Für die Zeitschrift «Lichtwelle» (www.lichtwelle.ch) führte Wolfgang Jaeger im Sommer 2015 ein Interview mit dem langjährigen Präsidenten des Basler Psi-Vereins zum Thema spirituelle Durchbrüche. Lucius Werthmüller hat als Präsident des Basler Psi-Vereins im Laufe von Jahrzehnten unzählige Medien, spiritueller Heiler und Lehrer kennen gelernt. Sowohl seine eigenen Erfahrungen wie auch seine Kontakte mit diesen Menschen haben ihm tiefe Einblicke in Prozesse spiritueller Entwicklung und unterschiedliche spirituelle Wege gegeben. Was hat er beobachtet im Zusammenhang mit Durchbrüchen auf dem spirituellen Pfad und ihren Auswirkungen auf das Leben im Alltag?
Wolfgang Jaeger: In der langen Geschichte des Basler Psi-Vereins bist du unzähligen Persönlichkeiten begegnet, für die die vermeintliche Grenze zwischen der materiellen und der geistigen Welt durchlässig war. Kannst du uns etwas von solchen Ereignissen erzählen, die man als „Durchbruch in die geistige Ebene“ bezeichnen könnte?
Lucius Werthmüller: Das ist natürlich ein weites Feld. Ich kenne viele Leute, die solche Durchbrüche gehabt haben. Am einfachsten ist für mich, über meine eigenen Erfahrungen zu sprechen.
Solche Durchbrüche relativieren sich sehr oft über die Zeit. Ich mache die Erfahrung, dass der Mensch oder unser Geist die Tendenz hat, sich in einer Mitte einzupendeln. Sowohl wenn er vom Leiden her kommt, wie auch wenn er von der Ekstase her kommt. Man trifft oft Leute, die nach einem Seminar euphorisiert sind und denken: „Jetzt wird alles anders.“ Wenn man sie dann nach ein paar Wochen oder Monaten wieder trifft, merkt man, es hat sich irgendwo in der Mitte eingependelt. War man lange krank und hatte immer Schmerzen, hat man sich irgendwann damit arrangiert, man kann damit leben. Geht der Schmerz weg oder man wird wirklich geheilt, folgen Tage von Euphorie, aber bei den meisten Leuten pendelt sich am Schluss der Geisteszustand auch wieder in einer Art Mitte ein. Es scheint, wir haben eine Tendenz, uns immer wieder in der Mitte einzupendeln. Ich denke, das ist auch eine gesunde Reaktion.
Hier geht es auch um die Nähe von mystischen Erfahrungen und psychotischen Erfahrungen. Das ist für mich eine ganz enge Grenzlinie. Ich habe Menschen erlebt, gerade an den Psi-Tagen, die nach einer äusserlich harmlosen Meditation Durchbrüche hatten und hellsichtig wurden und unglaubliche Erkenntnisse und Einblicke hatten. Wenn das jemanden unvorbereitet trifft, kann es zu Grenzerfahrungen führen, die oft nicht mehr kontrollierbar sind. Mit so einer euphorischen, ekstatischen Erfahrung und dem Gefühl hellsichtig zu sein oder nun alles zu wissen, kommt oft auch eine gewisse Abkoppelung von der Alltagsrealität. Daher denke ich, Durchbrüche sind dann gesund, wenn sie sich irgendwann wieder relativieren. Das kann wie in einer Spirale auf einer höheren Ebene sein, aber ich habe kaum Menschen kennen gelernt, die in ständiger Ekstase oder Euphorie leben.
Meine Erfahrung zeigt, gerade wenn man bei sogenannt erleuchteten Menschen hinter die Kulissen sehen kann, dass auf der einen Ebene tiefe Einblicke vorhanden sind, riesige Kräfte wirken, aber dass das oft auch gekoppelt ist mit Schattenseiten, die nicht gerne gezeigt werden.
Im Buddhismus gibt es den Begriff des Wegs der Mitte und ich denke, es ist etwas Gesundes, dass wir uns immer wieder zu einer Art Mitte hinbewegen. Das ganz Euphorische oder das ganz stark Leidende kann Teil einer Genialität sein. Geniale Künstler oder Wissenschaftler sind ja selten Menschen, die ein gemütliches Leben führen und einfach zufrieden sind. Oder bei diesen sogenannten Savants, die auf irgendeinem Gebiet unglaubliche Fähigkeiten haben, ist das meistgekoppelt mit einem Defizit oder einem Manko in einem anderen Bereich. Daher hat sich dieser Begriff für mich etwas relativiert.
Ich selber habe auch Durchbrüche erlebt, bei denen ich über paranormale Erlebnisse tiefe energetische Erfahrungen machte. Ich hatte das Gefühl, dass enorme Energien in meinem Körper wirken. Ich bin eine Weile auch wirklich hellsichtig geworden. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich aufpassen muss, die Kontrolle und den Bodenkontakt nicht zu verlieren, nicht abzuheben. Es war meine Partnerin, die mich darauf hingewiesen hat: „Du musst aufpassen, dass du nicht in eine Psychose rutschst.“
Als ich in die spirituelle Szene kam, wollte ich erleuchtet werden, das Absolute erreichen. Über die vielen Jahre hat sich das bei mir relativiert. Ich weiss nicht mal mehr, ob es das Absolute in dem Sinne wirklich gibt, ob es als Mensch in dieser Realität überhaupt realisierbar ist. Ich bin über die Jahre zu viel simpleren, man kann sagen, banaleren Wünschen gekommen. Ich suche nicht nach Erleuchtung, ich bin einfach glücklich, wenn ich etwas Gutes tun kann und, einfach gesagt, ein guter Mensch sein kann, wenn ich mit meinem Wirken die Menschen etwas unterstützen oder ihnen helfen kann. Aber ich habe nicht mehr diesen Anspruch, den ich zu Beginn hatte.
Ich kann das gut nachvollziehen, bei mir hat es einen ähnlichen Weg genommen. Zuerst war ich begeistert von der Idee der Erleuchtung und des Hellsichtig sein. Doch letztlich sieht man, es geht eigentlich darum, sich menschlich weiterzubilden. Es gibt aber sicher Menschen, die sich menschlich weit entwickeln und dann wie einen Sprung in eine andere Oktave machen. Vielleicht kennst du jemanden, auch ohne Namen zu nennen, wo das passiert ist, wo man sagen kann, das Menschliche ist in einem ausgewogenen, reiferen Zustand und daraus hat sich eine Weiterentwicklung oder ein Durchbruch ergeben?
Das gibt es schon. Aber das sind nicht die Leute, die in der Sonne stehen oder viel Aufmerksamkeit erhalten. Wir haben mit einem Sufimeister gearbeitet, mit Adnan Sarhan. Er ist ein unauffälliger Mensch. Äusserlich gesehen, geschieht in seinen Workshops wenig, aber wenn er trommelt, geschieht viel mit den Menschen, es kommt etwas in Gang. Bei ihm spüre ich eine Art Egolosigkeit, die sich zum Beispiel in seiner Sprache ausdrückt. Ich erinnere mich, wie er nach einem Konzert zu mir sagte: „The drumming was excellent.“ Damit hat er nicht gemeint: „Schau her, ich bin ein toller Trommler!“, sondern er meinte das, was in diesem Raum geschehen war. Diese Art Egolosigkeit beeindruckt mich bei ihm.
Ich bin auch beeindruckt von einem Menschen wie Rebecca Rosing, die ich ziemlich gut kennenlernen durfte. Sie hat immer wieder tiefe Einblicke, aber sie hinterfragt auch immer wieder ihre Art zu lehren, zu leben und versucht, diesen Bodenkontakt zu halten.
Von meine Eltern her bin ich auch mit der indischen Tradition aufgewachsen und fühle mich in Indien ein bisschen zuhause. Wenn ich im Ashram von Ramana Maharshi in Tiruvannamalai bin, spüre ich eine Präsenz, die mich berührt und die über das hinausgeht, was in der Alltagsrealität üblich ist. Aber ich bin von der Idee weggekommen, dass solche Menschen alles Menschliche transzendieren können. Ich glaube, es ist eine Grundbedingung im Leben in dieser materiellen Realität, dass man geprägt ist von den Dingen der Umgebung, von der Kultur und der Zeit, in der man aufwächst, und von den Eltern, mit denen man aufwächst. Ich glaube, das Absolute ist in dem Sinne nicht erreichbar. Das trifft auch auf die spirituell Erleuchteten zu, die ich getroffen habe. Ich denke, oft führen die Menschen, die ihr Ego wirklich transzendiert haben ein unauffälliges Leben.
Das kann ich mir gut vorstellen, dass man die Menschen, die auf einer sehr hohen Ebene sind, gar nicht kennt. – Was beabsichtigt ihr im Psi-Verein mit euren Seminaren? Ist es die Idee, dass sich die Menschen im Menschlichen weiterentwickeln oder ist es ein Ziel, dass die Menschen gewisse Durchbrüche, gewisse Einsichten haben?
Natürlich möchten wir Durchbrüche ermöglichen und Einsichten sowieso. Aber gesunde Durchbrüche führen auch immer wieder zurück auf den Boden und auf das Menschliche. Ich komme ja aus der Parapsychologie und mir ist es ein Anliegen mitzuhelfen, dieses Wissen, dass es Realitäten sind und keine Hirngespinste, in der Wissenschaftund in der Gesellschaft zu verankern. Unser Ziel ist sicher, den Menschen solche Einblicke zu ermöglichen. Aber die eigentliche Arbeit beginnt nachher, nämlich die gewonnenen Einsichten in den Alltag zu integrieren.
Ich denke, der Unterschied zwischen einer mystischen und einer psychotischen Erfahrung ist der Grad, in dem es jemandem gelingt, eine mystische Erfahrung im Alltag zu verankern. Aldous Huxley hat das mal so ausgedrückt: „Der Unterschied zwischen einem psychotischen Menschen und einem Mystiker ist, dass der Mystiker gelernt hat, in diesem unbegrenzten Ozean des Geistes zu schwimmen, während der psychotische Mensch nie schwimmen gelernt hat und diesen unheimlichen Eindrücken ausgeliefert ist.“
Ich war eng mit dem LSD-Entdecker Albert Hoffmann befreundet und habe gesehen, wie seine LSD-Erfahrungen ihn zu einem anderen Menschen gemacht haben. Aber schlussendlich, neben den Einblicken, die er in diesen Zuständen hatte, war er ein herzensguter Mensch, der jedem die Tür geöffnet hat, der wollte, dass auf der Welt etwas Gutes geschieht.
Ich hatte auch solche Erfahrungen. Nach mystischen Erfahrungen in der Kindheit – ich denke, die meisten Kinder haben solche tiefgreifenden, mystischen Erfahrungen, die dann vor allem in der Pubertät verblassen und verschwinden, weil andere Kräfte nach vorne drängen – hat LSD in der Pubertät diese Erfahrungen wieder in mir geweckt und das war für mich auch der Anstoss, mich mit diesem ganzen Themenbereichen zu befassen. Aber LSD ist wie jede andere Technik, am Schluss muss man den Weg immer selber gehen. Es gibt sehr kraftvolle Yogatechniken, Kundalinitechniken, mit denen man solche Ausbrüche provozieren kann.
Es ist uns wichtig, in der Art, wie wir uns geben, wie wir mit den Dingen umgehen, den Boden zu halten. Ich habe Menschen erlebt, die immer wieder diese Ups und Downs hatten und das kann zu einer Art Abhängigkeit oder Sucht führen. Für mich ist es eigentlich heikel, darüber zu sprechen, denn wir leben ja davon, dass unsere Seminare besucht werden. Aber bei einige Menschen denke ich manchmal, es wäre wohl besser, sie würden nicht jedes Wochenende ein Seminar besuchen, sondern sich auf etwas einlassen und schauen, ob das ihr Weg ist, und wenn ja, diesen Weg zumindest für eine Weile gehen. Mein Vorbehalt in dieser Szene ist auch die Konsumhaltung, die ich sehe: „Der bringt noch mehr und der hat noch stärkere Energien.“ Am Sonntagabend sind sie ganz begeistert und berichten, was da alles in Gang gekommen ist, und wenn man diese Leute ein paar Wochen später wieder trifft, ist das Erlebnis wieder verblasst und es braucht etwas Neues. Da wären die Kontinuität und die Rückbindung an den Alltag sehr wichtig. Die Menschen sind zum Teil in ganz anderen Sphären. Ich werde hellhörig, wenn jemand mir sagt: „Weisst du, mein Mann ist halt noch nicht so weit, der versteht das noch nicht, ich kann nirgends darüber sprechen, die sind alle noch nicht so weit.“ Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht eine spirituelle Konkurrenz eröffnen, im Sinn von „Ich bin spiritueller als du …“.
Wir arbeiten auch viel mit Medien. Diese setzen oft Medialität mit Spiritualität gleich. Natürlich ist es ein enormer Durchbruch, wenn man mediale Erfahrungen hat, aber ich kenne gute Medien, die ich nicht für speziell spirituelle Menschen halte. Und ich kenne spirituelle Menschen, die diesen Ausdruck – Spiritualität – gar nie benutzen würden, aber ihr Leben auf eine Art führen, wo ich sagen kann, das ist für mich echte Spiritualität. – Unser Anliegen ist es, ein breites Spektrum anzubieten, nicht in der Meinung, dass jeder alles macht oder alle Wege gehen soll, aber dass jeder die Möglichkeit hat, einen Weg zu gehen und davon etwas mitzunehmen. Wir sind kein spiritualistisches Zentrum, kein schamanisches, kein buddhistisches, wir wollen das ganze Spektrum anbieten.
Dann wäre das, was ihr macht, eher eine Anregung für die Menschen, aber das Leben müssen sie selber leben. Würdest du das so formulieren: Das Leben führt den Menschen dahin, wo es hingehen soll, also die Seele führt die Menschen schon an diese Punkte, wo sie vielleicht Durchbrucherlebnisse haben, und ihr könnt ihnen vielleicht etwas beistehen mit gewissen Angeboten?
Auf jeden Fall. Das ist mir wirklich ein grosses Anliegen. Ich habe das auch immer wieder an Kongressen bemerkt, wenn Menschen zu mir gekommen sind und gesagt haben: „Für mich ist das wunderbar, ich bin jetzt an einem Ort, wo ich mich nicht mehr als etwas Spezielles oder sogar als jemand Krankes empfinde, sondern ich bin jetzt in einem Raum, wo ich mich über meine Erfahrungen austauschen kann.“ Das ist für uns eines der schönsten Komplimente, wenn wir einen solchen Raum schaffen können für Menschen, die sich oft, vor allem wenn sie spontane Erlebnisse hatten, unverstanden fühlen. Natürlich verstehe ich, wenn sie sagen, mein Mann ist noch nicht so weit. Der Ausdruck ist einfach falsch, aber sie können über gewisse Dinge im Beruf, in der Familie nicht sprechen, ohne als durchgeknallt oder krank angeschaut zu werden.
Diesen Raum zu bieten und den Menschen die Sicherheit zu geben: Ihr dürft eure eigenen tiefen Erfahrungen ernst nehmen, ihr seid nicht die Einzigen, ihr seid nicht krank, da ist nichts falsch. Das empfinde ich als einen wichtigen Teil unserer Aufgabe. Und zudem finde ich es wichtig, die Leute immer wieder auf den Boden zurückzuholen, denn ich habe einige gesehen, die in psychotische Zustände abgedriftet sind und den Realitätsbezug verloren haben.
Wenn man die Geschichten von Eckhart Tolle oder Ramana Maharshi ansieht: Ramana Maharshi ist nach seinem Erleuchtungserlebnis ein Jahr lang im Tempel von Tiruvannamalai gelegen, hat sich um nichts mehr gekümmert, wollte nichts mehr essen und hat sich nicht mehr gewaschen. Eckhart Tolle hat, nach eigenen Angaben, zwei Jahre auf einer Parkbank gesessen. Solche tiefen Transformationen brauchen ihre Zeit und das kann Monate oder Jahre dauern, bis so jemand wieder an den Punkt kommt, wo er das vielleicht weitergeben oder den Menschen ein Beispiel sein kann.
Bei Ramana Maharshi und Eckhart Tolle kann man von Durchbrüchen sprechen. Sie haben ein normales Leben geführt, dann ist etwas passiert, und von da an konnten sie nicht mehr gleich weiterleben. Sie haben ihr Leben, ihre Tätigkeit völlig verändert.
Natürlich waren das Durchbrüche. Ramana Maharshi und auch Eckhart Tolle haben aber nicht in einer konstanten Ekstase gelebt. Es ist eher wie es im Zen beschrieben ist: Am Anfang des Weges ist alles normal, auf dem Weg geschehen unglaubliche Dinge und du hast die verrücktesten Erfahrungen. Nach der Erleuchtung ist wieder Essen, Holz hacken angesagt, es wird wieder alltäglich. Ich sehe das in meinen Erfahrungen. Der Wandel, der Durchbruch ist das Spektakuläre, aber wenn die Erfahrung integriert ist, wird sie zu etwas Normalem.
In einer mystischen Erfahrung mit etwa 11 Jahren wurde mir schlagartig klar: „Ich bin kein Roboter, ich muss nicht so reagieren, wie von mir verlangt wird, ich muss nicht fröhlich werden, wenn jemand nett zu mir ist, und ich muss nicht wütend werden, wenn jemand böse zu mir ist. Ich bin Herr meiner eigenen Gefühle.“ Das war für mich innerlich ein tiefgreifendes Erlebnis: Ich bin Herr meines Geistes, meines Hauses, meiner Gefühle. Das hat mich für ein paar Tage euphorisiert, wie auch später andere Erfahrungen. Aber am Punkt, wo man das integrieren kann, ist man wieder viel alltäglicher. Ich glaube, diese hochenergetischen Zustände wären kein gesundes Leben. Die Durchbrüche sind ein Weg, vielleicht auf einer anderen Ebene zu einer Art Ausgeglichenheit zurückzukommen.
Das verstehe ich gut, es muss in den Alltag, in das Menschsein wieder integriert werden können, sonst nützt es ja nichts.
Genau, sonst bringt es nichts. Ich glaube, es ist das Erleben des Unterschieds, das etwas ausmacht. Man kann einen Wandel machen im Beruf oder etwas machen, das für einen schwierig ist, wie zum Beispiel aufhören zu rauchen. Die ersten Tage ist man dann euphorisch und man meint: Jetzt habe ich ein neues Leben! Aber irgendwann muss sich das in eine Normalität integrieren, die sich vielleicht auf einer Höheren Ebene abspielt, aber integriert ist.
Wie erlebst du das bei den Referenten? Es gibt sicher Beispiele, wo Referenten erst durch so ein Erlebnis zu dem geworden sind, was sie heute sind, und nun von dieser neuen Ebene aus arbeiten. Sicher mussten sie das auch integrieren, aber sie haben vielleicht eine dauerhafte, bessere Verbindung zum Geistigen oder zu Einsichten, die sonst nicht vorhanden wären. Da muss eine klare Schwingungserhöhung geschehen sein.
Sicher, da gibt es schon einige. Aber ich denke nicht, dass sie ein einfacheres Leben führen.
Das nicht, aber vielleicht gibt es ein prägnantes Beispiel?
Die am stärksten transformierenden Erlebnisse, die ich bei Menschen erlebe, sind die echten Nahtoderfahrungen. Das ändert oft eine Lebenseinstellung von Grund auf. Wenn für jemanden das Leben nur Materie war mit der Einstellung, mein Leben endet, wenn mein Hirn nicht mehr funktioniert, und er erlebt, dass das Geistige und das Bewusstsein unabhängig von Materie existieren können, dann ist das, von meinen Erfahrungen her, das Erlebnis mit der stärksten transformierenden Kraft.
Das ist etwas, das man nicht in einem Kurs machen kann, das macht das Leben.
Das geschieht. Oft kann man den Boden so bereiten, dass der Wandel geschehen darf. Den Wandel erzwingen ist nicht der Weg. Aber gefragt nach einzelnen Referenten, finde ich das schwierig. Ich sehe bei vielen Stärken auf einem Gebiet, aber ich kenne wenige, von denen ich sagen kann, die sind auf einer völlig anderen Ebene als ich. Ich sehe sie als Experten für geistige Teilbereiche, wie ein Mathematiker ein Spezialist ist für Mathematik. Es würde mir schwer fallen, sie auf ein Podest zu stellen und zu sagen, sie leben jetzt auf einer höheren Schwingungsebene. Klar mag das so sein, aber ich denke, man muss aufpassen, das nicht zu überhöhen. Ich habe einige Entwicklungen von Referenten zu Gurus mitangesehen. Ich benutze jetzt den Begriff Guru eher in einem negativen Sinn. Guru heisst einfach Lehrer und Lehrer sind eine gute Sache. Aber oft werden Lehrer von Anhängern so überhöht, dass etwas Ungesundes daraus entsteht. Ich habe spirituelle Lehrer erlebt, die von einem sogenannte „Inner circle“ umgeben waren und dort konnte ich ungesunde Muster wahrnehmen. Es ist gefährlich, Menschen auf ein Podest zu stellen. Und für Menschen auf einem Podest braucht es viel innere Kraft, nicht der Versuchung zu erliegen, diese Macht auszuspielen, sondern sein Ego zurückzunehmen.
Ich bin auch einigen Lehrern, die mir wichtig waren, etwas näher gekommen und habe auch dort Dinge gesehen, die ich nicht für gesunde Spiritualität halte. In unserer heutigen westlichen Kultur ist es nicht mehr so einfach, eine Lehrer-Schüler-Beziehung aufrechtzuerhalten, wie das vielleicht mit den indischen Yogis, mit Sufimeistern, wie das in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten möglich war.
Das ist ja heute vielleicht auch nicht mehr angesagt.
Angesagt ist die Selbstermächtigung, dass man den Menschen hilft, ihr eigenes Potenzial zu erkennen und zu leben. Oft geben die Menschen von ihrem eigenen Potenzial ab, wenn sie andere überhöhen. Ich bin da etwas zurückhaltend. Die Referenten haben in Teilbereichen oft ungewöhnliche Fähigkeiten. Ich sehe Heiler, die erreichen Unglaubliches. Aber ich sehe dann Menschen, die einen Heiler mit einem Heiligen gleichsetzen, und das halteich für ein falsches Bild. Auch wunderbare Heiler können charakterliche Schwächen haben. Ich bin vielleicht etwas alltäglicher geworden und denke, in sich innen spürt man, was gut ist. Man kann nicht definieren, was gut und böse ist, dort gerät man auf ein schwieriges Feld, aber in sich drin spürt man das. Wenn Leute dazu kommen, ein besserer Mensch zu werden, dann finde ich das wunderbar. Je mehr Facetten unserer Persönlichkeit wir erkennen, über Kurse, über Techniken, die uns einzelne Bereiche unseres Selbst, unserer Persönlichkeit eröffnen, desto mehr ermöglicht das Selbsterkenntnis und diese ist etwas, das uns hilft, unseren Platz zu finden.
Mit dem, was du gerade gesagt hast, hast du auch etwas formuliert, was die Rolle eines Lehrers, eines Heilers ist. Es geht eher darum die Menschen zu begleiten.
Unbedingt, und sicher nie Menschen in Abhängigkeit zu führen. Diese Gefahr sehe ich dort, wo man jemanden zu sehr auf ein Podest stellt. Es waren wichtige Erkenntnisse für mich, dass ich Menschen, die ich immer noch sehr schätze, ganz anders eingeschätzt habe, als ich sie nur auf der Bühne erlebte. Die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen, hat mich sicher bei einigen ernüchtert oder enttäuscht und zwar enttäuscht im wirklichen Wortsinne, dass ich froh bin, nicht mehr getäuscht zu sein. Ich habe über die Jahre einige Illusionen verloren. Ich bewundere die Lehrer, die sich immer wieder selbst hinterfragen, ihren eigenen Weg, ihre Rolle, wie sie lehren, die sich vielleicht auch mal zurückziehen, um wieder mehr zu sich selber zu finden.
Kommen wir wieder zu einem Thema, das wir schon am Anfang berührt haben: Sind die wahren Lehrer diejenigen, die ganz still arbeiten und die sich immer wieder neu hinterfragen? Ein „Guru“ zu sein und auf einem Podest zu stehen ist eine schwierige Rolle, die nicht ohne weiteres verlassen werden kann.
All diese grossen Gurus, die Tausende, Millionen Anhänger haben, wie Osho, Sai Baba,Amma oder andere grosse Lehrer, sie können Wegweiser sein und können inMenschen etwas in Bewegung setzen. Da kann etwas geschehen, und am gesündesten ist es, wenn man das, was geschehen ist, mit sich selbst weiterträgt. Die fanatischen Anhänger sind diejenigen, welche dann ganz kippen, sobald sie eine Schwäche bei ihrem Guru sehen. Bei Anhängern von Sai Baba habe ich mehrmalsgesehen, dass sievon Devotees zu Gegnern wurden. Auch bei anderen Lehrern konnte ich erleben, wie Anhänger, die in einer Abhängigkeit zu ihnen standen oder sie als göttlich betrachteten, tief fielen, als sie einen Fehler fanden oder nicht mehr das bekamen, was sie erwarteten.
Eine gesunde Form ist, wenn man das schätzt, was man bei einem Lehrer sehen kann, was einem weiterhilft. Je mehr man es jedoch überhöht, desto tiefer fällt der Mensch, und er sucht sich dann einen neuen Guru. So entsteht diese ständige Suche, die nicht weiterführt, denn schlussendlich finden wir alles nur in uns selber.
Ich höre aus dir heraus, dass es deine eigene Bewegung im Leben war, von diesem Bild der Erleuchtung zurück zum wahren, guten, rechten Menschen zu gelangen. Vielleicht gibt es auch im Feld der spirituellen Suche heute eine Bewegung, die mehr ins Alltägliche, ins Menschsein hineinführt?
Das hoffe ich, das wäre mein Wunsch. Ich sehe oft einen spirituellen Materialismus oder spirituellen Konkurrenzkampf. Gutmenschentum ist ja heute fast zu einem Schimpfwort geworden. Ich selber bin beinahe Zen-mässig wieder zum sehr Simplen zurückgekommen: Sucht nicht irgendwo die Erleuchtung, während zuhause die Beziehung in die Brüche geht oder die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr wahrgenommen werden, denn dort wäre eine spirituelle Haltung angesagt anstatt irgendwo draussen danach zu suchen!
Wir versuchen mit unserer Form des Angebots zu vermitteln, dass Spiritualität nichts Abgehobenes ist. Wir selber sind nicht abgehoben, wir leben ein ganz normales Leben. Viele Menschen waren über mich schockiert, wenn ich sagte: „Am Sonntag gehe ich an den Fussball-Match.“ Sie meinten dann: „Ach, ich dachte, Sie sind ein spiritueller Mensch.“ Was heisst denn das? Ich lebe mein Leben, ich gehe mit meinen Jungs an einen Fussball-Match, ich mache, was für mich gerade ansteht. Diese Art Wertung finde ich sehr schwierig. Genauso finde ich es schwierig, wenn Menschen von sich sagen, sie seien ganz wertfrei. Das glaube ich nicht, denn wir haben alle unsere Werte.
Vielleicht möchtest du zum Schluss noch etwas zum Thema anfügen. Wir haben jetzt einen Rundgang gemacht, wir sind von der Idee des Durchbruchs zur Frage gelangt, ob ein solcher überhaupt erstrebenswert ist …?
Ich denke doch, Durchbrüche sind wirklich erstrebenswert. Sie geschehen immer wieder und können neue Horizonte eröffnen. Aber der Wert eines Durchbruches bemisst sich daran, wie stark er nachher in das alltägliche Leben, in die Beziehungen mit den nahestehenden Menschen, in die Arbeit einfliesst.
Es kommen Kunden zu uns, die wunderbare Arbeit machen, die beispielsweise in Pflegeberufen tätig sind oder z.B. Brot backen. Als erleuchteter oder spiritueller Mensch kannst du das Brot mit einer spirituellen Haltung backen. Menschen, die das Brot essen, spüren dann vielleicht eine andere Energie, als wenn das Brot mit Wut gebacken wurde.
Ich weiss auch nicht, ob eine Krankenschwester unbedingt Heilerin werden und eine Praxis eröffnen muss. Wenn ein Durchbruch in den heilerischen Bereich stattgefunden hat, wenn man diese Kräfte in sich spürt, dann ermutige ich die Menschen, das in ihren Beruf zu integrieren. Menschen zu pflegen, ist eine wunderbare Aufgabe und dort diese spirituelle Kraft hineinfliessen zu lassen, dort wo man steht, das finde ich fast erstrebenswerter als den Wunsch, ein grosses Medium, ein grosser Heiler, ein grosser Lehrer zu werden.
Ein schöner Schlusssatz gefunden! Vielen Dank für das anregende Gespräch.
Über Lucius Werthmüller
Lucius Werthmüller, geboren 1958, setzt sich seit rund 30 Jahren mit allen Grenzgebieten auseinander. Zu seinen Spezialgebieten gehören veränderte Bewusstseinszustände, die Physikalische Medialität und die Erforschung biologischer Energien. Er ist seit 1991 Präsident des «Basler Psi-Vereins». Im Jahr 1994 stiess er als Programmgestalter zum Team der «Basler Psi-Tage» und war von 1999 bis 2007 deren Projektleiter. Im Jahre 2000 erhielt er den Preis der «Schweizerischen Stiftung für Parapsychologie». Er ist Stiftungsrat der Gaia Media Stiftung und war Projektleiter des internationalen Symposiums «LSD – Sorgenkind und Wunderdroge», das im Januar 2006 anlässlich des 100. Geburtstags von Dr. Albert Hofmann in Basel stattfand. Zusammen mit Dieter Hagenbach schrieb er die Biographie «Albert Hofmann und sein LSD», die im AT-Verlag veröffentlicht wurde. Neben anderen Aktivitäten betreibt er ein Buchantiquariat. Lucius Werthmüller ist Vater dreier erwachsener Söhne und lebt mit seiner Partnerin Sabin Sütterlin in Basel.