Der klassische Buddhismus (→ Theravada) wurde bereits im 6. Jh. n.u.Z. in Japan eingeführt und beeinflusste im Laufe der Jahrhunderte die ganze intellektuelle, ästhetische und spirituelle japan. Kultur. Der Zen, der sich aus dem → Mahayana-Buddhismus entwickelt hatte, gelangte über China – wo er sich mit dem → Taoismus verband – erst im 12. Jh. nach Japan.
Im engeren Sinne ist Zen keine Religion und auch nicht an den Buddhismus gebunden; er ist vielmehr die Lehre der direkten Schau oder Einsicht in die absolute Wirklichkeit (→ Shunyata). Zen gilt als „besondere Überlieferung außerhalb der orthodoxen Lehre“. Der Legende nach soll der Buddha Shakyamuni bei einer berühmten „Nichtpredigt“ nur schweigend eine Blüte in die Höhe gehalten haben. Nur sein Schüler Kashyapa begriff diese Darlegung und erlangte die Erleuchtung. Deshalb spielt die plötzliche Erleuchtung (tongo) im Zen seither eine wichtige Rolle.
Chinesischer Zen-Buddhismus, Ch’an: Als der Buddhismus nach China gelangte, nahm er gemäß der chines. Mentalität andere Formen an als in Indien, Südostasien oder Tibet. In China vermischte er sich mit taoistischem Gedankengut. Auch wenn die Schule des Zen im 6. Jh. mit → Bodhidharma ihren Ursprung hatte, wurden ihre Fundamente tatsächlich vom großen Meister Hui-neng (638-713), dem sechsten Patriarchen, gelegt. Er entwickelte aus der Verbindung der geistigen Essenz des Mahayana-Buddhismus mit der kongenialen Lehre und Lebensart des Taoismus die Form der geistigen Schulung, die heute als Zen bezeichnet wird. Die von Hui-neng begründete Südliche Schule betont die plötzliche Erleuchtung (tongo), während die Nördliche Schule, die von Shen-hsiu begründet wurde, die allmähliche Erleuchtung (zengo) betont.
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Südliche Schule die Auffassung vertrat, → Erleuchtung geschehe ganz plötzlich. Es komme weniger auf intellektuelle Schulung als auf die Schulung der Intuition oder der direkten Einsicht an. Der Weg der allmählichen Erleuchtung hingegen betont, dass das Studium der hl. Schriften notwendig sei. Die Südliche Schule setzte sich jedoch durch und blühte unter großen Meistern wie Ma-Tsu, Shih-T’ou, Nan Ch’uan, Pai Chang, Huang Po und Chao-Chou auf. Im 9. Jh. verzweigte sich der chines. Zen-Buddhismus in verschiedene Äste.
Zen ist eine → Schule des Augenblicks, die in jeder Situation und jeder Zeit immer wieder von kreativen Geistern neu belebt wird. Meister → Basho (1644-1694) sagte dazu: „Suche nicht den Weg der Vorfahren, suche das, was auch sie gesucht haben.“ Diese Idee wird durch eine der drei „großen Qualitäten“ des Zen-Schulungswegs ausgedrückt, den Großen Zweifel. Er besagt, dass das Leben immer als Frage zu verstehen ist, die noch der Antwort harrt. Wir sollen das Geheimnis unseres Lebens und des Kosmos zwar anerkennen, aber dieses Geheimnis unermüdlich und mit fester Absicht enthüllen. Dazu gehört die zweite Qualität der Großen Entschlossenheit, des Willens, regelmäßig und mit bewusster Entschlossenheit zu üben und hart daran zu arbeiten, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die unsere Erkenntnis verstellen. Es ist auch die Entschlossenheit, sich für die Bedürfnisse aller Mitwesen zu sensibilisieren und Mitgefühl für sie zu entwickeln. Das alles wird möglich durch die dritte Qualität des Großen Glaubens daran, dass allen Wesen die Buddha-Natur innewohnt, dass wir Erleuchtung erfahren und unsere wahre Natur „sehen“ können.
Auch wenn die Worte Zen oder Ch’an eine Übersetzung des Sk.-Wortes dhyana sind (→ Zazen), sind doch das indische Dhyana und Zen wesentlich verschieden. Dhyana bezeichnet eine konzentrierte und methodische → Meditation, während Zen, so wie die Gründungsväter der chines. Schulen es verstanden, den direkten Einblick in die Realität, die blitzartige → Erleuchtung sucht. Selbstverständlich reicht eine Erleuchtung nicht dazu aus, ein Meister zu werden. Es geht vielmehr darum, sich immer wieder von allen vorherigen Erkenntnissen freizumachen und die materiellen und geistigen Welten immer wieder neu zu erforschen und neu zu sehen.
In gewisser Weise brachte Zen eine Dynamik hervor, die zu einer Wiedergeburt des ursprünglichen → Taoismus führte. So kann man sagen, dass die wahren Erben des „Geistes“ Dschuang Zes (eines der Begründer des chines. Taoismus , 369-286 v.u.Z.) die chines. Zen-Buddhisten der T’ang-Periode (618-906) sind, des goldenen Zeitalters des Zen in China.
Es gibt mehrere Übereinstimmungen zwischen dem chines. → Taoismus und dem chines. Zen. Seng-chao (384-414) schreibt, dass „Handeln und Nichthandeln nicht voneinander geschieden sind, sondern eine Einheit bilden. Dinge in Aktion sind gleichzeitig immer in Nichtaktion; Dinge in Nichtaktion sind immer in Aktion. Nichthandeln bedeutet also nicht Ruhe, nachdem Aktion zu Ende gegangen ist, sondern Ruhe, die immer auch Aktion ist“ (Chang Chung-yuan 1980, 13). Dschuang Ze stellt ebenfalls die Identität aller Dinge dar: „Dies ist auch Das; Das ist auch Dies. Es gibt weder Zerstörung noch Aufbau. Beide verschmelzen in Eins.“ Interessant ist der Vergleich mit dem aus der Physik bekannten Gedanken, dass immer eine potenzielle Energie vorhanden sein muss, um sich als aktualisierte Energie manifestieren zu können (→ Ewigkeit).
Ein weiterer Gedanke, den Buddhismus und Taoismus gemeinsam vertreten, ist die Idee der Einheit in der Verschiedenheit, ebenso von Teil und Ganzem. Dieser Gedanke wird in der → Hua-Yen-Philosophie ausgedrückt.
Hui-nengs Zen-Philosophie ist ebenfalls nichtdualistisch und vergleichbar mit der Advaita-Vedanta-Vision Shankaras (→ Vedanta) und der taoistischen des Dschuang Ze. Hui-neng über die Versenkung:
„Verblendete mögen zwar mit bewegungslosem Körper sitzen, aber wenn sie den Mund aufmachen, reden sie nur über Richtig und Falsch von anderen, über Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen. Dies ist ein Abweichen vom Weg. Wenn man am Geist oder der Reinheit haftet, wird das im Gegenteil lediglich zum Hindernis auf dem Weg. … Das Wesentliche ist das Gehen und nicht die Fußabdrücke.“ (Hui-neng)
Es geht zwar um die plötzliche Erleuchtung, die unvorhersehbare Öffnung des Geistes, doch der Weg dorthin besteht in der regelmäßigen Übung der Öffnung des Geistes für diese plötzliche Einsicht, in der jegliche dualistische Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Innen und Außen aufgehoben ist.
Japanischer Zen-Buddhismus (Zen): Der Überlieferung nach soll der Zen-Buddhismus im 6. Jh. mit der Reise des → Bodhidharma von Indien nach China zum ersten Mal nach Osten gezogen sein. 600 Jahre später, im 12. Jh., wanderte er weiter nach Japan. Nach weiteren 600 Jahren kam Zen über den Pazifik nach Westen und fasste zuerst in Kalifornien Fuß. Ende des 20. Jh. erreichte er auch Deutschland; hier wird die Zen-Meditation sogar in christl. Klöstern gelehrt (→ Willigis Jäger).
Der wichtigste Exponent im Westen war der 1966 verstorbene D.T. → Suzuki, dessen „Essays in Zen-Buddhism“ schon 1927 als Ereignis angesehen wurden (und erst in den 1990er-Jahren in vollständiger dt. Übersetzung erschienen). Auch wenn Zen der Weg der direkten Erleuchtung ist, wird Gelehrsamkeit keineswegs für gering erachtet. Deshalb gibt es auch hoch gelehrte Zen-Bücher, die jedoch immer auf ihre Art den Weg zur direkten Erkenntnis fördern, weil sie paradoxe Gedanken ausdrücken.
„Zen, könnten wir sagen, ist radikaler Empirismus. Deshalb ist Raum keine ausgedehnte objektive Gegebenheit und Zeit keine Linie mit einem Verlauf namens Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Zen kennt keinen solchen Raum, keine solche Zeit, und so gelten ihm Vorstellungen wie Ewigkeit und Unendlichkeit als bloße Träume. Zen lebt nur in und als Erfahrungstatsachen.“ (D.T. Suzuku 1987)
Ein gutes Beispiel dafür ist die folgende Geschichte: „Ein Mönch fragte den Meister: Es ist schon eine Zeitlang her, seit ich zu Euch kam, um über den heiligen Pfad des Buddha unterrichtet zu werden. Aber ihr habt mir niemals nur einen Wink gegeben. Ich bitte Euch, habt mehr Mitgefühl mit mir! Darauf lautete die Antwort: ‚Was meinst du, mein Sohn? Jeden Morgen entbietest du mir deinen Gruß, habe ich ihn nicht erwidert? Brachtest du mir eine Schale Tee, habe ich sie nicht angenommen und mich nicht gefreut, als ich sie austrank? Welcherlei Unterricht wünschest du außerdem von mir?“ (D. T. Suzuki 2003, 115)
Die Zen-Meister sind Meister des Augenblicks (→ Schulen des Augenblicks). Zen ist Leben in der „Geistes-Gegenwart“, Leben in wacher Aufmerksamkeit. Das gängige Klischee vom Zen, zurückgezogen in einem Kloster in den Bergen stundenlang zu meditieren oder → Koans (paradoxe Fragen) zu lösen, ist nur eine Seite des ganzen Bildes. Im Sinne des Wechselspiels der kosmischen Grundkräfte → Yin und Yang sind Ruhe und Bewegung, Entspannung und Anspannung die zwei Pole des Übungsweges.
Die alten chines. Weisen haben früh erkannt, dass außer den konzentrierten Stille- und Meditationsübungen auch innere und äußere aktive Übungen wichtig sind, um eine innere Transformation zu erreichen. Eine solche „Energietransformation“ arbeitet mit drei grundlegenden Energien bzw. Kräften: Jing, der vitalen Essenz (Körperenergien), Qi, dem Atem des Lebens, der die bewusste Energie trägt, und Shen, der geistigen Kraft. Mit Hilfe von Bewegung und Atem (bewusste Aktivierung des Qi) kann die vitale Essenz zu einer geistigen Kraft umgewandelt werden.
Der zentrale Gedanke für den Alltag sowie bei Übungen ist deshalb, in jedem Augenblick so wach zu sein, dass eine Handlung entsteht, die dem Fluss der Bewegung der Natur folgt. Wang Wei (5. Jh.) betont noch eine andere Vorstellung: „Wenn der Geist nicht durch die Form offenbar wird, dann ist das von der Form Dargestellte leblos“. Wenn der Geist nicht in Bewegung ist, dann ist er eine nichtoffenbarte Wirklichkeit in der Form. Ist er in Bewegung, dann lebt er in der Schau des Betrachters auf. Heute würde man von manifestierter und potenzieller Energie sprechen.
Meister Hakuin (1686-1769) kommentierte den zentralen philosophischen Gedanken des Zen „Form ist Leere, Leere ist Form“ mit den Worten: „Schund! Was für ein nutzloser Haufen Schrott! Versucht nicht, Affen beizubringen, wie man auf Bäume klettert! Diese Ware liegt seit zweitausend Jahren in den Regalen und eignet sich nur als Staubfänger“ (in: D. T. Suzuki 1973). Heute würde man sagen: Materie ist Energie, Energie ist Materie und beides nicht voneinander zu trennen. Doch was bedeutet das für den Menschen?
Zen ist radikal. Es fordert die Menschen auf, die Welt immer wieder auf neue Weise zu sehen. Gerade die chines. Linie des Ch’an war sehr geerdet. Das Leben eines Mönches bestand aus harter körperlicher Arbeit. Er schlief und meditierte auf derselben Matte, flickte seine Robe und pflanzte Gemüse an. Seine Lehrer teilten die Arbeit mit ihm. Die Verehrung von Buddha-Figuren und komplexen Ritualen wurde vollkommen abgelehnt; gelegentlich ging dieses Verhalten sogar so weit, dass hl. Schriften verbrannt wurden, denn nicht das auswendig gelernte Wissen zählte, sondern die eigene Erkenntnis.