper und körperliche oder psychische Eigenarten, Wünsche und Bedürfnisse – Menschen, die vielleicht schon länger auf dem Weg und „weiter“ sind, bilden da keine Ausnahme. Es wäre in dieser Hinsicht hilfreich, wenn wir das Modell eines entwickelten Menschen erweitern würden. „Ein neues Modell der Psyche müsste die innere Vielheit mit dem Drang zur Einheit mehr berücksichtigen“, schlägt Michael Ventura in diesem Zusammenhang vor (1985). Die menschlichen Regungen von Lehrern, Gurus oder Meistern sollten beim Schüler den Blick dafür schärfen, sich ihnen nicht mit Haut und Haaren zu verschreiben. Man könnte auch sagen: Ein guter Lehrer geht auf dem Weg nicht voraus, sondern hinter dem Schüler, der sich seinen eigenen Weg bahnen muss. Der Lehrer kann ihn nur dabei unterstützen.
Der Yoga-Experte Georg Feuerstein, der jahrelang in einer spirituellen Gemeinschaft unter Leitung eines Gurus lebte und diese Gruppe dann verließ, hebt folgenden wichtigen Punkt hervor:
„Ist der spirituelle Prozess erst einmal in Gang gebracht worden, so entwickelt er, sofern man weiterhin bewusst daran arbeitet, eine Eigendynamik. Der wahre ‚Guru’ befindet sich in mir selbst, und etwas anderes würde ich auch nicht wollen. Doch gibt es hin und wieder Situationen, in denen ein echter Lehrer einen Schüler aus dem Nest stoßen muss oder in denen man den ‚Buddha töten’ muss, wenn man ihm auf der Straße begegnet, wie der → Zen-Meister Rinzai es formuliert hat. Tun Schüler dies nicht, wenn die Zeit dazu gekommen ist, so hemmen sie ihr eigenes Wachstum. Ein Lehrspruch der → Sufi-Traditionen lautet: ‚Wenn die Tür offen ist, dann wirf den Schlüssel weg.’ … Eine Lehrer-Schüler-Beziehung kann meiner Meinung nach in unserer Zeit und in der westlichen Welt nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn der Lehrer in der Lage ist, traditionelle autokratische Verhaltensweisen aufzugeben und wenn er stattdessen eine auf Gleichwertigkeit und beidseitiges Lernen ausgerichtete Beziehung anstrebt.“ (Georg Feuerstein 1996, 20)
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