Der Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger, der am 7. März 2015 seinen 90. Geburtstag feiert, ist einer der einflussreichsten Mystiker der Gegenwart. Als Seelsorger und als spiritueller Lehrer begleitet er seit über einem halben Jahrhundert Tausende von Menschen und führt sie in die Erfahrung ihres wahren Wesens.
„Ein Wimpernschlag im Universum“
Geboren wird er 1925 in Hösbach bei Aschaffenburg als Wunibald Jäger. Er wächst auf in einer katholischen Familie mit sechs Geschwistern, dazu mit vielen Freunden. Er verbringt viel Zeit in Feld und Wald, ist gern in Bewegung, als Sportler, vor allem als Fußballer… Es ist eine heitere, geborgene Kindheit. Allenthalben gilt er als „frech und fromm“: frech, insofern er ein Lausejunge ist; fromm, insofern er schon sehr früh eine Neigung zum Religiös-Geheimnisvollen verspürt. Bereits im Vorschulalter hat er prägende mystische Erfahrungen, die ihn auf die Fährte seines Lebens setzen. Er spürt: Hinter dem Vordergründigen liegt etwas Eigentliches, vollkommen Stilles, das manchmal – beim gleichförmigen Beten etwa oder auch beim Fußballspielen – erfahrbar wird.
Doch dann kommt der Krieg, den er am eigenen Leib erfährt. Viele seiner Kameraden sterben, er selbst wird verwundet. Der Tod rückt in seine Nähe, und auch das prägt ihn – die Frage: „Wozu bin ich hier auf der Erde?“ Diese Frage verlangt eine Antwort. Wo ist sie zu finden?
1946 tritt Jäger ins Benediktinerkloster Münsterschwarzach ein; die Profess erfolgt vier Jahre später. Hier beginnt nun seine Erkundung der christlichen Mystiker wie Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila – und Erkundung meint bei „Willigis“, wie er nun heißt, nicht nur theoretisches Studium, sondern praktische Übung. Er übt Kontemplation, übt Meditation und erfährt das „Ganz-Andere“, von dem schon Thomas von Aquin spricht.
Aber das Dilemma ist: Im christlichen Umfeld gibt es praktisch keinen spirituellen Lehrer, der ihm weiterhelfen könnte. Dann lernt Jäger den fernöstlichen Zen-Weg kennen, und hier zündet etwas – das kennt er doch! Hier begegnet er auch dem Lehrer, den er gesucht hat: dem japanischen Zen-Meister Yamada Ko-un Roshi, dessen Schüler er wird. Dieser ernennt ihn 1980 zum Zen-Lehrer und dessen Nachfolger Kubota Roshi bestätigt ihn schließlich 1996 als Zen- Meister. Er trägt jetzt neben seinem Ordensnamen den Zen-Namen „Kyo-un Roshi“.
Jäger wird zum west-östlichen Grenzgänger, für den Religions- oder Konfessionsschranken keine Rolle mehr spielen. Er leitet von 1983 bis 2001 das Meditationszentrum „Haus St. Benedikt“ in Würzburg, hält Kurse sowohl in christlicher Kontemplation als auch in Zen und wird zum Bezugspunkt für unzählige Menschen.
Doch Jägers unkonventioneller Zugang zum Religiösen, seine Betonung der Erfahrbarkeit des Göttlichen bringt ihn in Konflikt mit der offiziellen Kirche; wie es vielen christlichen Mystikern ergangen ist. Es erfolgt 2002 ein Rede- und Auftrittsverbot sowie die Exklaustrierung aus dem Kloster Münsterschwarzach. Zum Schweigen gebracht hat ihn das nicht.
2003 wird ihm durch Frau Gertraud Gruber, Unternehmerin und Investorin, die Möglichkeit gegeben, seine Kurs- und Lehrtätigkeit am Benediktushof in Holzkirchen bei Würzburg, fortzuführen und ein neues Zentrums für spirituelle Wege des Westens und Ostens zu gründen – eine fast schicksalhafte Fügung, denn der Benediktushof entsteht am Ort eines uralten, vor Zeiten jedoch säkularisierten und nun leerstehenden Benediktinerklosters. Es scheint, als habe der Ort nur auf den frisch exklaustrierten Benediktiner Willigis Jäger gewartet.
Und Willigis Jäger selbst? Seit 2007 hat er sich aus dem Leitungsamt zurückgezogen, lebt aber weiterhin dort, tritt kürzer, begleitet noch einige Kurse, schreibt – und lebt im Bewusstsein, dass mit dem Tod nur die jetzige Form vergeht, das wahre Wesen aber unsterblich ist. Und so hat ihm der chinesische Chan-Großmeister Jing Hui, der ihn 2009 auch als Meister in der Nachfolge in der Tradition von Lin Chi (Rinzai) bestätigt hat, nicht von ungefähr den alterslosen Geist eines Kindes bescheinigt.
Über den Benediktushof: Vision einer Spiritualität für das dritte Jahrtausend
Im Jahre 2003 gründete Willigis Jäger, Benediktiner, Zen-Meister und einer der bedeutendsten Mystiker der Gegenwart, mit dem „Benediktushof“ in Holzkirchen bei Würzburg ein international anerkanntes Zentrum für spirituelle Wege. Hier lebt Jägers Vision einer Spiritualität für das dritte Jahrtausend. Mit 82 Jahren zog er sich 2007 aus dem Leitungsamt zurück. Heute leiten der Kontemplationslehrer Fernand Braun (links) sowie die beiden Zen-Meister Doris Zölls und Alexander Poraj den Benediktushof, und Jägers Vision entfaltet sich in vielfacher Gestalt weiter.
Es ist die Vision einer nicht-konfessionellen, umfassenden Religiosität, die moderne Erkenntnisse aus Natur- und Geisteswissenschaften integriert und sich aus den zeitlosen Quellen west-östlicher Weisheit speist. Zur Verwirklichung dieser Vision gründet Jäger außerdem 2007 die „West-östliche Weisheit – Willigis Jäger Stiftung“, die seine Anliegen weiterträgt und zugleich Menschen mit geringem Einkommen den Besuch von Kursen ermöglicht. Denn auch das ist ein wesentlicher Bestandteil der Vision: der soziale Gedanke, Gemeinschaft, die Idee der Verantwortung für sich selbst, für einander, für die Umwelt – die Menschheit soll zusammenwachsen und zusammen wachsen.
Am Benediktushof geht es um eine Spiritualität fern jeder Abgehobenheit, die nichts mit Esoterik zu tun hat. Vielleicht erklärt sich gerade daraus ihr durchschlagender und weitertragender Erfolg. Sie ist in einem gesunden Sinne radikal – und „radikal“ heißt von der Wortbedeutung her: an den Wurzeln ansetzend; und auch: verwurzelt. Spiritualität, wie sie am Benediktushof vermittelt wird, ist ganz im Alltag fundiert und dient dem konkreten Leben. Jäger selbst wird nicht mu?de zu betonen, dass eine Spiritualität, die bloß Selbstzweck bleibt, die nur auf dem Meditationskissen oder im Kontemplationskurs stattfindet und nicht zurück in den Alltag führt, in die Irre führt. Denn Spiritualität ist am Ende nichts anderes als ein bis in jedes Detail hinein bewusst gelebtes ganz normales Leben, mit Höhen und Tiefen, mit Arbeit, Mensch und Natur und auch mit dem Tod.
Auch mit Wellness hat das wenig zu tun, auch hier ist die Vision radikal – nicht alles, was achtsam heißt, dient schon dem Wesentlichen. Achtsamkeit soll am Ende nicht nur zu äußerlichem Wohlergehen führen, sondern zur im tiefsten Sinne befreienden und beglückenden Erfahrung der Wirklichkeit: meines wahren Wesens, das unveränderlich ist, das nicht geboren wird und nicht stirbt – und das christlich „Gott“ genannt wird. Das ist aber freilich nur ein Name von vielen möglichen.
Hinter der Vision des Benediktushofes steht die Überzeugung, dass Religion keine exklusive Veranstaltung ist. Es gibt nicht „meine“ Religion und „deine“ Religion oder Konfession. Religion ist ihrem Wesen nach vielmehr der bewusste Rückbezug auf den einen Seinsgrund. Und die unterschiedlichen Religionsformen – Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und andere – sind nur unterschiedliche Wege zum selben Ziel. Sie sind verschiedene Fenster, durch die dasselbe Licht unterschiedlich gebrochen hindurchscheint, und diese Vielfalt macht die Welt bunt.
Am Benediktushof wird deshalb eine religions- und konfessionsübergreifende Spiritualität vermittelt, in vielerlei Spielarten, achtsam, therapeutisch, künstlerisch, gesellschaftsrelevant, in Kursen, Vorträgen und Seminaren. Die enorme Strahlkraft des Benediktushofs verwundert nicht, er ist eines der größten spirituellen Zentren Europas, mit mehr als 35.000 Übernachtungen jährlich. Er ist ein Ort der Stille und Sammlung, von besonderer, dichter, zugleich lichter Atmosphäre; ein Gesamtkunstwerk, in dem innerer Gehalt und äußere Gestalt in eins klingen, wie Architektur und Gesamtanlage eindrucksvoll zeigen.
Sein reiches Angebot an verschiedensten Themen und Kursen richtet sich an alle, die auf der Suche sind, sei es im Kontext einer der Weltreligionen, sei es im therapeutischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich, im Bereich der Psychologie, der Menschenführung oder der Selbstentwicklung, gleichgültig, ob sie sich einer Konfession oder Religion zugehörig fühlen oder nicht.
Doch so umfassend das Angebot auch ist, immer geht es in Willigis Jägers Vision um das Eine: die Erfahrung meines wahren Wesens in genau diesem einen Augenblick, bei allem, was ich tue.
www.benediktushof-holzkirchen.de
Hier finden Sie Bücher von Willigis Jäger
Fotos: Daniel Jäger und Helena Schätzle
4 Kommentare
Viel las ich von Jäger und Grün. Warum der Umweg über den Zen ? Er untersteht dem Tenno. Vieles erkenne ich als abgeschrieben von Nikolaus von Kues, Vico, Meister Eckehart, Ficino u.a. Kaum Zitatangaben, – lapidar, er oder jener hat einmal gesagt….
Die Millionenauflagen entsprechen sich in den einzelnen schmalen Bröschüren fast im Detail, wie Gebetsmühlen.
Brauchen wir Vermittler, Erleuchtete (ich habe das Licht und Gott erfahren), Stellvertreter zum Alles-ins-eins ?
Manchmal verspüre ich dies als große Anmaßung, doch auch als Herausforderung.
Da stimmt was nicht, 300 Seminare pro Jahr, Probleme mit Kirche und Orden, Taize etc.,
Mystik strahlt nicht in der Öffentlichkeit, allein, wo ist der Glaube.
Hier heißt es, ins Herz, in den Kern des Wesens gehen, sich allein mit Gott erfahren, das Licht sehen und erleben und dann
das Zölibat.
Gerade redete ich über einen Widerspruch bei Jäger mit meiner Freundin:
Was wir am Ende unseres Lebens in Händen halten sind nicht unsere Leistungen und unsere Werke.
Wir werden uns zuerst und vor allem der Frage stellen müssen, wieviel wir geliebt haben.
Eine Seite vorher steht:
Das eigentliche Ziel des Daseins besteht nicht darin zu lieben.
auch nicht darin, sich lieben zu lassen.
es besteht einzig und allein darin, Liebe zu werden.
Sie behauptet, Liebe ist Gott und den Zugang habe ich nicht, dazu sei ich zu kaputt, wir verabschiedeten uns wortlos.
Argument: Meine Lesart sei falsch, Das Additum eigentlich sei das Wesentliche, dies bedeutet die Essenz.
Deswegen verstehe ich die Verbindung der Texte nicht.
Ich als angeblicher ADSler überlese diesen Begriff – eigentlich – ich wollte erstmal den Beriff auslassen, ich dachte an uneigentlich,
doch sie ließ nicht aus und nagelte mich fest.
Abschied ohne jegliche Berührung.
Heute früh hörte ich Willigis mit Freuden in Bayern2 .dann habe ich wieder mal im Internet nachgeforscht. Willigis zu hören oder zu lesen ist immer eine Bereicherung. Von 1995 bis 2004 war ich sein Schüler und sitze seither daheim. Tausend mal Dank an Willigis und Doris.
Peter Michel
Ein sehr schöner Einblick in das Leben und Wesen eines Menschen, der so viele inspiriert hat, sich auf die Suche nach der eigenen Quelle zu begeben. Ich bin seit Beginn an am Benediktushof v.a. zur Kontemplation und danke Willgis für die vielen Jahre an Begleitung, in denen er mich bei der Frage nach eben diesem einen ewigen „Sinn“ gestützt, begleitet und geleitet hat. Seit einigen Jahren gebe ich dort an diesem wundervollen Kraftort der Stille selbst Seminare und Vorträge. Ich wünsche vielen Menschen, dass Sie sich ebenfalls auf den Weg machen um diesen Diamanten im Zentrum Deutschlands zu entdecken und für sich zu nutzen. In einer Zeit die mit immer mehr Belastung und Stressoren aufwartet ist die gezielte Einkehr nicht nur wichtig, sondern notwendig.
heute fast zwei jährchen später : alles gute zum zweiundneunzigsten. Gerne besuche ich euch in der Vorstellung. Habe gerade zwei Stunden Kritiken über ihn gelesen und Gelehrtenkommentare.
religio > altlateinisch : relegere = etwas betrachten, „etwas ganz genau betrachten“ sagte der Sprachtheologe Peter Heidrich aus Rostock in einer Vorlesung so 2004 einmal und : „Meditation ist das was man liebt“.
Eine religiöse Tätigkeit, betrachten. Natürliche Religiösität wird zur Wissenschaft der ewige Kinder und unnützen Knechte.
Das Auferstehungsmotiv, der Ostergedanke wird zum großen Jetzt – AUM.