Sich exponieren – Wolf Schneider

von Thomas

dochMutAus dem Schatten heraustreten ins Freie: Mut kann vieles sein, und meist fühlt sich die mutige oder feige Tat von innen anders an als sie von außen aussieht, das weiß jeder Held auf seiner Reise. Hier erzählt der Herausgeber der Zeitschrift connection von seiner spirituellen Reise und der Konfrontation mit seinem Meister – 23 Jahren ist das her – und dem Sturm an Leserbriefen, den das auslöste, dem größten solchen, den diese Zeitschrift je erlebt hat.

Von Wolf Schneider

Bin ich mutig? Schwierige Frage. Manches, das andere mit einem Achselzucken abtun, ist für mich ein großes Wagnis. Andererseits gab es Situationen, in denen ich mich mit Leichtigkeit in Feldern bewegte, die für andere höchst gefährlich zu sein schienen, und danach erhielt ich Bewunderung für meinen Mut, der doch nicht wirklich einer war.

Früher bekam ich manchmal vor Schüchternheit kaum den Mund auf. Würde ich sprechen, dann wäre ich durchschaut als unfähig und nicht lebenswert, fürchtete ich. Andererseits gab es Situationen wie die, in der damals (1977) wohl weltweit berüchtigtsten Encountergruppe, in den unterirdischen Therapy Chambers von Poona. Die Wände dort waren gepolstert, damit, wenn mal einer an die Wand geworfen wurde, er nicht gleich verletzt würde. Alle saßen an den Rand gekauert in brütender Stille, angstvoll und bereit zu kämpfen. Ich wagte mich in die Mitte, schweigend, und bewegte mich dann immer genau dorthin, wo meine Angst am größten war – die Angst angegriffen und vernichtet zu werden, einfach deshalb, weil ich da war. Es war totenstill geworden im Raum, und meine Angst war weg.

Was als Mut gelten könnte und wo die Angst dann jeweils ist, das will ich hier nur am Rande theoretisch behandeln, sondern will von ein paar Schritten in meinem Leben erzäh?len, die mir rückblickend als mutig erscheinen. Von meiner Angst, meinem Mut und meinen Befürchtungen auf dem Weg meiner Selbstwerdung, dem Fassen von Selbstvertrauen.

Entscheidungen

Zunächst mal waren da die Schritte aus dem Elternhaus hinaus – Initiationserlebnisse, die mich erwachsen werden ließen. Trampen mit 16, mit kaum Geld in der Tasche. Draußen schlafen in Gegenden, wo es Wölfe gab oder Räuber – überfallen wurde ich nie, das Schlimmste waren die Mücken. In Länder reisen, deren Sprache ich nicht verstand. Und solche Entscheidungssituationen wie diese: Ich war in Südfrankreich auf der Schule, hatte Herbstferien, trampte nach Barcelona und stand dort auf den Felsen oberhalb des Hafens, schaute übers Meer und überlegte, wie es wäre, wenn ich einfach abhauen würde. Weg von der Schule, weg von all den Gefängnissen, in denen ich zu funktionieren hatte. Ich würde in Spanien oder Marokko untertauchen, kein Abi machen müssen, weg sein, frei! Ich kehrte zurück. War das feige? Unge?fähr zwei Jahre später noch mal: Nun hatte ich das Abi, war nach Kathmandu getrampt und hatte zu entscheiden, ob ich den langen Rückweg antreten sollte, über die Landstra?ßen Südwestasiens zurück nach München, wo ich einen Studienplatz für Physik hatte. Oder im Himalaya bleiben und mich dort durchschlagen? Ich kehrte zurück. Das westliche Bildungssystem verließ ich erst vier Jahre später ganz, nach acht Semestern einer Art von studium generale, im Hauptfach Philosophie und Wissenschaftstheorie.

Verloren, angekommen …

Wissen wollen und erkennen, was ist, das war für mich immer das Wichtigste im Leben. Von wem lerne ich am besten, und wo? Das führte mich wiederholt in riskante Situationen. Auf Borneo in den Wald gehen ohne behördliche Erlaubnis. In Thailand ins Klos?ter gehen, dabei meinen ganzen (geringen) Besitz abgeben und auf das in Deutschland unabgeschlossene Studium pfeifen, war das mutig? Es war für mich damals genau das Richtige. Wenn ich einen solchen »entscheidenden« Schritt getan hatte, wurde es ruhig in mir. Da war das Gefühl, angekommen zu sein, bei mir selbst oder »im richtigen Leben«. Das Gefühl, zuhause zu sein, obwohl ich doch weitab jeder Heimat völlig allein war und ohne Besitz – kaum dass jemand, der mich kannte, wusste, wo ich war.

… und doch wieder ausgestellt

Ein Jahr später traf ich auf Osho. Ich liebte es damals (auch heute noch mag ich das), unterzutauchen in einer Menge, dort niemand Besonderes zu sein und mitzuschwimmen mit den vielen anderen, die einander irgendwie gleichen, wie in einem Fischschwarm. Nur nicht auffallen! Meine Kleidung war so, dass das fast immer gelang. Dann kam Sannyas. Plötzlich war ich in grellem Orange gekleidet! Zurück in Deutschland war das noch schlimmer, oft war es ein Spießruten laufen. Mit der Mala (Halskette) und Osho-Bildchen um den Hals wurde man für blöd gehalten, für Opfer eines Kultes, abhängig, gehirngewaschen, und von mitleidigen Blicken gesteinigt. War mir das egal? Keineswegs. War ich dabei mutig oder nur verrückt? Das eigentlich Verrückte war ja, dass die Blicke derer, die da den Jünger der psychischen Abhängigkeit bezichtigen, eigentlich die abhän?gigeren waren. Doch sie waren in einer Trance, die kaum auffiel, denn es war die übliche Trance der Masse, der Mainstream.

Mutig, aber peinlich

Als orange gewandeter Taxifahrer in München mit dem Osho-Bild um den Hals war ich exponiert. Das war in gewisser Hinsicht mutig. Wenn ich unter Sannyasins war, galt aber wieder ganz Anderes: ego-los sein, nicht auffallen, mitschwimmen, Hingabe, niemand Besonderes sein. Dass ich dann, noch zu Oshos Lebzeiten, eine Zeitschrift begann, die in den ersten Monaten auch noch »Orange Connection« hieß, war wiederum mutig. Es gab ja auch eine »Rajneesh Times«. Das war die offizielle Presse der Bewegung. »Warum machst du da nicht mit? « Wenn ich im Schreiben oder Redigieren Talent hätte, müsste ich dort mitmachen und nicht »mein eigenes Ding«, das war die offizielle Meinung. Mein Ego war es, das mich dieses Ding machen ließ, das war allen Beobachtern sonnenklar. Mutig? Vielleicht schon, aber in spirituellen Kreisen eher peinlich.

Heute würde ich sagen, mein Erwachsenwerden war damals noch nicht abgeschlossen; mein Reifen sowieso nicht, das endet ja nie. Jeder Schritt zu neuen Ufern, jedes Erringen einer neuen Lebensstufe, braucht wieder Mut, wie Hermann Hesse es in seinem berühmten Gedicht (»Stufen«) so schön sagt: »Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise / Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen / Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise / Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.«

Gehorsam?

Und so stellte ich mich dieser Herausforderung und machte mein eigenes Ding. Ich war aber immer noch Osho-Sannyasin, das heißt, ich hatte einen Meister. Was sagte denn der dazu, dass ich da mein eigenes Ding machte? Hat man als Schüler nicht seinem Meister zu gehorchen?

Ja, an der Oberfläche, da sieht es so aus, als habe der Schüler (oder Jünger, engl. devotee) seinem Meister oder der Meisterin zu gehorchen. Widerspenstige Egos, d.h. sehr eigensinnige, sture Menschen, die sich nicht verändern wollen, scheitern dort schon mal, was den Vorteil hat, dass diese Meister nicht völlig überlaufen sind und noch eine gewisse, auch individuelle »Arbeit« machen können mit ihren Schülern. Wirkliche Meister wollen keinen Gehorsam, sie verbieten ihn schließlich sogar, aber sie müssen ihre folgesüchtigen Schüler erstmal dort hinführen, wo echte Autonomie möglich ist.

»Rette uns vor den Rechtschaffenen«

Im Frühjahr 1989 bekam ich von Maneesha, damals Oshos Sekretärin, die Aufforderung, meine Leser vor dem abtrünnigen Osho-Schü?ler Paul Lowe (als Sannyasin hieß er Swami Ananda Teertha) zu warnen, denn der sei »raffiniert und hinterhältig« und »vom Wege abgekommen«. Ich erschrak, war erschüttert, ließ diese Botschaft erstmal sinken – und rebellierte dann. Öffentlich. Eine Verleumdung weitergeben, nur weil dort einer die Schafherde verlassen hatte und die Organisation sauer war, einen ihrer Prominenten verloren zu haben? Nicht mit mir! In unserer Juli-August Ausgabe 1989 zitierte ich Maneeshas Brief in aller Ausführlichkeit und gab ihr unter der Überschrift »Rette uns vor den Rechtschaffenen« eine emphatische Antwort. Dazu das Bild von einer Schafherde.

Nie wieder in den 27 Jahren, die ich diese Zeitschrift herausgebe, habe ich zu einem Thema so viele, so lange und so leidenschaftliche Leserbriefe erhalten. Und nicht nur von meinen deutschen Lesern. Der Artikel wurde in Poona ausgehängt, übersetzt ins Englische, und es antworteten mir auch die Top-Leute von dort: Maneesha selbst, Arjuna (damals Finanzchef), Oshos Leibarzt Amrito und sein Zahnarzt Devageet.

Woche für Woche erhielt ich neue Briefe hierzu (auf Papier! Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen). Monatelang. Es kamen immer neue, und auch die veröffentlichten Antworten wurden wieder beantwortet. Nach etwa einem halben Jahr stoppte ich die Veröffentlichungen, weil ich den Eindruck hatte, dass das von außen aussähe wie Richtungskämpfe innerhalb der Sannyas?szene, ähnlich wie Nicht-Grüne damals über den Kampf zwischen Realos und Fundis bei den deutschen Grünen nur den Kopf schüttelten. Dabei war hier ein wichtiges Thema angesprochen, das schwelte und brodelte und überwiegend ungelöst blieb: die Suche nach Autonomie, Freiheit, Selbstständig?keit und Überwindung des Egos, wie sie innerhalb der Meister-Schüler-Beziehung gelingen kann oder eben verraten wird.

Der Meister schweigt

Was sagte denn der Meister selbst dazu? Vermutlich war ihm mein rebellischer Text übersetzt worden, oder es war ihm gesagt worden, dass ich mich öffentlich gegen Maneesha gestellt hatte, und dann hatte er seine Leute aufgefordert, mir zu antworten. Wie hätte es sonst sein können, dass vier der Top-Leute in Poona diesem kleinen Blättchen im fernen Deutschland so viel Aufmerksamkeit gaben, der Chef selbst musste sie darum gebeten haben. Er aber sagte nichts. Ich fragte ihn auch nicht direkt »Osho, was sagst du dazu?«, denn ich war mir der tiefen Richtigkeit meines Standpunktes so sicher, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass er, der mir so sehr geholfen hatte, dieses Ur-Innerste zu erkennen, es freizulegen und dann dazu zu stehen, nun einfach dazu nein sagen würde. Aber warum veranlasste er dann seine Leute, mich mit Worten aufs Heftigste zu bekämpfen?

Ich hatte ihm schon ein paar Mal geschrieben und darum gebeten, etwas zu meiner Zeitschrift zu sagen, aber nie eine Antwort erhalten. Ich war stolz auf mein Projekt, und stellte mir dann vor, wie er – Er! – wie ein gütiger Vater oder Mentor dazu sagen würde: »Gut gemacht! Du hast meine Botschaft verstanden! Weiter so!« Hätte ich solch eine Antwort tatsächlich erhalten, hätte ich mich aber wohl eher meines kindlichen Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit und Lob geschämt. Solch ein Meister-zu-Schüler-Kitsch, nein danke. Hatte er uns alle denn nicht jahrelang gepredigt, zu uns selbst zu stehen und mutig aus dem Herzen heraus zu handeln?
Dann, allmählich, fand ich es gut, dass er nicht geantwortet hatte. Er ließ mich allein. Er war nicht dagegen, was ich tat und auch nicht dafür, ich musste das selbst verantworten. Nun hatte er sogar seine Leute gegen mich aufgehetzt, mit hahnebüchenen Vorwürfen gegen mich anzutreten, so viel war ich ihm wert! Aber keine Antwort. Oder eigentlich: Das war die Antwort.

Dann stirbt er

Ein paar Monate nach diesen Ereignissen, im Januar 1990, starb Osho. Die Nachricht erreichte mich im Connection-Büro. Erstmal ungläubiges Staunen, dann Stille. Dann erfasste mich ein tiefes Seufzen und zugleich Aufatmen, ich weinte, traurig und glücklich zugleich. Nun gab es keine »Botschaften aus Poona« mehr, jedenfalls nicht von ihm. Es war vorbei. Nachfolger hatte er keinen hinterlassen, nur einen Kreis von 21, der das Praktische regeln sollte. Nun waren wir dran, wir, die ihn erlebt hatten! Eigentlich war der Unterschied für mich gar nicht so groß, denn er hatte mich ja auch vorher schon allein gelassen – respektvoll allein gelassen.

Nie wieder danach habe ich das Bedürfnis gehabt, mich einem spirituellen Meister oder Lehrer anzuschließen. Auch heute noch bin ich manchmal mutig und manchmal feige, aber zutiefst immunisiert gegen autoritäre Verführungen. Meine Zeit mit Osho war in der Hinsicht eine Impfung. Herumlaufen als ein Zombie, ein von anderen Instanzen als den ureigenen gesteuertes Wesen? Das geht nicht mehr, nicht mit mir.

Freiheit

Und was mache ich jetzt mit dieser Freiheit? Ich mache meine Zeitschrift weiter, dies nun schon mehr als 22 Jahre lang nach seinem Tod. Niemand hat mich in irgendeine spirituelle Linie eingeweiht, niemand hat mich zu irgendwas autorisiert, ich mache das aus freien Stücken. Und bin damit offenbar in guter Gesellschaft: Buddha war kein Bud?dhist, Jesus kein Christ, Osho kein Sannyasin, Ramana Maharshi ohne Lehrer und Linie, und Krishnamurti war kein Theosoph. Keiner von ihnen wurde je autorisiert, das zu tun, was sie taten. Dann brauche ich das auch nicht. Und es installierte auch keiner von ihnen einen Nachfolger. Akademische Titel? Eher würde ich eine Universität gründen wollen, als an einer bestehenden mir einen Titel zu erwerben.

Und was meine Beziehung zu Osho anbelangt: Unter den Sketchen, die ich seit ein paar Jahren als Kabarettist spiele, ist auch eine Guru-Nummer. Die speist sich zum Teil von Satsanglehrern, aber nicht nur, sie enthält auch viel von Osho. Die Robe, die ich dabei trage, ist den Bhagwan-Gewändern aus dem alten Poona abgeschaut, ebenso die Slipper, und auch Begrüßung und Abschied sind von ihm: Da schaue ich mit zum Namasté gefalteten Händen jeden einzelnen an, habe dabei ein karikierend überzogenes Osho-Lä?cheln im Gesicht, dieses unnachahmliche Grinsen, und durch diese Karikatur dringt wie ein herbeigerufenes Gespenst etwas vom Original mit durch. Dabei wird es meist ganz still im Raum. Außer einem Giggeln und gelegentlichem Juchzen oder Schluchzen ist nichts zu hören. Manchmal kann ich dabei die Gedanken, die durch die Köpfe gehen, geradezu sehen (als Guru bin ich ja hell?sich?tig): Verarscht er ihn nun, oder meint er das ernst? Es liegt irgendwo zwischen die?sen beiden Polen. Zwischen den Polen Witz und Ernst liegt die Freiheit, zu sein, wie ich bin.


Wolf Schneider, Jg. 1952. Autor, Redakteur, Kursleiter. Studium der Naturwiss. und Philosophie (1971-75) in München. 1975-77 in Asien. 1985 Gründung der Zeitschrift connection. Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt: schneider@connection.de,  www.connection.de

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1 Kommentar

Dr. Heidrun Eckert 20. März 2013 - 17:14

Ich kenne Maneeshas Schreiben an Dich nicht. Den Anlass, den Paul Lowe gegeben hat, ebenso wenig. Und Dein „Rette uns vor den Rechtschaffenden“ auch nicht. Damit fehlt die Grundlage für eine rationale „eigene Meinung“. Nachstehendes ist ein Ausdruck meines Lebensgefühls.

Mutig bist Du, das gefällt mir. Dass Du Deinen eigenen Weg gehst, ebenso.

Ebenso verstehe ich jene, die ihren Meister lieben, ihn tief in ihrem Herzen veranket haben, als unauslöschliche Erinnerung. Sie würden ihn nie karikieren. Ich frage mich auch: Muss das sein?

Liebe und Dankbarkeit sind Eingenschaften, die bei mir einen hohen Stellenwert haben.

Als Ananda Mayee Ma während des zweiten Weltkriegs gefragt wurde, aur welcher Seite Gott stehe, sagte sie: „Es ist wie das Klatschen beider Hände“.

Gott manifestiert sich in den einen als Liebe und Dankbarkeit. In anderen als Mut, als Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit. Beides hat seine Daseinsberechtigung. Nichts ist nur richtig oder falsch. Somit kein „entweder – oder“ sondern „sowohl als auch.“

Columbus zeigte uns, dass man auch dann nach Osten kommt, wenn man nach Westen fährt. In diesem Sinne wünsche ich Dir alles Gute.

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