Die Fortsetzung unserer Kultserie von Ulrich Nitzschke: Diesmal trifft der Experte fürs Erleuchtete, Jed McKenna, den Gründer einer recht beliebten Bewegung, die Erwachen und Heilung verbindet: Deeksha. In letzter Zeit wurde es aber ruhig um die Sache. Sri Bhagavan bat deswegen Jed um ein Gespräch unter vier Augen
von Ulrich Nitzschke
Jed: Namaste, Bhagavan. Welche Ehre! Ein waschechter Heiliger aus Südindien in unserem bescheidenen Ashram hier im Mittleren Westen.
Sri Bhagavan: Bitte lass das Brimborium, Jed. Wir sind hier doch unter uns.
Jed: Ja, schon. Wenigstens in gewisser Weise. Also: Was führt dich zu mir?
S.B.: Meine Frau schickt mich her. Wir brauchen deinen Rat.
J: Oha. Jetzt hast du mich aber überrascht. Ich denke, eure Bewegung läuft super. Die halbe Welt kennt doch schon eure Erleuchtung durch Handauflegen. Du hast da in… – wo doch gleich? – einen „Goldenen Tempel“ stehen – ich vermute ohne Kreditfinanzierung gebaut – mit der „größten säulenlosen Halle Asiens“, wie es bei Euch stolz heißt. Aus der ganzen Welt strömen die Gläubigen zu eurer „Golden City“ mit ihrer „Oneness University“, um sich dort spirituell liften zu lassen. Und viele kehren mit Zertifikaten beglückt nach Hause zurück, als Nachweis dafür, dass sie wieder ein Stückchen erleuchteter geworden sind. Sowas spricht sich doch rum und macht alle Bekannten zuhause furchtbar neidisch, so dass immer mehr Leute mitmachen – und ihr könnt euch auch noch über eine „Goldene Quelle“ (von Devisen nämlich) freuen…
…Du guckst etwas gequält. Stimmt etwa mein rosiges Bild nicht mehr? Läuft irgendwas schräg?
S.B.: Krishna sei Dank, bisher nicht. Aber wir müssen unsere Geschäftsgrundlage, ich meine: unsere Mission, langfristig absichern. Wir können nicht davon ausgehen, dass uns die Leute aus dem Westen bis in alle Ewigkeit unsere indischen Avatar-Geschichten von göttlicher Sendung und über-menschlicher Weisheit abnehmen. Denk doch an die Hare-Krishna-Bewegung, den Maharishi Mahesh Yogi mit seiner Transzendentalen Meditation, den Sai Baba und die vielen anderen, denen die Westler so gerne hinterhergelaufen sind. Selbst von der damaligen Begeisterung für Bhagwan Rajneesh, nachmals Osho, ist so gut wie nichts mehr zu spüren.
Verstehst du, Jed, wir brauchen alle paar Jahre innovative Strategien, um die Leute bei Laune zu halten. Doch uns selbst gehen die Ideen aus. Und da meinte meine Frau, der Jed ist doch ein pfiffiger Erleuchteter und ein cleverer Amerikaner. Der hat bestimmt kreative Ideen. Der könnte doch bei uns als Consultant einsteigen.
J: Na ja, lieber Freund, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Aber grüß bitte deine Frau unbekannterweise von mir und sag ihr, ich würde mich durch ihre hohe Meinung über mich geschmeichelt fühlen, könne aber aus Zeitgründen das freundliche Angebot leider nicht annehmen.
S.B.: Aber Jed, bitte, ich brauch wirklich deine Hilfe. Ich kann unmöglich mit leeren Händen nach Hause kommen. Hör mich zumindest mal an. Und wenn das mit dem Consultant nicht geht, gib mir wenigstens einen guten Rat mit auf den Heimweg
J: Okay, ich bin ja kein Unmensch. Dann schieß los. Ich höre.
S. B.: Du weißt, wir hatten den Leuten ursprünglich erzählt, sie sollten eifrig Deeksha praktizieren und auch möglichst viele andere dafür zu gewinnen. Nicht nur, um selbst erleuchtet zu werden, sondern auch um die Welt zu retten.
J: Donnerwetter! Wie denn das?
S.B.: Na ja, erinnerst du dich nicht? Unsere damalige Vision war doch, die Welt stehe unmittelbar vor dem Eintritt in das Goldene Zeitalter, in dem – du ahnst es – ewiger Frieden, Glückseligkeit und Harmonie unter allen Menschen und so herrschen. Unser offizieller Name war ja schließlich „Golden Age Movement“. Damit das aber klappt, müsse bis zum Jahr 2012 eine kritische Masse (wir hatten sie über den Daumen mit nur 0,001 Prozent der Weltbevölkerung angesetzt) durch Deeksha-Praxis erleuchtet sein; der ganze Rest der Menschheit würde dann mit einem Mal wie von selbst ebenfalls erleuchtet werden. Und Zack: das Goldene Zeitalter bricht an, die Welt ist gerettet.
J: Und so was Abstruses hat man euch abgenommen?
S.B.: Ja, sag ich dir. Du glaubst nicht, wie viele auch hochintelligente Leute drauf aus sind, mit von der Partie zu sein, wenns um die Weltrettung geht! Und bei uns war der Beitrag ja noch viel einfacher als bei den anderen, die zuvor die Weltrettung per Erleuchtung propagiert hatten. Bei uns war Erleuchtung lediglich an wiederholtes Handauflegen geknüpft, unser Deeksha eben!
J: …war?
S.B.: Na ja, ist es auch noch. Aber lass mich der Reihe nach erzählen…
J: …ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.
S.B.: Was geschieht? Das Jahr 2012 kommt und geht und das Universum schert sich nicht einen Deut um unsere Vorhersage. Man muss sagen: unsere Follower haben sich wirklich super verhalten. Nichts von Demonstrationen, Massenaustritten oder dergleichen. Nicht einmal der Umsatz brach ein. Dennoch waren wir im Vorstand (du musst wissen: wir haben einen Zweier-Vorstand, meine Frau und ich) ganz schön beunruhigt. Wie sollte es nach 2012 weitergehen? Was sollten wir den Leuten sagen? Wie sie weiter bei der Stange halten? War doch schon länger eine Unruhe zu spüren, weil es mit Erleuchtung durch Handauflegen einfach nicht so richtig klappen wollte. Und auch unser differenziertes Angebot an Ausbildungs- Vertiefungs-, Trainer- und sonstigen Spezialkursen waren nicht wirklich der Bringer. Im Klartext: es roch verdammt nach Krise.
J: …und ihr habt diese schwierige Situation meistern können?
S.B.: Shiva sei Dank! Bei einer unserer Krisensitzungen hatte meine Frau eine Eingebung. Wir haben Anfang 2013, nachdem klar war, dass das mit dem Anbruch des Goldenen Zeitalters nichts wurde, nicht nervös rumerklärt oder gar versucht unsere missglückte Vision zu rechtfertigen. Wir sind sofort in die Offensive gegangen. Wir haben einfach ganz forsch und ohne alles Drumherum zwei knackige, auf die Zukunft gerichtete Parolen ausgegeben: Nämlich „. Die kritische Masse ist mit 1.708 000 Erwachten erreicht; der Eintritt in das Goldene Zeitalter steht bevor“. Und: „Mit 2013 nimmt unsere Reise jetzt weiter Fahrt auf bzw. geht jetzt erst richtig los! “.
Jed: Soso…. Klingt für mich irgendwie widersprüchlich. Und das hat man euch abgenommen?
S.B.: Na ja. Jedenfalls sind die meisten unserer Fans uns treu geblieben und haben weiter mitgemacht. Aber, Jed, das eigentliche Problem, dass uns die Westler unsere Lehre nicht auf Dauer abnehmen werden, war damit ja nicht gelöst, allenfalls etwas aufgeschoben!
J: Also gab’s eine neue Krisensitzung, und deine Frau…
S.B.: [unterbricht] Nee, Jed, diesmal hatte ich selbst eine – als Avatar kann ich es ja so nennen – göttliche Idee. Wir haben einfach ex cathedra (in extremen Fällen greifen wir Avatare auch auf bewährte Methoden der Katholischen Kirche zurück) unsere Fans in vier Kategorien eingeteilt: in „Erwachte“, „Menschen die in der Präsenz leben“, „Menschen in erwachten Zuständen“ und „Menschen, die die Präsenz erfahren“. Und dann haben wir jeder Kategorie eine feste Zahl von Personen weltweit zugeordnet, die angeblich bereits in diesen Zuständen leben. Als Quelle für unsere Zahlen haben wir Studien unserer „Oneness University“ angeführt. Genial, nicht wahr?
J: Genial, in der Tat. Denn alle, die gemerkt haben, dass eure Erleuchtungs-Methode nicht wirklich funktioniert, können sich nun einer der unteren drei Kategorien zugehörig fühlen und sich immerhin als „ein wenig“ oder unter Umständen sogar als „fast erleuchtet“ betrachten.
S.B.: Ganz genau! Aber nicht nur das! Diese Einteilung hat noch einen anderen großen Vorteil. Auf diese Weise entsteht unter den Leuten eine Hierarchie – und Hierarchien generieren, wie jedermann weiß, Konkurrenzverhalten! Was bedeutet: Jeder möchte sich von einer niedrigeren auf eine höhere Stufe hocharbeiten, um sich als etwas Besseres fühlen und auf andere herunterschauen zu können. Und daraus ergibt sich natürlich eine starke Motivation sich noch eifriger ins Zeug zu legen!
J: Wenn du mich fragst: aus unternehmerischer Sicht gewiss eine gute Idee. Der Haken ist nur: es gibt keine Viertel-, Halb- oder Dreiviertelerleuchtung!
S.B.: Ja, okay. So ganz wohl ist es mir bei dieser Sache auch nicht. Aber wir mussten schließlich handeln! Ich konnte doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie meine ganze schöne Oneness-Bewegung den Bach runtergeht.
Jed: …was allerdings, meiner bescheidenen Sicht zufolge, nicht rechtfertigt, deinen Followern erneut einen Bären aufzubinden.
S.B..: Okay, du hast ja recht. Aber Jed, versteh doch, wir brauchen jetzt dringend deine Unterstützung. Ich kann unmöglich mit leeren Händen nach Haus kommen. Was soll denn meine Frau von mir denken? Du bist ein belesener, kreativer, cooler und außerdem noch erleuchteter Typ. Bestimmt hast du eine zündende Idee!
Jed: Hätt ich schon.
S.B.: Und die wäre…?
J.: Überarbeitet euer ganzes Konzept! Und zwar gründlich! Aus meiner Sicht stimmen die Prämissen hinten und vorn nicht. Setz doch mal die cleveren jungen Leute von eurer Forschungs- und Planungsabteilung dran!
S.B.: Richtige Idee, Jed, aber das wird mit Sicherheit einige Zeit dauern. Aber was sollen wir denn in der Zwischenzeit tun?
J: Versucht Zeit zu gewinnen. Modifiziert eure Verkaufsstrategie. Fahrt eure kurzfristigen Strategien, die ja – entschuldige meine direkte Sprache – ziemlich manipulativ rüberkommen, runter. Stellt in eurer „Corporate Identity“ stattdessen eure Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen in den Vordergrund. Sagt den Leuten so was wie „Das einzig Beständige im Universum ist der Wandel, …bla bla bla…Deshalb verwirklichen wir unsere Vision von nun an am Besten dadurch, dass wir uns ohne Vertun den Veränderungen anpassen, die das Universum für uns vorgesehen hat“. Oder halt so ähnlich.
S.B.: Eine klasse Idee, Jed! Die werden wir gleich umsetzen, wenn ich zurück bin. Besten Dank! Ich hab’s ja gewusst: wenn du als indischer Avatar Management-Probleme hast, hol dir Rat bei einem erleuchteten Amerikaner!
Von Ulrich Nitzschke
Jahrgang 1940. Studium der Geisteswissenschaften, über dreißigjährige Berufslaufbahn im Diplomatischen Dienst, seit 2004 freiberufliche Tätigkeit als Mentor und Autor in Bonn. Verfasser vieler Bücher, zuletzt „Revolution im Spiri-Land“
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1 Kommentar
Wie wahr …