Geht der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, zu Ende? Die beiden Autoren sehen dies so und empfehlen eine neue Gesellschaftsform, die auf mitfühlende Solidarität setzt, mit Namen „Empathismus“. Hier ihre erhellenden Gedanken und Visionen eines zukünftigen Miteinander.
Von Baruch Ignatius Rabinowitz und Solveig König
Wir gehören zur Generation des „Nichts-ist-unmöglich“. Unmöglichste und undenkbarste Dinge sind in den letzten Jahrzehnten geschehen: der Fall des Kommunismus, die offenen Grenzen, die gemeinsame europäische Währung – um nur Einiges zu nennen. In den vergangenen 20 Jahren mussten wir immer wieder neue Weltkarten kaufen, um den Überblick über die sich verändernden Staatsgrenzen nicht zu verlieren. Welche alten Staaten sind verschwunden und welche neuen Staaten sind entstanden? Wir erinnern uns an das Gefühl der Hoffnung und der Leichtigkeit, wenn wir und unsere Freunde in Richtung „Zukunft“ blickten. Bis zu dem Punkt, an dem dunkle Wolken die strahlende Sonne dort, wo die „Zukunft“ beginnt, zu überschatten begannen. Die Ära der Unsicherheit, der Apathie und der Ängste war angebrochen. Immer häufiger hören wir, wie sogar die optimistischsten Menschen sagen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Eine Finanzkrise folgt der anderen. Die Länder verschulden sich immer mehr. Astronomische Summen werden in Rettungspakete aller Art investiert. Und niemand weiß so genau, woher das Geld kommt und wohin das Geld geht. Seit dem Fall des Kommunismus ist die Welt völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Früher hatten wir zwei gleichrangige politische und wirtschaftliche Systeme, die im Grunde füreinander gearbeitet und sich gegenseitig gestärkt haben. Hinter beiden Systemen stand eine Ideologie, die sich deutlich gegen die andere abgrenzte. Im Westen wurde auf die Gefahren des Sozialismus mit dem Finger gezeigt, im Osten auf die Gefahren des Kapitalismus. Beide stellten Alternativen dar, wie eine menschliche Gesellschaft gebaut und erhalten werden kann. Der Sozialismus hat sich als nicht mehr lebensfähig erwiesen und musste sterben. Aber es gab ja eine Alternative – den Kapitalismus. Und jetzt? Dem freien Markt werden immer mehr Wunden geschlagen, das materialistische Fundament des allgemeinen, immer weiter steigenden und unersättlichen Konsums beginnt zu wanken. Wir stehen schon wieder an der Schwelle des Unmöglichen und Undenkbaren: dem Fall des Kapitalismus.
Der Fall des Kommunismus war nur ein winziges Problem im Vergleich zu dem, was uns in den kommenden Jahren erwartet, denn es gibt keine alternative wirtschaftliche und politische Struktur, die bereits erprobt ist und zur Verfügung steht. Die Frage, die heute gestellt und beantwortet werden muss, ist die: Was kommt nach dem Kapitalismus? Wir hören viele Stimmen, die von märchenhaften, idyllischen Zuständen in ihren Vorstellungen sprechen – von der allgemeinen Menschenliebe bis hin zum Paradies auf Erden. Aber jetzt Spaß und Träume beiseite! Es muss eine neue, tragfähige und stabile, politische, soziale und ökonomische Struktur und Ordnung geben. Wir brauchen eine Ideologie und Vision, die verwirklicht und praktisch umgesetzt werden kann. Es ist die Tragödie unserer Zeit, dass es kein Gesellschaftsmodell und keinen konkreten, praktischen Entwurf zur Umsetzung gibt. Und auch wenn immer wieder neue Theorien und Vorschläge auftauchen, bleiben sie weitgehend unbekannt und erreichen keinesfalls die Massen. Und es sind die Massen, die im Endeffekt hinter jedem politischen Wandel stehen und ihn ermöglichen. Jeder von uns weiß, was Kommunismus, Sozialismus, Faschismus, Monarchie und Kapitalismus sind und bedeuten. Und jeder von uns hat auch eine ungefähre Ahnung davon, was für Ideale und Werte hinter diesen Ideologien stehen. Vielleicht mit der Ausnahme des Kapitalismus. Denn Menschen können den Konsum und die Akkumulation materieller Güter nicht zum einzigen Sinn des Lebens erheben. Komfort ist wichtig und schön. Aber Komfort und Bequemlichkeit allein machen den Menschen nicht glücklich oder zufrieden. Der Kapitalismus war auf Gier und Konkurrenz gegründet und seine Maschine brauchte Stolz als Treibstoff. Natürlich, wenn mein Nachbar eine teuere Jacke hat, muss ich dafür sorgen, dass ich mir eine noch teurere kaufen kann, damit mein Wert automatisch steigt und ich als noch reicher und erfolgreicher angesehen werde als er. Die Diktatur der Konsumgesellschaft reduziert uns auf das Äußere, manipuliert uns durch die Werbung, weckt ständig in uns neue Wünsche und Begierden nach weiteren materiellen Gütern und macht letztendlich uns selbst zu Marktprodukten und zu bewerbenden Waren. So funktioniert unsere Wirtschaft.
Die Ära des Kapitalismus und des Erde- ausbeutenden Industrialismus geht zu Ende. Andere große Zivilisationen wie Rom und Athen sind verschwunden – auch der Kapitalismus muss früher oder später verschwinden, um den Weg freizumachen für das, was danach kommen soll. Aber was kommt danach? Wir stehen in der großen Gefahr, dass die entstehende Lücke wieder von einer Diktatur, ob faschistischer oder kommunistischer Art, gefüllt wird. Die verlorene, unsichere, richtungs- und wertelose, entwertete Gesellschaft bildet eine ideale Plattform und den Nährboden für eine neue Tyrannei. Das ist ein Horrorszenario. Aber das darf und muss auch nicht passieren. Das Ende des Kapitalismus wird eine Leere entstehen lassen, die von andersdenkenden, spirituellen, naturbewussten Menschen bevölkert und belebt werden kann. Vielleicht leben wir in einer Zeit, die uns die größte Chance bietet, die die Menschheit bislang bekommen hat. Unsere nächste Entwicklungsstation wird entweder das Himmelreich auf der Erde oder eine neue Hölle sein. Um das Zweitgenannte zu vermeiden, muss schon jetzt oder gerade jetzt eine enorm große Anstrengung unternommen werden. Wir können schweigend dabei zusehen, wie der Kapitalismus zusammenbricht, und ängstlich abwarten, was danach mit uns geschieht und welche neuen Limitierungen uns auferlegt werden. Oder, wir werden uns unserer Fähigkeiten bewusst und beginnen diese zu nutzen. Wir können uns zurück besinnen auf unsere allgemeinen menschlichen Werte, wir können uns erinnern, z. B. an den heute fast nostalgisch anmutenden Ruf der Französischen Revolution nach „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“. Wir können uns in unserem Kulturkreis an den neutestamentarischen Aufruf zur christlichen Nächstenliebe erinnern. Diese Stichworte sind in unseren Tagen zum großen Teil zu ausgehöhlten, bedeutungslosen Floskeln verkommen. Auch tragen viele europäische Staaten heute noch das Etikett „Sozialstaat“, aber auch dieser Begriff ist zu einer leeren Worthülse geworden und verhöhnt die Menschen, die durch die breiten Maschen des „sozialen Netzes“ gefallen sind. Wir leben in einer Gesellschaft, die täglich Unterschiede bildet und Vergleiche anstellt: billig oder wertvoll, arm oder reich, arbeitslos oder beschäftigt, krank oder gesund u.s.w. und dementsprechend Menschen in Kategorien sortiert, die sie kaum noch verlassen können. Es gibt immer weniger Durchlässigkeiten. Wir haben die gesellschaftliche Solidarität aufgekündigt. Der Weg in eine lohnende gemeinsame Zukunft wird nur über das Wiedergewinnen dieser Solidarität führen, wir brauchen eine Gesellschaft, die sich in empathischer Solidarität mit jedem einzelnen Mitglied verbunden fühlt. Das ist der Weg zu einer neuen, humanistischen Gesellschaft, die statt die Menschheit auf dem Altar der Wirtschaft und des Konsums zu opfern, ihr die Türen zu höheren Bewusstseinsebenen, zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung und zur Menschenliebe in Verbundenheit mit der Natur öffnet. Es ist Zeit die Notwendigkeit zu erkennen, dass wir für uns selbst und für andere verantwortlich sind. Wir tragen die Verantwortung für unser Handeln tagtäglich und auch für das gemeinschaftliche und politische Handeln in der Gesellschaft, in der wir leben. Wir sind frei zu wählen, wie unsere Gegenwart gestaltet sein soll. Das geht ganz leicht und einfach. Wenn wir möchten, dass unser Nachbar uns grüßt, werden wir selbst damit anfangen müssen, ihn zu grüßen, dass vielleicht sogar über einen längeren Zeitraum hinweg, bis wir zum ersten Mal zurückgegrüßt werden; wenn wir Blumen vor unserem Fenster wollen, werden wir Blumenzwiebeln in die Erde pflanzen müssen.
Wenn wir auf unsere wahren Bedürfnisse schauen, begreifen wir, dass ihre Erfüllung nur selten käuflich ist: Liebe, Geborgenheit und Zuwendung, Entspannung, Kreativität und Wertschätzung, um nur einige zu nennen. Im Prozess des Selbstwerdens und Zugeständnisses dieser Unentbehrlichkeiten dem Mitmenschen gegenüber werden wir die gesellschaftliche Solidarität und Empathie füreinander wieder gewinnen. Dann erkennen wir uns im Anderen und erlauben, dass der andere sich in uns erkennen kann. Dann können wir auf die Bedürfnisse unserer natürlichen Umgebung, der Erde, der Pflanzen, Tiere und Meere schauen und auch hier unser Möglichstes und Unmöglichstes tun, ihrem Verlangen nachzugehen. Wir verabschieden uns von der ausbeuterischen Maßlosigkeit und suchen nach Harmonie, finden zu einer Balance zwischen dem, was wir an natürlichen Rohstoffen tatsächlich brauchen und den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Vermutlich werden wir dann automatisch weniger konsumieren, denn wir werden erkennen, wie wenig wir eigentlich für geglücktes Leben benötigen. In dem Moment, in dem wir unsere innere Welt wiederentdecken, verlieren wir automatisch das ausschließliche Interesse am Äußeren. Wir begegnen uns selbst und einander als Menschen, nicht als Waren mit unterschiedlichem Marktwert oder auf der Ebene des Austausches von Statussymbolen. Schon Aurelius Augustinus lehrte vor 1500 Jahren, dass das Geld und materielle Güter an sich gut sind. Ein Problem entsteht erst, wenn wir Geld und Güter zum einzigen Daseinszweck erheben. Egal, wie sehr wir es uns wünschen, in ihnen Sinn und Frieden zu finden, es wird uns nicht gelingen. Sie können nur in Gott gefunden werden.
Nicht, dass die Welt nach dem Kapitalismus auf Komfort und Bequemlichkeit verzichten soll. Nein, ganz im Gegenteil. Die Menschen werden möglicherweise einen viel größeren Komfort genießen, da ihre Seelen intakt sind, sie ihre Spiritualität wieder entdecken und als Menschen mit der Natur in Harmonie und in innerem Frieden leben. Der Weg zum höheren Bewusstsein ist viel kürzer als man denkt, mit jedem Schritt erleben wir Freude über die Rückgewinnung der Selbstbefähigung und finden das Glück in allem, was wir tun. Die Erde wird nicht länger zerstört und ihre Ressourcen werden nicht länger ausbeutet und es wird keinen Hunger mehr geben müssen. Was hindert uns, miteinander in Frieden zu leben? Ist der Wunsch nach Frieden und Harmonie nicht in uns allen schon als Urbedürfnis vorhanden? Klingt utopisch, nicht wahr? Alle Versuche in der menschlichen Geschichte so eine Gesellschaft zu gründen, sind bis jetzt gescheitert. Aber das Unmögliche ist jederzeit, in jedem Augenblick möglich. Die Antwort auf die Frage, was nach dem Kapitalismus kommt, ist unabdingbar an die Voraussetzungen, die wir der weiteren Menschheitsentwicklung hypothetisch unterstellen, verbunden. Diese Voraussetzungen sind an die Menschen, die sie schaffen und propagieren, geknüpft. Wird der Mensch fähig sein, achtsam und respektvoll mit sich selbst, seinem Nachbarn und seiner Umwelt umzugehen? Damit sind wir gemeint!
Die neue Gesellschaftsform, die auf mitfühlende Solidarität setzt, könnte den Namen „Empathismus“ tragen. Wissenschaftler aller Fachrichtungen sind dazu aufgerufen, ihre ganze Kraft und Kreativität in die Forschung zu stecken, wie wir unsere Böden, die Luft und die Meere entgiften und die Selbstheilungskräfte der Natur fördern können. Soziologen, Psychologen, Politologen und Wirtschaftsfachleute dürfen sich ganz und gar dazu berufen fühlen, Systeme und Strukturen zu entwickeln, die bedürfnis- und ressourcenorientiert einer auf Empathie gegründeten Solidargesellschaft zum Leben verhilft. Und schließlich kann jeder Einzelne von uns mit seinen Fähigkeiten und Talenten dazu beitragen, in seinem/ihrem direkten sozialen Umfeld das soziale Klima zu entgiften und uns selbst und anderen Aufmerksamkeit und Respekt entgegen zu bringen und einander mit tätiger Empathie zu begegnen. Was immer nach dem Kapitalismus kommt – auf uns kommt es an!
Autoren: Baruch Ignatius Rabinowitz und Solveig König
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Baruch Ignatius Rabinowitz, 1973 in Moskau geboren ist orthodoxer Priester des westlichen Ritus im Orthodoxen Karmel – eine orthodoxe ökumenische Gemeinschaft im Dienste der christlichen Einheit.
http://westlichorthodoxekirche.wordpress.com/
2 Kommentare
In Kapitalismus wir leben zuma arbeiten, wir nehmen das mindeste fuer die arbeit die wir machen.
Gegenseitg man muss arbeiten zum eine bessere Lebe zu haben und baues, die arbeiter auf jeden Platz
musse entscheiden fuer Politik und arbeit, fuer alles. Das ist socialistische democratie. und Kommunismus ist jede mits seine fahigkeit auf jede mit seine Gebrauch. und das ist nicht eine utopie von Karl Marx und Vladimir Ilich Ulianof Lenin. Fridrich Engels hat Geschrieben das Kommunismus ist die Zukunft Und diese Jahrhundert ist die zeit der Revolutionen.
Sehr guter Artikel – Gratulation!!
Nur
„Es ist die Tragödie unserer Zeit, dass es kein Gesellschaftsmodell und keinen konkreten, praktischen Entwurf zur Umsetzung gibt.“
stimmt nicht ganz:
Bitte die Ansätze der GWÖ zu studieren – das ist genau das Modell, das in das von ihnen sotreffend geschilderte Vakuum vorstossen wird!
siehe:
https://www.gemeinwohl-oekonomie.org/de/content/ein-wirtschaftsmodell-mit-zukunft
oder zahlreiche Videos (mit Christian Felber und anderen) auf YouTube, Vimeo et alt