Peter Calhoun erzählt in seinem Buch „Seelenfeuer“ faszinierende Geschichten mit schamanischen Erfahrungen, Begegnungen mit Tieren und der Anderswelt. Es zeigt sich das Bilder einer großen Eingebundenheit in die Natur und den Kosmos – berührende Erlebnisse, die uns an unsere Verbindung mit dem Leben erinnern. Hier einige Auszüge.
Einleitung
Dieses Buch ist eine Sammlung von Geschichten, die von mehr als drei Jahrzehnten meiner persönlichen Reise vom Leben als Priester bis zu dem eines modernen Schamanen erzählen. Diese Geschichten geben die wechselnden Stimmungen, Anstrengungen und Bemühungen, Überraschungen, Herausforderungen und zahlreichen Lektionen wieder, die Teil meiner Reise waren. Sie zeigen, wie ich das aus meiner Kultur übernommene Glaubenssystem aufgab und wie sich eine 180-Grad-Kehrtwende meiner Sicht auf die Welt um mich herum vollzogen hat.
Ich bin einer dieser vielen Menschen der heutigen Zeit, die in einer weltlichen Kultur aufwuchsen, die jahrhundertelang bewusst alle Aufzeichnungen und Überlieferungen alten Wissens und zeitloser Weisheit zerstört hat. Wie so viele andere moderne Menschen stellte auch ich fest, dass die Angebote der heutigen Gesellschaft nicht das tiefere Verlangen meines Geistes befriedigten.
Ebenso wie viele andere Suchende musste auch ich dieses unbezahlbare Wissen, dessen Besitz eigentlich zu meinen Geburts-rechten gehören sollte, selbst wiederentdecken. Man begegnete meinem Streben und Suchen oft mit gerunzelter Stirn, Spott, Ablehnung und sogar Feindseligkeit – wie bereits so vielen vor mir. Während der über Jahrhunderte stattfindenden Prozesse wegen Ketzerei, Hexenverbrennungen und der Inquisition töteten wir all die Männer und Frauen, die in der damaligen Gesellschaft das Wissen besaßen. Diese Menschen waren die Weisen, die Schamanen ihrer Zeit, die Dorfhebammen und Heiler, die Kräuterkundigen und Alchemisten, Mitglieder der Linie derer, die dieses Wissen und die Weisheit seit Menschengedenken weitergegeben hatten.
Dieser Übergriff auf das Wissen war jedoch nicht auf Menschen beschränkt. Unschätzbare Aufzeichnungen wurden zerstört durch das Niederbrennen und Plündern der Orte, an denen sie aufbewahrt wurden, beispielsweise der Brand der großen Bibliothek von Alexandria (Ägypten) und die Zerstörung der Popol Vuh-Tafeln der alten Mayas durch die Jesuiten. Derlei Gräueltaten kamen einem intellektuellen und spirituellen Völkermord gleich. Der Preis, den wir als Zivilisation dafür bezahlt haben, ist so enorm, dass er wahrscheinlich nie ermessen werden kann.
Ich musste die Kirche zu gegebener Zeit verlassen, um herauszufinden, was sie verloren hatte. Die meisten Menschen wenden sich von ihrer Berufung aus Ernüchterung oder einem Gefühl des Versagens ab, aber ich war in dem Leben als Gottesdiener, das ich gewählt hatte, äußerst glücklich und ging auf den Gipfel meiner Karriere zu, als ich beschloss, das Priestertum aufzugeben.
Als ich schließlich entdeckte, was uns verloren gegangen war, wurde mir klar, dass zwar keine der Religionen (einschließlich meiner eigenen) wirklich falsch war, aber dass sie alle unvollständig waren. Sie sollten niemals abgeschlossene Einheiten sein, sondern vielmehr wichtige Trittsteine, die in einen größeren Ozean führten, der unbegrenzt und nicht eingeschränkt durch Glaubenssysteme und Tradi-tionen ist. Ich erkannte, dass es ganz gleich ist, welchen Weg wir einschlagen, und dass jeder von uns letztendlich über jede Religion und jedes Glaubenssystem hinausgehen muss. Ich glaube nicht, dass irgendeine Religion oder irgendein Wissenssystem einem anderen überlegen ist, und ich denke nicht, dass der Schamanismus besser als das Christentum ist. In ihrer reinen und ungetrübten Form sind die Lehren Christi höchster Ausdruck der Wahrheit, einzigartig in der Welt. Aber seine Lehren wurden schon sehr früh verfälscht von den Politikern der römischen Kirche, die die Kirchenversammlungen manipulierten. Die Aufzeichnungen vom Leben und von den Lehren Christi wurden immer wieder von den Machthabenden bearbeitet, damit sie deren eigene spezielle Vorstellungen widerspiegelten.
Mein Gelöbnis als Priester, die Lehren der Kirche zu hüten, wurde abgelöst von der Mission meiner Seele, die Wahrheit zu suchen. Bei dieser Suche entdeckte ich einen alten Wissensbereich und heilige Wahrheiten; diese erfordern nicht die Billigung eines besonderen Glaubenssystems – sie sind beweisbar, durchführbar und finden sich im Leben jedes Menschen – wie es in diesem Buch beschrieben wird.
Vor etwas mehr als drei Jahrzehnten erlebte ich ein spontanes Erwachen spiritueller oder paranormaler Fähigkeiten. Ich war immer der Meinung gewesen, dass diese Fähigkeiten, sollten sie wirklich existieren, ausschließlich Schamanen oder östlichen Mystikern vorbehalten seien.
Als Gemeindepfarrer in der Episkopalkirche war ich überhaupt nicht auf das vorbereitet, was mir widerfuhr. Diese eigenartigen und sonderbaren Veränderungen beunruhigten und verunsicherten mich tatsächlich sehr und ich fragte mich, ob ich allmählich den Bezug zur Realität verlor. Wenn Menschen zu mir kamen, um mich um Rat zu fragen, wusste ich bereits im Voraus, was ihre Probleme waren. Ich konnte sogar besondere Dinge über das Leben der mir vollkommen Fremden wahrnehmen. Ich begann, die Aussagen der Menschen vorherzusehen und erkannte bald, dass ich Gedanken lesen konnte. All diese Veränderungen in mir waren lediglich die Spitze des Eisbergs. In den folgenden Jahren entdeckte ich, dass ich die Gedanken von Tieren und Pflanzengeistern verstehen konnte und sogar in der Lage war, mit den Elementarkräften selbst zu kommunizieren und sie zu beeinflussen.
In der Anfangszeit meines Erwachens hatte ich eine Reihe von Visionen, die mir etwas über die mögliche Zukunft der Erde und der menschlichen Rasse sagten. Ich erkannte, dass, falls diese Visionen genaue Prophezeiungen waren, die meisten Menschen, einschließlich ich selbst als Priester, sich mit den falschen Fragen beschäftigten. Ich erhielt die Botschaft, dass wir als Spezies armselige Hüter der Erde seien und dass, falls dieser Missbrauch und diese Vernachlässigung weitergingen, wir bald bittere Folgen ernten würden. Die logische Schlussfolgerung daraus lautete, dass unsere Zeit schnell ablief.
Das oben beschriebene Erwachen in Verbindung mit diesen beunruhigenden Visionen brachte mich dazu, widerstrebend und zögerlich die Entscheidung zu treffen, das Amt als Geistlicher in der Kirche zu einem Zeitpunkt niederzulegen, als ich mich auf den Gipfel meiner Karriere zubewegte, und eine persönliche Suche zu beginnen, die bis heute fortdauert. Seelenfeuer erzählt von wirklichen Erfahrungen, die diese Suche widerspiegeln. Ich habe die Geschichten in diesem Buch ausgewählt, weil sie spezielle Lektionen enthalten, die zum jeweiligen Zeitpunkt wichtig für mich waren, und weil diese Lektionen zudem allgemeingültig sind.
Während meiner Suche erkannte ich allmählich, dass etwas mit mir geschah, das noch tiefgreifender war als das Erwachen verborgener Kräfte oder das Erlernen der wertvollen Lektionen des Lebens. Ohne es zu wissen, war ich immer auf dem Weg gewesen zu einer bewussten und ekstatischen Vereinigung mit allem, was ist. Ich habe erfahren, dass genau dies der Weg ist, den wir als Spezies verloren haben und wiederentdecken müssen, wenn unser Überleben gesichert sein soll.
Dieser Weg, diese Transformationsreise, ist das ultimative Abenteuer. Es ist genau diese außergewöhnliche Suche, die das gesamte Leben bestimmt. Sie übersteigt alle fiktiven Darstellungen, die jemals erdacht werden könnten, an Reichtum, Tiefe, Vielfalt und Dramatik. Die Reise ist ein Sprung ins Unbekannte, ein wenig beschrittener Weg – sie ist zur gleichen Zeit Narrenposse und Heldentat. Man ist in den Augen der Welt ein Narr, wenn man alles daransetzt, um einer Vision zu folgen. Und man ist ein Held, wenn man seine Reise fortsetzt trotz archetypischer Gegenkräfte, die die eigene Existenz bedrohen.
Wie auf den folgenden Seiten deutlich wird, kann diese Reise anrührend wie schmerzlich, humorvoll und doch tiefernst sein. Mit Verwirrung und Angst als ständigen Begleitern kann sie eine große Herausforderung darstellen. Es gibt bizarre Momente, unmögliche Szenarios und absolut groteske Situationen, in denen Lachen die beste Medizin ist. Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen und seine Menschlichkeit zu akzeptieren, ist eine Eigenschaft, die man haben sollte. Es gibt Zeiten der Entdeckungen und Durchbrüche; Zeiten, wenn sich nach vielen Kämpfen Türen öffnen, von deren Existenz man nicht einmal wusste. Dann erlebt man Momente der Erleuchtung, sogenannte ›Satoris‹, oder durchschreitet Pforten, die einem einen kurzen Einblick in die größere Welt jenseits der unsrigen geben.
Die Reise bringt Offenbarungen mit sich, die uns sprachlos vor Ehrfurcht werden lassen und nach denen wir nie wieder dieselben sind wie vorher. Wie in einigen der Geschichten in diesem Buch beschrieben, gibt es Zeiten großer Gefahr, lebensbedrohlicher Situationen, in denen wir herausgefordert und zutiefst geprüft werden. Die Transformationsreise ist nichts für Feiglinge oder Kleinmütige. Aber zumindest ist sie nicht langweilig. Seit ich mich auf meine Reise gemacht habe, kann ich mich wirklich an keinen einzigen Tag, vielleicht sogar keine einzige Stunde erinnern, in der ich mich gelangweilt habe.
Manchmal im Leben werden wir allein von dem Ausmaß der Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, einfach über-wältigt und können nur mutig weitergehen im Vertrauen auf ein inneres Radarsystem, das uns durch den Nebel führt. Den Weg der spirituellen Initiation zu gehen heißt, auf dem Hochseil zu balancieren. Das Schwert des Damokles schwebt immer über uns an einem dünnen Faden. Wir können uns nicht mit einem vollen Rucksack auf die Reise machen. Wenn unser Rucksack voller Erwartungen, Pläne oder Selbstherrlichkeit ist, findet Neues darin keinen Platz. Es ist am besten, so wenig Gepäck wie möglich mit auf die Reise zu nehmen. (gekürzte Fassung)
Peter Calhoun
Kapitel 1 – Reisen in die heilige Wildnis
Über die Jahre hinweg habe ich zahlreiche Reisen in die Wildnis unternommen, zum Teil alleine und zum Teil habe ich auch Gruppen von Erwachsenen und jungen Menschen auf Visionssuchen und anderen Reisen in die heilige Wildnis begleitet.
Eine Visionssuche ist ein alter Initiationsritus, der seinen Ausdruck in vielen Kulturen in der ganzen Welt findet. Visionssuchen werden von den Eingeborenenvölkern Amerikas seit Tausenden von Jahren praktiziert und auch die Suchenden der heutigen Zeit aus verschiedenen spirituellen Traditionen bedienen sich dieses Mittels.
Eine Visionssuche ist für einen Menschen eine Zeit, in der er nach einer Führung in seinem Leben sucht und sich aus der Routine und dem Druck des modernen Lebens in die Einsamkeit und Stille der Wildnis zurückzieht. Es ist auch eine symbolische Reise in die Wildnis des Verstandes und des Geistes. Die Richtungsweisung erfolgt gewöhnlich in Form von Visionen, kraftvollen Synchronizitäten, klaren Träumen, spontanen Enthüllungen und/oder magischen Erfahrungen mit der Welt der Natur.
Ich habe Hunderte von Suchenden auf Visionssuchen und anderen Reisen in die heilige Wildnis geführt. Meiner Meinung nach ist dies die einzige und stärkste Transformations-erfahrung, die jemand machen kann. Ich habe miterlebt, dass zahlreiche Leben, einschließlich meines eigenen, sich in der Folge verändert haben. Im Gegensatz zu Hochgefühlen in oder nach Workshops, die sich allzu oft mit der Zeit wieder verflüchtigen, scheint eine Visionssuche immer dauerhafte Veränderungen im Leben eines Menschen herbeizuführen.
Feuer in der Wüste, Canyonlands Base Camp, Utah:
Ende April und Anfang September (15 Jahre nach meiner Abschiedspredigt)
Auf meinem Weg durch die Rockies von Boulder in den Bundesstaat Utah erwachten meine Lebensgeister durch den Kontrast zwischen warmem Sonnenschein und frisch gefallenem Schnee zu neuem Leben. Ich fuhr von der Interstate 70 auf die Utah State Road 191 ab und blickte auf die Ehrfurcht gebietenden roten Steinformationen, für die die Nationalparks Arches und Canyonland bekannt sind. Ich wusste, ich war wieder nach Hause gekommen.
Für mich waren diese Canyons ein einzigartiger und besonderer Ort auf diesem Planeten. Die riesigen Felsformationen schienen lebendig, ihre Präsenz war in der Landschaft spürbar. Es kam mir vor, also ob jeder, der einmal mitten in dieser Region gewesen war, gar nicht anders konnte, als auf eine tiefe Art verändert zu werden.
Wir legten kurz darauf die letzte Etappe der Reise zu unserem Basislager zurück. Die letzten sieben Meilen führten uns hinunter auf einer holprigen Straße, die den Forstarbeitern diente; zu dieser Etappe gehörte auch die Überquerung eines Flüsschens, die sogar für unser Fahrzeug mit Allradantrieb eine Herausforderung darstellte, weil die Ufer wegen der Schneeschmelze überflutet waren.
Schließlich waren wir am Ziel, die Reise hatte sich gelohnt. Die beiden Seiten des Flusses, der durch einen breiten Canyon mit hoch aufragenden Felswänden floss, waren von zahlreichen alten Pappeln bewachsen. Als wir alles ausgeladen und das Lager errichtet hatten, waren wir erschöpft und die späte Aprilsonne begann bereits über dem westlichen Rand des Canyons unterzugehen.
An diesem Abend setzten wir uns mit unseren von der Reise müden Teilnehmern um ein Versammlungsfeuer zusammen, um ihnen einführende Informationen und eine Orientierung zu geben. Die meisten Teilnehmer waren bereits seit einem Jahr oder länger bei meiner früheren Partnerin Marilynn und mir in der Ausbildung. Sie nahmen alle an diesem langfristigen Programm teil und ich hatte viele von ihnen bereits richtig ins Herz geschlossen.
Nachdem sich alle zum Schlafen zurückgezogen hatten, blieb ich noch einige Zeit im hellen Mondlicht wach. Die Nacht ist ein ganz eigener Ratgeber in diesen Canyons. Der fragende Ruf der Eule wurde schon bald von den eindringlichen Sopranstimmen eines Kojotenrudels beantwortet.
Vor dem Einschlafen wanderten meine Gedanken zu den vielen Erlebnissen und Erfahrungen, die wir mit unseren Gruppen in der Wildnis geteilt hatten. Wie Elia und Mose, Jesus Christus, Johannes der Täufer und der heilige Franziskus waren wir in die unberührte Wildnis gereist. Das, was bei unseren Reisen in die Wildnis geschah, war kein Bildungsprogramm, denn spirituelles Wissen kann nicht unterrichtet werden. Es muss erfahren werden. Stattdessen war es ein Tanz, der erlesen, heilend, förderlich und selbstbestätigend gleichzeitig war.
Für einige war es eine unbegreifliche, aber transformierende Begegnung mit dem Unbekannten. Jeder von uns brachte seine eigene, ganz spezielle Energie in die Gruppe ein, die durch die Verbindung mit den Energien der anderen größere Möglichkeiten für persönliche Veränderung eröffnete als unsere individuellen Fähigkeiten allein. Jeder von uns hatte auf seine eigene Weise danach gesucht, das große Geheimnis zu verstehen.
Die meisten von uns kamen aus verschiedenen Städten im ganzen Land und hatten bis vor Kurzem kaum Erfahrung mit der Wildnis. Wie anders das alles hier draußen war, inmitten solch einer Weite, Abgeschiedenheit und tiefen Stille, an diesem Ort, der von den steilen Sandsteinwänden des breiten rotfelsigen Canyons eingeschlossen wurde, der über uns wie ein riesiges Bollwerk ragte.
Als Menschen in dieser modernen Welt stecken wir fest in den verworrenen Netzen von Selbstbefangenheit, Trivialität, Zerstreuung und Ablenkung. Aber hier draußen war es anders. Niemand schien mit persönlichen Dingen beschäftigt zu sein. Es herrschte das Bewusstsein vor, Teil von etwas zu sein, das größer ist als wir selbst, sogar größer als die Summe dessen, was wir alle zusammengenommen waren. Unser Geist brauchte das genauso, wie unser Körper Essen und Trinken benötigte. Wir brauchten Aufgaben, die uns aus uns selbst herausholten und jenseits des Wandels und der Wechselhaftigkeit unseres Alltagslebens brächten.
Großmutter Mond hatte ihre nächtliche Reise über den Himmel fast beendet, als ich in einen traumlosen Schlaf glitt. Am nächsten Morgen nach einer Meditation zum Sonnenaufgang begannen wir, den Bereich für ein Schwitzhüttenritual vorzubereiten, das an diesem Abend stattfinden sollte. Bei dieser traditionellen Reinigungs-zeremonie der Indianer geht es nicht nur um die Ausscheidung von Körpergiften, sondern auch um die Befreiung von der mentalen und emotionalen Vergiftung, die das Alltagsleben in der modernen Welt als unvermeidliche Spuren in uns hinterlässt. Durch diese Zeremonie würden wir offener und empfänglicher für die höheren spirituellen Energien werden, die wir in dem Wildnisretreat suchten. Darüber hinaus hatte jeder von uns seine eigenen Methoden der individuellen Vorbereitung.
Für unser Feuer gruben wir eine flache Mulde in den sandigen Wüstenboden und legten sorgfältig einige Stöcke in der Art einer Pyramide hinein ? in Übereinstimmung mit den vier heiligen Himmelsrichtungen. Wie es bei all unseren Zeremonien üblich ist, verwendeten wir kein Papier und keine Chemikalien. Ich fühlte die beruhigende Wirkung, die diese Vorbereitung auf uns hatte. Dies war die spirituelle Grundlage für unsere heilige Zeremonie, die am Abend folgen würde. Diese innere Stille war ein wichtiger Auftakt für die kommenden Ereignisse.
In meinen wildesten Fantasien hätte ich mir nicht die Folge von Ereignissen, die jetzt eintraten, vorstellen können. Ich erinnere mich, dass mein Blick auf einen bestimmten Punkt an der Pyramide aus Stöcken gezogen wurde, die von unseren Feuerverantwortlichen, Mark und Lynn, absolut perfekt auf die vier Himmelsrichtungen ausgerichtet worden waren. Ich hörte das durchdringende Pfeifen eines Rotschwanzfalkens, der irgendwo über dem westlichen Rand des Canyons kreiste. Vielleicht warnte mich mein Verbündeter davor, was gleich geschehen sollte. Es gab keine andere Warnung! Abgesehen von dem Schrei des Falken gab es keine Zeichen, Synchronizitäten oder Vorwarnungen für uns. In einem Moment befanden wir uns in dieser normalen Zeit und am gewohnten Ort. Im nächsten Moment waren wir in dieser magischen Zeit, in der die normalen Gesetze unserer drei-dimensionalen Zeit nicht länger gelten.
Plötzlich, sogar ohne die geringste Spur von Rauch als Warnung, standen die Stöcke, die wir gerade für das Feuer gelegt hatten, mysteriöserweise in Flammen. Wir schauten ungläubig zu. Ich erkannte in diesem Moment, dass ich seit der Ankunft im Basislager darauf gewartet hatte, dass etwas passieren würde, aber das hätte ich mir niemals ausmalen können. Vor uns war die Realität gestreckt, gebogen und zusammengefaltet worden, um eine unbegreifliche, spontane Entzündung auszulösen. Das großartige Mysterium ließ uns alle stumm werden. Die Zeit stand still.
Eine Stille ergriff uns alle, als wir uns vor dem Feuer zusammenfanden. Der Himmel war pink und gold geworden und die späte Morgensonne ließ die oberen Canyonwände in Pastellfarben erstrahlen. Der unbeschreibliche Glanz des vor der Wüstenlandschaft hell brennenden Feuers versetzte mich in einen höheren Bewusstseinszustand.
Dann sagte die innere Stimme, die oft meine Visionen begleitete: »In jedem Feuer lebt eine spirituelle Kraft; diese wird als die elementare Kraft des Feuers bezeichnet. Als Gruppe seid ihr unbeabsichtigter-weise in einen Zustand magischen Bewusstseins eingetreten und in der Kraft dieses Bewusstseins habt ihr das Element Feuer selbst hervorgebracht.« Für einen kurzen Moment in der Wüste hatten wir die Struktur der Realität verändert. Es war wirklich ein heiliger Moment.
Ich hatte erfahren, dass dieses heilige Feuer in jedem von uns brennt. Es ist genau dasselbe Feuer, das auch in den Sternen zu finden ist. Wenn dieses Feuer im Innern aktiviert ist, dann brennen wir selbst wie Miniatursupernovas. In den Schriften wird das Feuer oft mit der Manifestation einer Gottheit in Verbindung gebracht. Mose hörte die Stimme Gottes in dem brennenden Busch und die Kinder Israels folgten einer ›Wolke am Tag‹ und einem ›Feuer in der Nacht‹ bei ihren Wanderungen durch die Wüste. Elia wurde in einem feurigen Wagen in den Himmel gehoben. Der Heilige Geist kam über die Schüler, die sich an Pfingsten am gleichen Ort versammelt hatten, mit einem Brausen vom Himmel her und in ›Feuerzungen‹ .
In ähnlicher Weise wird das Feuer in der christlichen Mystik als eine Erscheinungsform Gottes beschrieben. In seinem Memorial schrieb Blaise Pascal, der sagt, Gott sei eine Erfahrung wie Feuer, ekstatisch ausrufend: »Feuer! Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede … Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude!«
Die innere Führung, die ich erhielt, diente jedoch lediglich dazu, das Geheimnis zu vertiefen, denn was wir gerade in der Wüste erlebt hatten, konnte weder in Worte gefasst werden noch gab es dafür eine plausible Erklärung. Aus althergebrachter religiöser Sicht war das, was uns widerfahren war, ein Wunder. Aber Wunder sind kein Eingriff in die göttliche Ordnung, sondern ein Einblick in ein Spiel der Gesetze, die jenseits unseres gegenwärtigen Verständnisses sind. Es heißt, dass die Wunder von heute die Wissenschaft von morgen sind. Ein Automobil, ein Fernseher, ja sogar das Anzünden eines Streichholzes wäre für diejenigen, die zu Jesu Zeiten lebten, ein Wunder gewesen.
Die Geschichte von unserem Erlebnis mit dem heiligen Feuer war jedoch noch nicht zu Ende. Wäre dies der Fall gewesen, hätte man es vielleicht als eine Anomalie der Natur abtun können oder sogar als eines dieser Zufallsereignisse in einem Universum der unendlichen Möglichkeiten, über die Quantentheoretiker so gerne Axiome formulieren. Aber im Frühherbst ? drei Jahre waren seither vergangen ? waren wir mit einer neuen Gruppe am selben Ort.
Am zweiten Tag unseres Zusammenseins wurde mir, während ich unterrichtete, urplötzlich klar, dass ich das Feuer noch einmal ganz bewusst und absichtlich erzeugen könnte. Ich erzählte die Geschichte unseres Erlebnisses von vor drei Jahren. Die Feuerstelle für die indianische Schwitzhüttenzeremonie hatten wir bereits auf dem sandigen Wüstenboden vorbereitet, das Feuer musste am nächsten Tag nur noch angezündet werden ? ich verkündete meine Absicht.
Am nächsten Nachmittag, als unsere große Gruppe von Visions-suchern darauf wartete, dass der Hüter das Feuer anzündete, geschah es wieder. Plötzlich und mysteriöserweise entzündeten sich die Stöcke! Dieses Mal hatte ich im Gegensatz zu der Episode vor drei Jahren meine Absicht in Anwesenheit der Visionssucher deutlich geäußert. Ich hatte die Kühnheit gehabt, meine Lehrer aus den spirituellen Reichen zu bitten, uns die Ehre eines weiteren spontanen Entzündens zu erweisen. Die wundersamen Elementargewalten des Feuers hatten nicht nur auf meine Anrufung geantwortet, sondern uns gleichzeitig auch die Ehre mit einer zweiten und dritten spontanen Entzündung in zwei anderen Holzstapeln, die sechs Meter entfernt lagen, erwiesen. Erstaunlicherweise hatte uns nicht die geringste Spur von Rauch darauf vorbereitet ? es geschah ganz unerwartet, aus dem Nichts … Feuer!
Niemand sprach ein Wort. Wir starrten einfach ehrfürchtig auf die drei schnell wachsenden Flammen. Ich konnte die steigende Hoch-stimmung in den Herzen derjenigen um mich herum fühlen. Es war ein ekstatischer Moment! Es war eine weitere Manifestation! …
Peter Caloun: „Seelenfeuer. Ein Priester erwacht zum Schamanen“
Verlag: EchnAton 2009
Umfang: 400 Seiten
Preis: 19,95 €
ISBN: 978-3937883250
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