Das wesentliche Kennzeichen der südlichen Sufis, deren Weg mit dem Bhakti-Yoga vergleichbar ist, sind ekstatische → Visionen der Einheit mit Gott, die unio mystica (→ christliche Mystik); die Sufis beschreiben diese → Bewusstseinszustände als „Trunkenheit“, als Verschmelzen in höchster Seligkeit.
„Die unio mystica kann erfahren und ausgedrückt werden als Liebeseinigung oder auch als visio beatifica, wenn der Geist, umgeben von dem unerschaffenen Lichte Gottes, erblickt, was jenseits aller Schau liegt; sie kann auch umschrieben werden als ‚das Aufheben des Schleiers der Unwissenheit’, jenes Schleiers, der die wesenhafte Identität zwischen Gott und seinen Geschöpfen verhüllt. Mystik kann als ‚Liebe zum Absoluten’ definiert werden; denn was echte Mystik von asketischer Haltung trennt, ist die Liebe. Die göttliche Liebe macht es dem Sucher möglich, alle Qualen und Heimsuchungen, die Gott über ihn kommen lässt, um seine Liebe zu prüfen und ihn zu läutern, zu ertragen, ja zu genießen.“ (Annemarie Schimmel 1979, 4)
In der so genannten Liebesmystik wird die Beziehung zwischen Mensch und Gott als Beziehung zwischen Geschöpf und Schöpfer gesehen, als Gegenwart der Liebe. Die Sufi-Mystikerin Rabi’a ist eine typische Vertreterin der Liebesmystik: „Ich will Feuer ans Paradies legen und Wasser in die Hölle gießen, damit diese beiden Schleier verschwinden und es deutlich wird, wer Gott aus Liebe, nicht aus Höllenfurcht oder Hoffnung aufs Paradies anbetet“ (zitiert in Schimmel 1979). Der Sufi-Meister Dschami (Jami) hat den Unterschied zwischen den Asketen und den echten Mystikern treffend geschildert:
„Die Asketen betrachten die Schönheit des Jenseits mit dem Lichte des Glaubens und der Gewissheit und verachten die Welt; doch sind sie noch durch ein sinnliches Vergnügen verschleiert, nämlich den Gedanken an das Paradies, während der echte Sufi von beiden Welten abgeschirmt ist durch die Schau der urewigen Schönheit und der wesenhaften Liebe.“ (Dschami)